Über die Tragödie der Menschheit
Zum Schreiben kam er eher zufällig, als er seinen Nachbarn, den Schriftsteller Ted Hughes, kennenlernt. Der britische Autor Michael Morpurgo hat bisher über 120 Bücher geschrieben. Sein Hauptthema: Der Erste Weltkrieg.
Man spürt es sofort: Michael Morpurgo ist kein Stadtmensch. Wie er da in der Lounge des Berliner Theaters des Westens sitzt, in rostroter Jacke, weißem Hemd und Jeans, mit wachen, warmherzigen Augen und etwas schütterem Haar, kann man sich gut vorstellen, wie er mit einem Hund durch die Hügel von Devon streift.
Aber natürlich bewegt sich der 1943 in der Nähe von London geborene Michael Morpurgo auch gekonnt durch die Stadtlandschaften. Vor kurzem feierte er seinen 70. Geburtstag in Paris.
"Ich hatte eine tolle, ganz private Feier. Wir fuhren nach Paris, wo meine Enkel leben, zwei von ihnen, Zwillinge, wurden 18, am Tag meines Geburtstags. Also sie 18, ich 70."
Drei Kinder haben der erfolgreiche Schriftsteller und seine Frau Clare, Tochter des Gründers der britischen Penguin-Books: Sie heißen Sebastian, Octavio und Rosalind – bei der Namensgebung stand kein geringerer als Shakespeare Pate.
Dabei hatte Michael Morpurgo als Kind mit Büchern nicht viel im Sinn. Seine Idole entstammten nicht der Literatur, sondern dem damals noch allgegenwärtigen Zweiten Weltkrieg. Sein gefallener Onkel Peter wurde der Held seiner Jugend. Auch Michael Morpurgo wollte zur Armee und seinem Land dienen. Aber seine Militärkarriere dauerte nicht lange.
Beim Fischen lernt er seinen Nachbarn kennen
"Es war eine Übung: Der Schnee fiel, wir lagen in Schützengräben, und es gab einen vermeintlichen Feind. Da hatte ich plötzlich eine Szene aus Nordfrankreich vor Augen. Weihnachten 1914. Deutsche und britische Soldaten klettern aus ihren Schützengräben und schließen Frieden, trinken Schnaps, Whisky, spielen Fußball. Da dachte ich, Moment mal, das ist die Welt, die ich mir zukünftig vorstelle, nicht die des Krieges. Und kurz darauf habe ich die Armee verlassen."
Michael Morpurgo wird in London zum Grundschullehrer ausgebildet und geht dann mit seiner Frau nach Devon. Eine sattgrüne hügelige Landschaft zwischen den Nationalparks Dartmoor und Exmoor. Beim Fischen lernt er seinen Nachbarn kennen: den Schriftsteller Ted Hughes, der ein enger Freund wird und ihn zum Schreiben inspiriert.
Zehn Jahre, bis 1976, unterrichtet er, hört dann auf, weil ihm die Mentalität der Kollegen zusehends auf die Nerven geht. Seine Frau und er sind große Idealisten: Sie möchten sich um Stadtkinder aus sozial schwachen Verhältnissen kümmern.
"Da dachten wir: Wir kaufen eine Farm, wo sie hinkommen können, um zu arbeiten, zu begreifen, wie man Essen macht, wie man sich um Tiere kümmert. Abends sind sie müde, wissen aber: Ich hatte einen guten Tag. Das ist doch der Sinn von Erziehung: Die Kinder spüren, dass sie etwas wert sind. Es war ein Experiment, und es funktioniert seit 35 Jahren."
„Farm for City Children“ heißt es. Über 70.000 Kinder konnten im Lauf der Jahre dort je eine Woche auf dem Land verbringen und mitarbeiten: Kühe melken, Schafe rausbringen, Pferde füttern.
Eines Abends, Ende der 70er Jahre, trifft Michael Morpurgo in der Kneipe seines Dorfes einen alten Mann, einen Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg. Er erzählt ihm von der engen Beziehung, die er als Soldat zu Pferden hatte.
Morpurgo schreibt meist für Jugendliche
"Das war der Anfang. Ich wollte nicht eines dieser Kriegsbücher schreiben, bei denen man Partei ergreift. Davon gibt es schon so viele. Mir schien es besser, über das allgemeine Leiden zu schreiben, von allen Seiten. Vielleicht könnte ein Pferd ja so eine Geschichte erzählen."
„Nach wenigen Minuten begann sich der Nebel zu lichten und ich sah mit einem Mal, dass ich in einer breiten Schneise aus Schlamm stand, in einer wüsten, zerstörten Landschaft, zwischen zwei gewaltigen, endlosen Spiralen Stacheldraht, die sich vor und hinter mir in die Ferne erstreckten. Dies war, was die Soldaten das 'Niemandsland' nannten.“
„War horse“ erscheint 1982. Die Geschichte ist einfach, die Botschaft simpel: Es geht um Krieg, Freundschaft und Versöhnung.
Es ist – inzwischen – Michael Morpurgos bekanntestes Buch: übersetzt in 45 Sprachen, für die Bühne adaptiert und von Steven Spielberg 2011 mit viel Kitsch und Herzschmerz verfilmt.
120 Bücher, meist für Jugendliche, hat Michael Morpurgo inzwischen geschrieben. Viele handeln von Tieren, sagt der Philanthrop, dessen Lieblingstier der Elefant ist, viele sind Abenteuerromane. Sein Hauptthema aber ist der Erste Weltkrieg.
"Warum ich letztendlich über Krieg schreibe? Für mich ist er das große Leiden der Menschheit. Es ist doch eine Tragödie: Wir lernen es einfach nicht, unsere Konflikte ohne Gewalt zu lösen."