Herr der Bücher
Als der New Yorker Literaturagent Sterling Lord das Manuskript "Letzte Ausfahrt Brooklyn" las, wusste er, dass der Roman ein Skandal werden wird – und ein Erfolg. Der 94-Jährige hat nicht nur bei diesem Buch den richtigen Riecher.
Sterling Lord: "Ich habe mich nie als alten Sack am Strand gesehen. Ich brauche keinen Ruhestand."
Die achte Etage eines prachtvollen Gebäudes in der Bleecker Street im Herzen von Manhattan. Ein klimatisiertes Büro voller Bücher. Sterling Lord, ein alter Herr mit weißem Haarkranz und Brille, sitzt lächelnd an seinem Schreibtisch. Seit über sechzig Jahren leitet er die Agentur "Sterling Lord Literistic", die heute allein achtzehn hauptberufliche Literaturagenten beschäftigt. Und obwohl er vierundneunzig Jahre alt ist, hat Sterling etwas von einem kleinen Jungen. Seine Augen leuchten, wenn er von seiner Arbeit erzählt.
"Ich versuche, so viel wie möglich mit jungen Leuten zu tun zu haben. Denn die werden noch eine Weile da sein. Und ein paar von denen sind echt gut!"
Sterling Lord wurde 1920 als ältester Sohn in Iowa geboren. Sein Vater, ein Möbelfabrikdirektor, hatte als junger Mann die Kunst des Buchbindens gelernt. Als Kind bewunderte Sterling Lord prachtvolle Ausgaben mit Ledereinband, die sein Vater hergestellt hatte. 1952 stieg er selbst ins Buchgeschäft ein. Er gründete seine Agentur. Bis heute hat sie eine herausragende Bedeutung für die nordamerikanische Literaturszene. Im Laufe der Jahrzehnte vertrat Sterling Lord legendäre Schriftstellerwie Ken Kesey, Autor von "Einer flog übers Kuckucksnest", oder Hubert Selby. Richtig angefangen aber hat alles mit einem, nennen wir ihn mal, "handfesten Herumtreiber".
Aus Liebe ein Gedicht geschrieben
"Ich habe vier, fünf Jahre gebraucht, um 'Unterwegs' zu verkaufen. Ich hatte keine Ahnung, wie die Chancen waren, aber ich fand, dass diese Stimme gehört werden sollte. Das hat mich angetrieben. Außerdem kannte und respektierte ich den Autor, das motiviert zusätzlich ."
Die konservativen Lektoren gingen damals in Rente, und plötzlich waren Verlage auch an unkonventionellen Erzählformen interessiert: Der Beatnik Jack Kerouac und sein Entdecker Sterling Lord, wurden mit "Unterwegs" schlagartig berühmt. An einer Sache, sagt der 94-jährige Literaturagent, habe sich bis heute nichts geändert: Der eigenwillige und unverwechselbare Ton eines Manuskripts muss ihn faszinieren. Selbst geschrieben hat Sterling Lord nie – nur ein Gedicht veröffentlicht, vor langer Zeit, aus Liebe zu einer Frau. Doch seit 2013 ist er nun doch noch selbst zum Autor geworden. Er schrieb seine Memoiren, erschienen sind sie auch als E-Book.
"Ich habe im traditionellen Verlagsgeschäft ganz oben mitgespielt und wollte ein Statement abgeben, indem ich ein E-Book machte. Ich bekam auch ziemlich viel Presse, aber niemand hat diesen Aspekt erwähnt – hey, er ist ganz vorne mit dabei. Das hat mich schon enttäuscht. Aber in diesem Geschäft lässt sich eben nichts vorhersagen."
68 Jahre Tennis mit Weltklassespielern
Durch die Arbeit an seinen Memoiren, sagt Sterling Lord lachend, habe er Dinge gelernt, die ihm nach den 60 Jahren im Geschäft noch völlig neu waren. Ein Seitenwechsel, gewissermaßen. Alles andere als bescheiden ist der Titel seiner Erinnerungen: "Lord of Publishing". Aber Sterling hat viel zu erzählen. Von seinen publizistischen Anfängen als Magazinmacher im besetzten Nachkriegsdeutschland, von seiner Zeit als Cosmopolitan-Redakteur – oder davon, wie er es als etablierter Agent ablehnte, den ehemaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson zu vertreten. Neben dem Geschäft mit Büchern gab es in Sterling Lords Leben eine weitere große Leidenschaft.
"Ich habe immer auf meine körperliche Form geachtet: 68 Jahre Tennis gespielt, und zwar mit einigen Weltklassespielern."
So verwundert es nicht, dass seine Lieblingslektüre "The City Games" ein Sportbuch ist, das von der Basketball-Kultur in New York erzählt. Sterling Lord kann scheinbar Gegensätzliches verbinden, er ist ein klassischer Gentleman – und zugleich durch und durch Geschäftsmann. Dabei ebenso altmodisch wie zuvorkommend – im besten Sinne amerikanisch. Das bestätigt sich, wenn man ihn nach dem Geheimnis seines Erfolgs fragt. Ein Taxifahrer, sagt Sterling Lord, hätte ihm mal eine ähnliche Frage gestellt. Das Erfolgsrezept sei eigentlich ganz einfach:
"Er sagte: Ich bin neu in New York. Wie werde ich reich hier? Und ich habe ihm erzählt, wie's bei mir gelaufen ist: Such dir schnell eine Beschäftigung, die dich packt, und der du dich ganz widmen kannst. Das ist die beste Voraussetzung für ein langes, produktives, glückliches Leben."