Spröde Sprachstanzen wie aus Sodom und Gomorra
In einer neuen Serie kämpfen sich unsere Literaturkritiker durch die Wahlprogramme der Parteien. Thorsten Jantschek hat sich das Programm der AfD vorgenommen. Sein Fazit: Lachen leicht gemacht! Die AfD schreibt am Leser vorbei.
Ach, hätte dieser Text doch wenigstens die literarische Kraft, die Wortwucht, die imaginäre Strahlkraft jener Erzählungen, die er, natürlich ohne dies explizit zu machen, glaubt, mobilisieren zu können! Dann hätte man womöglich Freude, ihn zu lesen, sich mit Verve in eine Auseinandersetzung seiner Inhalte zu werfen. Es sind nämlich die großen, die ganz großen Erzählungen, die des drohenden Untergangs und die messianischer Hoffnung. Diese Freude hat die Leserin oder der Leser hier nicht. Dennoch scheinen durch die Ansammlung spröde Sprachstanzen immer wieder Denkmotive hindurch, wie man sie aus biblischen Erzählungen kennt, zum einen aus den Untergangsszenarien des Alten und des Neuen Testaments, wie etwa Sodom und Gomorra, der Turmbau zu Babel oder die Apokalypse des Johannes. Zum anderen sind es die Hoffnung stiftenden und Heil bringenden messianischen Erzählungen, etwa der Evangelien, die dieser Text anzuzapfen versucht.
Zu jeder Hoffnung gehört die Diagnose eines Verfalls, wie in jener sündigen Stadt Sodom, die dem Untergang geweiht war, weil sich in ihr nicht einmal zehn "Gerechte" finden ließen. Und der Sünden sind – glaubt man der AfD viele, es ist der Abfall von der deutschen Leitkultur, verwirrte Familienverhältnisse, Einführung des Euro und so weiter, selbst das Bargeld ist für die Autoren in akuter Gefahr. Und zehn Gerechte lassen sich in der deutschen Politik ebenso wenig nicht finden wie in Sodom, sondern nur "eine kleine machtvolle politische Oligarchie, ... deren vordringlichstes Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt". Gerecht klingt anders.
Zu jeder Hoffnung gehört die Diagnose eines Verfalls, wie in jener sündigen Stadt Sodom, die dem Untergang geweiht war, weil sich in ihr nicht einmal zehn "Gerechte" finden ließen. Und der Sünden sind – glaubt man der AfD viele, es ist der Abfall von der deutschen Leitkultur, verwirrte Familienverhältnisse, Einführung des Euro und so weiter, selbst das Bargeld ist für die Autoren in akuter Gefahr. Und zehn Gerechte lassen sich in der deutschen Politik ebenso wenig nicht finden wie in Sodom, sondern nur "eine kleine machtvolle politische Oligarchie, ... deren vordringlichstes Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem materiellen Wohlergehen gilt". Gerecht klingt anders.
Dauernd ist die Rede von Volk und Nation
Und als Symbol für den Turm, der in Babel als Zeichen einer ins Unermessliche gesteigerten menschlichen Hybris in den Himmel wachsen soll, müsste wohl jenes "Wir schaffen das!" von Angela Merkel gelten, das aus Sicht der Autoren bereits durch das Spachengewirr vermeintlicher muslimischer Parallelgesellschaften bestraft worden ist. Und das Tier, das in der Apokalypse des Johannes aus dem Meer auftaucht, tritt hier in Form des nicht zu bewältigenden Flüchtlingsstroms auf.
Doch kein Messias tritt hier in Erscheinung, kein Prophet, sondern das Heilsversprechen sind Volk und Nation, in immer neuen Erscheinungsweisen, mal geht es um die Wiedererlangung nationalstaatlicher Souveränität, dann wieder um die Einführung von Volksentscheiden für alles und jedes, um das – man liest es aus diesem Text heraus – "biodeutsche" Staatsvolk, das "unser" Land als deutsches bewahren soll.
Doch kein Messias tritt hier in Erscheinung, kein Prophet, sondern das Heilsversprechen sind Volk und Nation, in immer neuen Erscheinungsweisen, mal geht es um die Wiedererlangung nationalstaatlicher Souveränität, dann wieder um die Einführung von Volksentscheiden für alles und jedes, um das – man liest es aus diesem Text heraus – "biodeutsche" Staatsvolk, das "unser" Land als deutsches bewahren soll.
Blutleer und technokratisch
Wer aber Denkmotive wirklich großer Erzählungen anklingen lässt, der spielt mit dem Feuer des vielleicht wirkmächtigsten Sprachzaubers der abend- und morgenländischen Kultur. Das Wahlprogramm verbrennt sich dabei die nach den Wählern greifenden Finger. Nicht, weil es explizit die deutsche Leitkultur auf den "Werten des Christentums, der Antike, des Humanismus und der Aufklärung" fußen lässt (S. 47), zu der ja sicher auch die nordafrikanische Aristotelesrezeption gehört, oder der mittelalterliche Wissensaustausch von Rom und Bagdad. Auch nicht, weil es schlicht Unsinn behauptet, wie etwa, dass in der "Gender-Forschung" das natürliche und das soziale Geschlecht "voneinander völlig unabhängig" seien. Vielmehr verhebt sich das Programm an diesen Motiven, weil es sie in blutleere technokratische Sprachhülsen kleidet, in plumpe, bedeutungslose Forderungen ("Wir wollen das Land unserer Väter und Mütter nicht irgendjemandem hinterlassen, der dieses Erbe verschleudert oder ausplündert.") oder Zielformulierungen ("Ziel der AfD ist Selbsterhaltung, nicht Selbstzerstörung unseres Staates und Volkes.") münden lässt oder dürftige sprachliche Nebelkerzen zündet: Wenn da etwa eine "Minuszuwanderung" gefordert wird, bedeutet das offenbar massive, die Zuwanderung übersteigende Abschiebungspraxis. Und dann sind da noch all die unverständlichen Wortballungen, z.B. "Die Alternative für Deutschland fordert die verpflichtende Einführung der kaufmännischen Buchführung für alle Staatshaushalte. – Der darin in Zukunft abgebildete jährliche Werteverzehr aller Vermögensgegenstände, die einem solchen unterliegen, ist in den Haushalten zu erwirtschaften und zu thesaurieren."
Wirr und unverständlich
Nicht umsonst ist das Wahlprogramm der AfD einer linguistischen Analyse der Universität Hohenheim zufolge das unverständlichste aller Parteien, die die Chancen haben, in den Bundestag gewählt zu werden: "Die vermeintliche Volksnähe, die die AfD für sich beansprucht", pflegt sie in ihrer Sprache jedenfalls überhaupt nicht, so Professor Frank Brettschneider. Dass es dieser Partei in ihrem Wahlprogramm explizit auch um die Bewahrung und Pflege der deutschen Sprache geht, gibt der Lektüre dieses Textes am Ende also eine unfreiwillig komische Note. Auf die könnte man – um an eine an die deutsche Leitkultur anschlussfähige Szene zu erinnern – in das berühmte Lachen der thrakischen Magd einstimmen. Sie amüsierte sich darüber, dass ein Philosoph in einen Brunnen fiel, weil er in den Himmel blickte. Das mag auch für Politiker gelten, die die sprachliche und literarische Bodenhaftung, die sie proklamieren, verloren haben.