Literaturanalyse: Wahlprogramm der Linkspartei

Wahlen als verkapptes Rachedrama?

In welchem Stil ist das Wahlprogramm der Linkspartei verfasst? Unsere Literaturanalyse.
In welchem Stil ist das Wahlprogramm der Linkspartei verfasst? Unsere Literaturanalyse. © Deutschlandradio / Manuel Czauderna
Von Florian Werner |
In einer neuen Serie kämpfen sich unsere Literaturkritiker durch die Wahlprogramme der Parteien. Florian Werner hat das Manifest der Linkspartei unter die Lupe genommen - und entdeckt zunächst einmal "Hamlet".
"SOZIAL. GERECHT. FRIEDEN. FÜR ALLE." Auf den ersten Blick wirkt das Wahlprogramm der Partei DIE LINKE ganz klar: Im Telegrammstil blafft das Titelblatt die Kernthemen in den Raum, die Wörter sind in Versalien gesetzt und durch Punkte getrennt, was ihnen zusätzliches Gewicht verleiht. Erst auf den zweiten Blick beginnt das scheinbar solide Gefüge zu wackeln: Warum folgt auf zwei Adjektive (sozial, gerecht) nicht ein weiteres Eigenschaftswort (zum Beispiel pazifistisch), sondern ein Substantiv? Weshalb dieser Bruch? Unsere Vermutung: Die Autoren wollten schon auf der grammatischen Ebene andeuten, was sie politisch erreichen wollen: einen Systemwechsel, weg vom Weiterso hin zu einem "demokratischen, ökologischen, feministischen und lustvollen Sozialismus".

Die Welt ist aus den Fugen geraten

Die nächste Überraschung folgt im siebten Satz der Einleitung, er beginnt: "Die Welt ist aus den Fugen …" Es handelt sich um die fast wörtliche Wiedergabe eines berühmten Couplets aus Shakespeares Hamlet, 1. Aufzug, 5. Szene: "Die Zeit ist aus den Fugen: Schmach und Gram, / Daß ich zur Welt sie einrichten kam." Der dänische Prinz hat soeben Besuch vom Geist seines Vaters sowie den Auftrag erhalten, dessen kaltblütige Ermordung zu rächen.
Handelt es sich beim Wahlprogramm der Linken also um ein verkapptes Rachedrama? Wer ist der heimtückische Königsmörder - "der globale Kapitalismus"? Und wer sind die Geister der Vergangenheit, welche die Abgeordneten der Linkspartei nicht ruhen lassen? Nun: Immerhin stehen sie im Angesicht der aus den Fugen geratenen Welt nicht so verzagt-melancholisch herum wie der notorische Zauderer Hamlet. "… es liegt an uns, sie neu zu gestalten", lautet die zweite Hälfte des Satzes im Wahlprogramm. Packen wir’s an.

Slogans mit Antithese und Anglizismen

Die Slogans in dem Werk, das insgesamt 134 Seiten umfasst, haben oft die Form einer Antithese: "Armut abschaffen, statt die Armen bekämpfen", oder "Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge", oder: "Menschen statt Profite". Häufig verwenden die Autoren auch Stilmittel wie Stab- oder Endreime, um ihre Formulierungen geschmeidiger zu machen: "Kapitalismus oder Klima", "Klasse Kitas", "Recht auf Remix","mit Laptop oder Wischmopp", "Crowd- und Cloud-Arbeit", "Union Busting und Betriebsräte-Bashing". Überhaupt ist erstaunlich, dass eine Partei, die in ihrem Programm immer wieder die Nähe zu Russland betont, streckenweise mit Anglizismen um sich wirft wie ein wildgewordener Wall-Street-Consultant.
Und welchem Genre ist dieses Werk nun zuzuordnen? Es handelt sich um ein Musterbeispiel der Uchronie. Während die Utopie dem Wortsinn nach einen Nicht-Ort (ou-topos) beschreibt, schildert die Uchronie eine (noch) nicht existente Zeit: ein zukünftiges Deutschland, in dem es keine Kohle- und Kernkraftwerke mehr gibt, jedes Jahr 250.000 neue Sozialwohnungen geschaffen werden, der Öffentliche Nahverkehr kostenlos ist und die Normalarbeitszeit 30 Stunden pro Woche beträgt. Eine attraktive Vision. Aber wann wird sie Realität?

Wahlprogramme - sprachlich und inhaltlich ein eher spröder Stoff. Oder steckt da doch mehr drin? Wir haben Literaturkritiker und Autoren gebeten, die Pamphlete einmal gründlich durchzuackern und nach literarischen Kriterien zu bewerten. Das Programm der Linkspartei wurde als erstes besprochen. Die weiteren Termine: Dienstag FDP (Ursula März), Mittwoch AfD (Thorsten Jantschek), Donnerstag SPD (Mathias Greffrath), Freitag CDU (Sieglinde Geisel), Samstag Grüne (Paul Stänner). Die Rezensionen können Sie jeweils gegen 8.50 Uhr hören.

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