Wen die späte Muse küsst
Jugendlichkeit gilt auch im Verlagswesen als Erfolgsversprechen. Doch nicht jeder literarische Neu-Einsteiger ist jung. Autoren und Verleger berichten von den Motivationen und Herausforderungen, wenn es darum geht, Best-Agern zum Bestseller zu verhelfen.
Jugend ist Trumpf. Ob in der Werbung oder bei der Jobsuche: wer jung ist, scheint per se schon attraktiv zu sein. Die Literaturbranche macht da keine Ausnahme. Agenten, Verleger und Veranstalter sind immer auf der Suche nach jungen Stimmen, frischen Texten, unverbrauchten Gesichtern. Literaturagentin Astrid Poppenhusen fällt auf, dass immer mehr Verlage in ihrer Selbstpräsentation auf einen jugendlichen Anstrich Wert legen und etwa Imprints speziell für junge Leser entwickeln:
"So Imprints, die so jüngere irgendwie bisschen freaky, cheaky, junge Literatur veröffentlichen wollen, irgendwie urban, irgendwie cool. Umgekehrt gibt es das eigentlich nicht, dass es Imprints extra für ältere Leute gibt. Also da ist natürlich der Jugendwahn in unserer Gesellschaft erkennbar, auch in den Verlagen."
Ein solch frisches Imprint ist "ivi" bei Piper, oder beim Traditionsverlag Ullstein "Ullstein fünf". Fünf Titel werden pro Saison herausgegeben, die Autoren des ersten Programms waren mehrheitlich unter 30. Vielfach wurde "Ullstein fünf" daher als jugendliches Imprint bezeichnet – aber schon mit seinem zweiten Programm zeigt der Verlag nun, dass diese Einordnung nicht zutrifft: Im Oktober erscheint der erste Roman der 77-jährigen Helga Hammer.
"Ich bin 1940 geboren, habe eine große Familie mit vielen Kindern gehabt, zwei Kinder sind mir geblieben, zwei sind gestorben und das war eigentlich der Grund, warum ich angefangen habe, zu schreiben."
Das späte Debüt im jungen Imprint
"Durch alle Zeiten", heißt das Buch der späten Debütantin. Erzählt wird eine berührende Geschichte aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts: Elisabeth, eine jungen Frau aus den Bergen, muss sich in einem Umfeld durchsetzen, das von harter Arbeit und gesellschaftlichen Zwängen geprägt ist – und dennoch verliert sie nie die Hoffnung auf das große Glück. Elisabeth hat ein reales Vorbild aus einem österreichischen Alpendorf, sagt Helga Hammer.
"Die Burgstallerin, also die Wirtin, die ich beschrieben habe, eine Frau, die also wirklich sehr extrem gelebt hat, sie hat drei Kinder geboren, jedes Kind von einem anderen Mann, und sie hat die alle alleine erzogen, sie hat also Brutalitäten erlebt, sie hat also ein sehr, sehr hartes Leben geführt."
Ein Thema, das in der deutschsprachigen Literatur nicht oft vorkommt. Mit viel Empathie, in einer klaren Prosa, deren oft altertümlicher Duktus perfekt zum Thema passt, erzählt Helga Hammer vom ländlichen Leben in den fünfziger Jahren, von einer heute für viele nahezu unbekannten Lebensrealität. Gerade das hat Lektorin Ulrike von Stenglin von Ullstein fünf fasziniert.
"Ich habe mich einfach in diesen Text verliebt. Wir sind ja moderne Großstadtfrauen überwiegend bei uns im Team, und ein moderner Großstadtmann, das ist jenseits von unserer Lebenswelt. Und ich muss sagen, auf dem deutschsprachigen Markt gibt es eigentlich nichts in diese Richtung."
In dem Roman heißt es:
"Jetzt schon war ihr alles zu viel. Ständig war sie auf den Beinen, die von Tag zu Tag mehr anschwollen. Die Hitze, das ständige Hin und Herlaufen zwischen Stall, Wiesen und Baustelle machten ihr zu schaffen. Den Bauarbeitern bereitete sie zweimal am Tag eine Brotzeit, dazu wurde Bier getrunken; die Kinder, die Katzen, die Hühner, Schweine und der neue Hund mussten versorgt werden, der Gemüsegarten ebenso, der Honig musste geschleudert werden, die Wiese gemäht."
Ältere Debütanten schreiben oft kompakter
Helga Hammers Stimme hebt sich deutlich ab von der jüngerer, oft sehr urban geprägter Autoren. Frauke Meyer-Gosau, Lektorin für den Münchner Beck-Verlag, benennt die Unterschiede zwischen den Texten jüngerer und älterer Schriftsteller:
"Es gibt eine gewisse Geläufigkeit in diesen jungen Texten, man kann auch andersrum sagen einen Mangel an Sperrigkeit, damit sind sie natürlich leichter verwertbar, und die älteren Debütantinnen und Debütanten, die haben einfach mehr Lebensgepäck, die haben in der Regel schon sich sehr viel mit Techniken des Schreibens beschäftigt und wenn die dann rauskommen, haben diese Texte eine Kompaktheit, die man von jungen Autorinnen und Autoren glaube ich so gar nicht erwarten kann."
Vor zwei Jahren stieß Frauke Meyer-Gosau selbst auf ein spätes Debüt: "Sungs Laden" ist die Geschichte der an sich "stillen Community" von Vietnamesen im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, die ihre Kultur den Ur-Berlinern mit viel Witz und Charme nahebringt. Da weht dann schon mal die Ho-Chi-Minh-Flagge über dem Bezirksamt und ein Ententeich wird zur Bühne. Ein Auszug:
"Die Puppenspieler zeigten sich nicht. Sie blieben im Zelt verborgen und ließen an Stangen und Rudern Fische zu Drachen werden, Wasserbüffel miteinander kämpfen, Mönche und Nonnen sich zur Andacht begeben. Die war soeben angekündigt worden, und doch war es eine Sensation. Bevor die Feen sich zum Tanz aufreihten, öffnete sich der Vorhang für eine alte Holzpuppe, von der nur eine Handvoll Menschen wussten, dass sie, angefertigt in einer Zeit, als man Vietnam noch Indochina nannte, schon seit einem Vierteljahrhundert Prenzlbergerin war, im Verborgenen."
Schreiben als Abwechslung zum Beruf
Die frischgebackene Romanautorin Karin Kalisa hat viele Jahre als Wissenschaftlerin gearbeitet. Sie forschte im Bereich der Sprachphilosophie, beschäftigte sich mit asiatischen Sprachen – und hat gar nicht das Gefühl nun etwas ganz Neues begonnen zu haben:
"Ich habe wissenschaftliche Bücher geschrieben und wissenschaftliche Beiträge in der Japanologie, der Sprachphilosophie, und da habe ich natürlich auch schon mit Sprache gearbeitet und immer versucht auch, ja, eine eigene Sprache zu finden, und von daher war eben diese Entscheidung, literarisch zu schreiben, eine die ich im Grunde gar nicht so sehr bemerkt habe…"
Ihren Roman zu veröffentlichen war allerdings nicht einfach für Karin Kalisa. Sie hatte – wie jeder Debütant, der nicht gerade an einem Literaturinstitut studiert oder eine Schreibschule absolviert hat – zwar ein Manuskript, jedoch keinerlei Kontakte zu Verlagen:
"Ich habe es dann so gemacht wie das wahrscheinlich Hunderte und Tausende Autorinnen und Autoren auch machen, nämlich eingetütet, auf dem Postweg direkt auf den Aktenberg der Lektoren geschickt und naturgemäß keine Antwort erhalten oder wenn, dann nach vielen Monaten ein ablehnendes Formalschreiben erhalten, bis ich dann eher zufällig dazu kam, an Frauke Meyer-Gosau, die gerade angefangen hatte, für den Beck-Verlag zu lektorieren im Berliner Raum, und dann war das der Beginn einer überaus erfreulichen und beglückenden Zusammenarbeit."
Frauke Meyer Gosau, langjährige Redakteurin einer Literaturzeitschrift, war von dem Manuskript sehr angetan. Auch deshalb, weil sich in der Geschichte über Vietnamesen in Berlin das fundierte Wissen der Autorin auf diesem Feld widerspiegelt:
"Man merkt an der Art, in der das erzählt ist, dass dieses Wissen, das die Autorin hat, sich in eine Haltung umgesetzt hat. Also ich würde mal sagen Jahrzehnte der Aneignung fremder Lebenswelten schlägt sich hier nieder. Und das kann glaube ich nur geschehen, wenn jemand für sich diesen Gegenstand sehr intensiv und emotional durchgedacht hat."
Dass Karin Kalisa zum literarischen Schreiben gefunden hat, liegt an einer gewissen Unzufriedenheit mit ihrem Alltag: Sie empfand einige Aspekte ihres Berufslebens als ermüdend:
"Das hing nicht mit dem Forschungsbereich zusammen in der Wissenschaft, sondern eher mit den Dingen, die man macht oder machen muss, wenn man eine Karriere anstrebt und genau diese Dinge haben mich dann zunehmend geärgert, gelangweilt, genervt, und nachdem ich dann eines Tages mal beschlossen hatte, genau das nicht mehr so häufig und viel zu tun, war etwas Energie freigesetzt in meinem Leben und die habe ich dann in dieses Experiment, auch mal anders zu schreiben, investiert."
Wegen Alltagsüberdruss an die Schreibmaschine
Langeweile, Überdruss mit dem täglichen Einerlei, der Versuch einer Neuorientierung. Die Frage, warum Menschen erst spät zu schreiben beginnen, birgt darüber hinaus vielfältiges Potential. Interessante Autorenbiografien faszinieren Produktionsleiterin Franziska Brinkmann von "Ullstein fünf":
"Ich finde es besonders spannend, gerade herauszufinden, warum das Debüt so spät ist. Und wenn dahinter eine spannende Story ist, zusätzlich noch zum guten Text, dann finde ich es besonders gut."
Häufig ist es einfach Zeitmangel, der späte Debütanten früher am Schreiben gehindert hat. So auch Reinhold Neven DuMont. Erst nachdem sich der ehemalige Verleger aus seinem Verlag zurückgezogen hatte, veröffentlichte er seinen ersten Roman "Die Villa". Mit über 60 Jahren:
"Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, dass in der langen Zeit, in der ich Buchverleger war, ich die Zeit, die Muße gefunden hätte, selber einen Roman zu schreiben. Wenn man als Buchverleger arbeitet, ist man ja stark auf seine Autoren ausgerichtet; alle Autoren, also auch die schreiberfahrenen Autoren, haben ihre Nöte und ihre Schwierigkeiten und der Verleger muss in Krisensituationen für sie da sein. Und wenn dann der Verleger sagen würde, nein, tut mir leid, ich stehe nicht zur Verfügung weil ich gerade an meinem eigenen Buch sitze, dann käme es zu Verklemmungen."
Susann Pásztor ist ebenfalls eine späte Debütantin. Sie legte mit 53 Jahren ihr Romandebüt "Ein fabelhafter Lügner" vor. Lange Zeit hatte sie sich nicht entscheiden können, welche Form sie ihrer künstlerischen Kreativität geben sollte:
"Ich habe mein Leben lang diese Ambivalenz gehabt, bin ich eigentlich eine Zeichnerin, bin ich eine Illustratorin, bin ich eine graphische Künstlerin oder schreibe ich lieber. Und ich habe mit neun meine ersten Romane geschrieben und die fingen mit viel Text an und ein paar Bildillustrationen und dann habe ich die Lust verloren und am Ende waren es Comics. Und der Plot war im Eimer. Aber egal. Es war immer so diese Liebe zum Zeichnen und die Liebe zur Sprache."
Spätberufene Grandes Dames und Krimi-Meisterinnen
Silvia Bovenschen hat erst mit 60 zum literarischen Schreiben gefunden – und ist seither zu einer Grande Dame der deutschsprachigen Literaturszene avanciert. Ihre Romane begeistern seit Jahren gleichermaßen Leser und Kritiker. Tatsächlich wollte Bovenschen schon immer literarisch schreiben, hielt das aber für nicht vereinbar mit ihrem Beruf als Literaturwissenschaftlerin:
"Wahrscheinlich hatte ich immer den Wunsch, das zu machen. Habe mir das aber irgendwie verboten, so an der Universität, da musste man nachweisen, dass man wissenschaftlich arbeiten kann, seriöse Texte schreiben kann und dann bin ich immer mehr in die Essayistik gerutscht, nachdem ich diesen Nachweis erbracht hatte, und der Essay ist ja schon so ein Bastard, ja, irgendwas zwischen Traktat und Poesie. Aber offensichtlich hat mir das nicht genügt, denn als ich dann irgendwann verrentet war und hier so rumlag, dann habe ich angefangen, so dieses Zeug zu schreiben."
Ingrid Noll hingegen, Deutschlands erfolgreichste Krimiautorin, dachte lange Zeit gar nicht ans Schreiben. Sie war vollauf mit ihrer Familie beschäftigt und unterstützte ihren Mann, einen Arzt, bei der Arbeit. Als ihr Erstling "Der Hahn ist tot" erschien, hatte sie ihren 56. Geburtstag schon hinter sich.
"Ich habe 20 Jahre lang in der Praxis mitgearbeitet und habe dann die Gutachten getippt und die Buchführung und was weiß ich alles gemacht, dann die drei Kinder, dann hatte ich meine Mutter zu pflegen, die hier war, dann habe ich im Chor gesungen und war im Elternbeirat und habe in der Volkshochschule Spanisch gelernt oder sonstige Sachen, die man im Klimakterium so treibt, jedenfalls, ich war wirklich ausgelastet und hatte nicht die Zeit dafür und vor allem auch nicht das eigene Zimmer. Wenn man drei Kinder hat, hat die Mutter selten ein eigenes Zimmer, das ist ja wohl bekannt, und es war auch nie Ruhe im Haus, es wurde hier Musik gemacht und geprobt, es wackelte, es ging einfach nicht. Ich habe aber schon irgendwo was vermisst und gedacht, für mich kommt noch was. Und als ich das eigene Zimmer hatte, begann eben die Experimentierphase, da dachte ich, da mache ich jetzt was draus."
Manche Bücher kam man nicht mit 20 schreiben
Zwar beschäftigte er sich täglich mit Texten, doch zu wenig Zeit und Ruhe zum Schreiben hatte auch Stephan Lohse. Erschwerend kamen bei dem Schauspieler noch Selbstzweifel dazu.
"Ich bin ein ganz gewöhnlicher Stadttheaterschauspieler. Das ist mit viel Arbeit verbunden. Und obendrein habe ich Theaterstücke inszeniert, das heißt, wenn ich mal Zeit hatte, habe ich meistens ein Theaterstück ausgedacht. Also entweder Stücke gemacht oder Projekte entwickelt. Und der andere Grund ist, dass ich fest davon überzeugt war, dass ich das nicht kann. Und oftmals probiert man Dinge einfach, wenn die Überzeugung stark ist, gar nicht aus."
Mit Anfang 50 hat Stephan Lohse es dann doch ausprobiert – mit Erfolg: Sein Roman "Ein fauler Gott" erschien im Frühjahr 2017. Lohse erzählt die Geschichte des kleinen Ben, dessen Bruder gestorben ist. Aber während Bens Trauer bald von den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens verdrängt wird, versinkt Bens Mutter Ruth in schwere Depressionen. Stephan Lohse hat seine Geschichte in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt:
"Sie teilen sich Kartoffelchips aus einer Tüte für 40 Pfennig. Für jeden zwei Chips und ein paar Krümel. Olli Erdmannsdorff legt seine Chips in die Tasche, um sie später zu essen, ihm klebt ein Leckerschmecker am Gaumen, der nicht abgeht. Anke Petersen schiebt ein rotes Wassereis durch die fingerdicke Öffnung ihres Mundes. Wahrscheinlich Erdbeergeschmack."
Ein Buch mit viel Humor, trotz des schweren Themas. Mit 20, meint Lohse, hätte er diesen Roman wohl nicht schreiben können:
"Es ist nicht nur Lebenserfahrung, es ist natürlich auch Leseerfahrung. Ich lese sehr viel und sehr gerne. Und natürlich entwickelt sich ein literarischer Geschmack auch über das, was man liest und ich hätte einfach mit 20 noch viele Bücher nicht gelesen, die ich inzwischen gelesen habe."
Vermittlungsproblem Alter
Stephan Lohse kam mit Hilfe einer Freundin zum Suhrkamp-Verlag. Ohne diese Unterstützung wäre es für ihn freilich schwierig geworden. Agentin Astrid Poppenhusen weiß: Einem Verlag ein spätes Romandebüt schmackhaft zu machen, ist nicht immer einfach.
"Die Schwierigkeit könnte sein, zu überzeugen mit einem Buch, bei dem man dann auch sagt: ja, da kommen vielleicht noch mehrere Bücher, damit sich für den Verlag der Marketingaufwand rechnet, für einen älteren Autor. Da haben jüngere Autoren Vorteile, weil sozusagen die Chance groß ist, dass die noch weitere gute Bücher schreiben werden, so banal ist das, aber das ist ein entscheidendes Kriterium für den Verlag und man kann die Verlage da ja in gewisser Hinsicht auch verstehen."
Verlage denken wirtschaftlich – und das kann für ältere Debütanten zum Problem werden. Auch Frauke Meyer-Gosau, selbst Autorin von Sachbüchern, weiß, dass es in den Verlagen immer mehr um ökonomische Überlegungen geht:
"Man muss sich ja überlegen, wenn jemand mit 50 seinen ersten Roman hat, wie viel wird da noch kommen? Wenn jemand 25 ist und wirkt vielversprechend, kann man sagen, das kann eine lange Schreibkarriere werden. Und davon profitiert der Verlag, weil er baut natürlich einen Autor auf, das kostet Zeit, das kostet nicht zuletzt auch Geld, und die Investition, die man da betreibt als Verlag, die zahlt sich in der Regel besser aus wenn jemand jung ist."
Tatsächlich sind gerade Romandebüts für Verlage teuer – nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch was das ideelle Engagement betrifft. Piper-Programmleiter Thomas Tebbe:
"Ja, Debüts haben den Zauber des Anfangs, aber sie haben eben auch die Schwierigkeit, dass man häufig an den Texten mehr machen muss, dass man den Namen natürlich neu etablieren muss, sodass es eigentlich in allen Abteilungen ein ordentliches Quantum an Leidenschaft braucht, um literarische Debüts durchzusetzen, weil man weiß, es ist in der Regel mit einer geringeren Auflage verbunden, es ist aber nötig für das Haus, für die Zukunft, für das Signal in die literarische Gemeinde, dass man Debüts macht. Also machen wir es gerne, aber es ist eben mit einem Quantum an Leidenschaft verbunden."
Dass sein Verlag jedoch bei älteren Debütanten zögerlicher sei, will Tebbe nicht bestätigen. Für ihn spielen in diesem Zusammenhang andere Kriterien eine Rolle:
"Wie passt das Buch ins Konzert der bereits vorhandenen Bücher, wie sieht es in der Saison aus, über die wir reden, sind es richtige Autoren oder ist denen jetzt mal ein Buch passiert, sind es Menschen, mit denen man über die Texte sprechen kann, die Änderungen oder Inspirationen gegenüber offen sind, oder sind es eher Personen, die doch darauf beharren, was auf dem Papier steht, und dann trifft sich die Entscheidung fast schon von alleine."
Ältere Debütanten sind oft weniger flexibel...
Es geht also auch um die Kooperationsbereitschaft der Autoren, um ihre Fähigkeit, Kritik zu akzeptieren und Änderungsvorschläge nicht von vornherein abzulehnen. Vielleicht ein Manko für ältere Autoren – denn sie sind, meint Frauke Meyer-Gosau, mitunter weniger bereit, sich den Vorstellungen des Verlags anzupassen. Etwa wenn es um Lesungen geht:
"Sie müssen ja immer damit rechnen, dass am Literaturbetrieb teilzunehmen bei uns auf jeden Fall heißt, sie müssen auch auftreten und der Charme der Jugend ist ja unschlagbar und wenn man jüngeren Autoren sagt, na ja, weißt du, also vielleicht mach mal nicht so, mach mal lieber das oder sei da mal ein bisschen vorsichtig, sind die natürlich viel eher bereit, das von jemand Älterem anzunehmen als jemand, der ein gelebtes Leben schon hinter sich hat und der genau weiß, was er warum macht."
... aber jüngere Debütanten oft eigensinniger
Freilich: auch junge Autoren können eigensinnig und unkooperativ sein. Das wissen "Ullstein-fünf"-Lektorin Ulrike von Stenglin und Piper-Programmleiter Thomas Tebbe aus Erfahrung:
"Je jünger die Autorin war, desto weniger hat sie sich vielleicht sogar sagen lassen, wie sie präsentiert wird von uns", sagt von Stenglin. "Wir haben zum Teil Fotos gemacht, die dann eigentlich abgesegnet waren und dann im letzten Moment doch wieder aus der Vorschau rausgenommen wurden, weil ich glaube gerade junge Leute in der Eigeninszenierung auch noch ganz andere Vorstellungen haben."
Und Tebbe: "Es gibt 20-jährige Debütantinnen, die sehr, sehr eigen sind, während es mit 50-jährigen Autoren oder auch mit 60-jährigen so ist, dass die genau wissen, was sie können und was das Gegenüber kann und deshalb vielleicht weniger beharrlich sind wenn es darum geht, auf Dingen zu bestehen, die vielleicht doch noch nicht optimal sind."
Herausforderungen ans Marketing
Wie vermarktet man also ein spätes Debüt? Auf das Aussehen, den Schmelz der Jugend und die genialische Pose kann man nicht setzen. Ließe sich – wo doch die Wirtschaft immer stärker auf agile Senioren ausgerichtet ist - auch in der Literatur vielleicht der Reiz des Alters protegieren? Das funktioniere nur in außergewöhnlichen Fällen, sagt Julian Hein, der bei "Ullstein fünf" für das Marketing verantwortlich ist:
"Sowieso ist das Debüt für eine Werbebotschaft jetzt keine riesige Neuigkeit mehr, also es kommt ständig ein Debüt und ob nun von jung, von alt, es ist glaube ich schwierig, mit nur dieser Aussage eines Debüts zu sagen: oh, das ist spannend für eine Leserschaft. So. Aber das Debüt einer 77-jährigen ist jetzt nicht total alltäglich und insofern durchaus eine Vermittlungsstrategie an Buchhändler, zu sagen: das ist was Besonderes, das kannst du dir hinlegen..."
Viele Wettbewerbe begünstigen jüngere Autoren
In einem Bereich aber wird die jugendliche Dominanz besonders deutlich: wenn es um Ausschreibungen und Wettbewerbe geht. Denn da gibt es oft eine Altersbegrenzung. Eine unselige Entwicklung, meint Gunther Nickel, Projektleiter beim Deutschen Literaturfonds in Darmstadt:
"Für Stipendien, Preise oder was ansonsten an Förderinstrumenten da ist, würde ich überhaupt keine Altersbegrenzung, überhaupt keine Quotierung in irgendeiner Form vornehmen. Das Optimale wäre, zu sagen, wir wollen gute, literarische Texte. Und am besten wäre es, wenn man da vielleicht sogar Blindbewerbungen, ja, macht, sodass man weder sieht, welches Geschlecht, welches Alter oder Herkunft, ja, also jemand hat. Ich würde da gar nicht differenzieren, also ich halte auch Quotierungen jeder Art für falsch."
Der Deutsche Literaturfonds ist eine Einrichtung zur Förderung deutscher Gegenwartsliteratur. Er unterstützt Autoren und hilft bei der Finanzierung von Übersetzungen und Veranstaltungen. Und er vergibt Stipendien ohne Altersbeschränkung – mit gutem Grund:
"Es geht um die Qualität von Texten, und da ist es völlig egal, ob das jemand mit - ich sag's mal polemisch, mit Schuhgröße 44 oder mit Schuhgröße 41 geschrieben hat, und es ist auch genauso egal, ob jemand 29 ist oder sagen wir mal 58. Das sind natürlich dann auch unterschiedliche Texte, die dabei rauskommen, je nachdem, wie alt man ist, aber das muss man sozusagen nach intrinsischen Merkmalen dann auch bewerten, das ist ja auch eben das Schöne an Literatur, dass sie nicht uniform ist. Aber da jetzt irgendwelche Quotierungen einzuziehen, ist einfach sachlich nicht geboten und deswegen machen wir es auch nicht."
Thomas Wohlfahrt vom Haus für Poesie in Berlin hingegen nennt ein praktisches Argument für eine Altersgrenze wie etwa beim Open Mike, einem jährlich stattfindenden, literarischen Nachwuchswettbewerb, für den sich nur Autoren bis 35 Jahre bewerben dürfen:
"Würde man jetzt sagen: okay, wir machen eine Wettbewerbssituation für ab 45 oder ab 40 wird man erstaunt sein, wie wenig da reinkommt, weil es nämlich auch kaum was gibt. Also deutlich weniger jedenfalls als in einer Phase, wo Leute jünger sind sich austesten und probieren und da Lust und Spaß dran finden und dann auch – womöglich ist das mein Weg."
Ein Land voller Diplomlyriker
Freilich hat die ausgeprägte Förderlandschaft für Jungautoren mit Stipendien, Studiengängen und Schreibschulen auch Nachteile. Gunther Nickel vom Deutschen Literaturfonds hält das amerikanische System für sinnvoller, denn dort, sagt er, würden Creative-writing-Kurse meist nur als Begleitung eines anderen Studiums angeboten. Hierzulande jedoch gelten solche Kurse an den Schreibschulen als Vollstudium – und das kann für die jungen Autoren fatal enden:
"Wie andere Metzger werden, werden diese Leute dann Diplom- oder Masterschriftsteller. Also wir haben dann also Diplomlyriker, wir haben Diplomdramatiker und Diplomromanciers. Bis etwa 35 haben Sie, wenn Sie ein bisschen was können, eigentlich gute Chancen, durchfinanziert zu werden, mit Aufenthaltsstipendien, mit Schreibstipendien, Sie kommen gut durch die Welt, und das führt natürlich auch dazu, dass immer mehr junge Leute in diesen Bereich drängen, weil natürlich Schriftsteller zu sein viel spannender ist, als irgendwie eine Bauingenieursausbildung zu machen, nicht? Ich glaube, dass das eine problematische Entwicklung ist, weil sie Leute in eine Professionalität drängt, die nicht auf Dauer ihren Lebensunterhalt bestreiten können."
Agentin Astrid Poppenhusen empfiehlt deshalb ihren Autoren, noch einen halbwegs sicheren Brotberuf zu erlernen:
"Wenn man dann 35, 40 ist und sagt, oh ja, okay, also jetzt mit dem Schreiben, da habe ich zwar mal große Vorschußlorbeeren bekommen, aber so richtig erfolgreich war das nicht, zumindest kann ich mir meinen Lebensunterhalt damit nicht sichern, jetzt müsste ich dringend sehen, das ich irgendwas anderes mache, und dann ist es mit dem etwas anderes Machen sehr viel schwieriger, weil man dann doch etwas nachholen muss, was andere schon viel früher gemacht haben. Und ältere Autoren sind an dem Punkt, sie werden ja schon irgendwie es geschafft haben bis zu diesem Alter, ein ganzes Stück weiter."
Ältere Debütanten sind bereits beruflich etabliert
Ein klarer Vorteil für ältere Debütanten: Sie haben sich meist schon im Berufsleben etabliert, verfügen über eine gewisse soziale Sicherung, ein weniger narzisstisches Ego und existentielle Wendigkeit. Autoren wie Ingrid Noll oder Karin Kalisa fallen nicht ins Bodenlose, wenn es mit dem Schreiben doch nicht klappt:"
"Wenn das nun nichts geworden wäre, ich wäre nicht gleich verzweifelt gewesen", sagt Noll. "Oder wenn das zweite und dritte Buch, alles verrissen und niemand hätte es gekauft, es wäre nicht so schlimm gewesen, denn ich habe vorher schon lange gelebt und habe ja auch nicht todunglücklich und schlecht gelebt, sondern ich hatte ein volles Leben, ein pralles Leben, und wäre auch ohne die Schriftstellerei jetzt nun nicht depressiv geworden."
Und Kalisa: "Ich war nie verbeamtet oder in so sicheren Beschäftigungsverhältnissen, dass ich gewusst hätte, ach, da bin ich jetzt bis zur Rente versorgt, ich kenne diese prekäre Beschäftigung, seit ich überhaupt ins Berufsleben eingetreten bin, für mich ist das überhaupt nichts Neues und von daher kann ich auch nicht sagen, na Gott sei Dank, dass ich erst spät damit angefangen habe, weil ich fühle mich so sicher, also es ist überhaupt nicht so, aber was ich vielleicht habe, ich habe eben jahrzehntelange Erfahrung mit prekärer Beschäftigung."
Ein Plädoyer fürs späte Debüt
Unstrittig ist: Wenn das Buch eines späten Debütanten veröffentlicht wird, ist literarische Qualität gewährleistet. Es gibt also einiges zu entdecken, bei den Spätberufenen der Literatur. Sie entsprechen nicht unbedingt dem Zeitgeist, aber sie haben Substantielles und oft auch Überraschendes zu sagen. Ihre Texte speisen sich mitunter aus außergewöhnlichen Lebenswelten, schlagen oft auch eine Brücke in die Vergangenheit. Als Stimmen im Kanon der Literatur sollte man auf solche Autoren und Autorinnen keinesfalls verzichten, ...
"... weil man zum Beispiel ja auch nicht weiß, was ist eigentlich an Text und Materialvorrat bei diesen älteren Debütanten zu Hause? Was haben die über die Jahre schon entwickelt", sagt Frauke Meyer-Gosau.
"... weil ich das auch sehr wichtig finde und wunderschön, wenn Menschen in allen Altergruppen etwas zu sagen haben und das auch schreiben können", meint Astrid Poppenhusen.
... denn "am Ende muss der Text überzeugen, muss eine Energie aus dem Text kommen, die sozusagen unabhängig vom Lebensalter ist", erklärt Thomas Tebbe.