Meese vs. Meyer
In München findet derzeit das 5. Literaturfest statt. Im "Forum: Autoren" hat der Schriftsteller Clemens Meyer Dichter, Musiker und Künstler eingeladen. Auch Jonathan Meese war zu Gast und hat sich als Wagnerianer inszeniert.
Das Gebläse der Heizlüfter absorbiert das Stimmengewirr. Kalte Stahlbeton-Wände. Die Aluminium-Bautreppe quietscht unter den schritten der ersten Besucher. Sie steigen hinunter in die 30 Meter hohe Kesselhalle eines ehemaligen Heizkraftwerks - das Mixed Munich Arts, eine kulturelle Zwischennutzung unweit vom Münchner Hauptbahnhof.
Clemens Meyer: "Im Prinzip sind wir so etwas wie Höhlenforscher, die dem Licht zustreben. Ob wir es aber jemals erreichen werden, das wissen wir nicht. Aber auf diesem Weg wird uns sicher einiges begegnen und passieren. Jetzt sind wir wieder in so eine Kinderbuch-Metapher, aber ... Auch nicht schlecht."
Vieles bleibt im Dunkeln. So mancher Dichter und Denker würde sich bestimmt im Grabe umdrehen, bei dem von Clemens Meyer kuratierten Begleitprogramm zum Literaturfest München. Denn auf dem "Forum: Autoren" rappelt es nur so in der Kiste.
Clemens Meyer: "Wir lassen die Toten wieder auferstehen, wir lassen Céline wieder auferstehen, wir lassen Fichte wieder auferstehen und kucken, wohin sich das bewegt."
Ganz klar! 2014 braucht es für eine literarische Geisterbeschwörung mindestens ein Talk-Show-Format - natürlich mehr Harald Schmid als Stefan Raab. Etwa 200 Besucher: Ein fröstelndes Publikum mit fragenden Gesichtern. Was erwartet uns wohl?
Clemens Meyer: "Ganz simpel gesagt: eine ganze Menge oder vielleicht auch nichts."
Mehr als 100 Veranstaltungen
Los geht's! Clemens Meyer besteigt die Bühne - eine wenig Kirchen-Kanzel, ein wenig Königsthron auf einem Fundament aus gebündelten Zeitungen. Er greift in einen Stapel Bücher - liest ein paar Zeilen. Nächstes Buch - liest ein paar Zeilen. Nächstes Buch. Das Lesen von Literatur-Samples wie das Klicken durchs Internet.
Acht Abende lang flankiert Clemens Meyer mit dem "Forum: Autoren" die mehr als 100 Veranstaltungen auf dem Literaturfest München.
Mit illustren Gästen: Schauspieler und Schriftsteller, Musiker und Maler mit Hang zum Enfant terrible. Zum Auftakt würdigt Franz Dobler einen in den 80er-Jahren verstorbenen Pionier der Popliteratur: In rhythmischer Sprach-Musik bringt er Texte von Jörg Fauser auf die Bühne.
"Was mich besonders interessiert, sind seine verschiedenen Arbeitsfelder: Von jemanden, der brutal aber romantisch Gedichte schreibt, hin zu jemanden, der in Interviews gesagt hat, er sieht sich als ein Geschäftsmann, er erledigt einen Job, für den, der ihm dem Job gibt."
Die Künstlergruppe Hagel fräst mit der Kettensäge Konturen in Spanplatten - mit Schraubzwingen zu einem etwa 20 Quadratmeter kleinen Kubus zusammen gezimmert. Der ´Laden für Nichts' des Leipziger Galeristen Uwe-Karsten Günther ist das Kunst-Event für die After-Show-Party. Eine Bar, viele Drinks, in der Mitte ein DJ-Pult. Die Fassaden: bepinselt und beklebt. Collagen-Kunst und Trash-Kultur.
Clemens Meyer: "An München muss man sich reiben: ich komme aus Leipzig und wir pflanzen hier ein kleines Leipzig in München rein. Das wird sich irgendwie gegenseitig befruchten, oder es wird eine gewaltige Implosion geben. Am Ende ist nichts mehr übrig - weder Leipzig noch München noch die Welt."
Jonathan Meese − fehlt nur noch die rituelle Fußwaschung
Am Freitagabend ist es dann Zeit für eine künstlerische Lichtgestalt: Jonathan Meese betritt die Bühne des "Forum: Autoren". Nach der Parsifal-Pleite in Bayreuth inszeniert er sich kurzerhand auf dem Literaturfest München als Wagnerianer im Kampf gegen die Diktatur der Kultur-Industrie. Seine Jünger sind dem Messias gefolgt - fehlt nur noch die rituelle Fußwaschung.
Besucher: "Ich fand es klasse! Auch wenn er sehr provoziert. Weil er zum Nachdenken anregt. Und das soll ja Kunst, und Literatur auch."
Besucher: "Ich fand ihn auch sehr unterhaltsam."
Besucher: "Anfangs sehr interessant, und dann irgendwann konnte ich nicht mehr."
Besucher: "Ich fand ihn auch sehr unterhaltsam."
Besucher: "Anfangs sehr interessant, und dann irgendwann konnte ich nicht mehr."
Das "Forum: Autoren" auf dem Literaturfest München polarisiert und provoziert. Und das ist gut so. Clemens Meyer trägt die letzten Genre-Grenzen zwischen Literatur und Kunst zu Grabe und inszeniert die Auferstehung einer Kultur des Spektakels.
Clemens Meyer: "Ach, Literatur und Kunst - alles Schlagwörter. Am Ende ist alles eins. Mehr sage ich dazu nicht."