Literaturfestival Durban

Der lange Schatten der Apartheid

Die südafrikanische Schriftstellerin Nozizwe Cynthia Jele
Die Schriftstellerin Nozizwe Cynthia Jele ist eine der wenigen schwarzen Autorinnen aus Südafrika. © Deutschlandradio / Gaby Mayr
Von Leonie March |
Der südafrikanische Literaturbetrieb ist weiß - auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid. Deshalb hat das Literaturfestival in Durban vor allem ein Ziel: die Entkolonialisierung des Buchs.
Kapstadt vor einem Jahr. Studenten protestieren gegen koloniale Denkmäler. So lange bis die Statue Cecil Rhodes' vom Campus entfernt wird. Es ist der symbolträchtige Beginn einer Protestbewegung, die Südafrika bis heute prägt.
Unter den Demonstranten ist damals auch der Dozent und Autor Thando Mgqolozana. Wenig später sitzt er bei einem Literaturfestival wieder einmal unter überwiegend weißen Schriftstellerkollegen vor einem hellhäutigen Publikum. Ein Widerspruch, den er nicht mehr hinnehmen will. Er kündigt an, dass er nicht länger als politisch-korrektes farbiges Feigenblatt zur Verfügung steht.
"Ich bin eigentlich ein scheuer Mensch. Aber damals stand ich vor der Wahl, mich entweder in mein Schneckenhaus zurückzuziehen, oder aktiv zu werden und zu kämpfen. Die Entkolonialisierung ist wohl das wichtigste Anliegen unserer Zeit. Sie betrifft alle Bereiche der Gesellschaft - auch den Literaturbetrieb. Es ist wichtig, dass sich Schriftsteller in ihren Texten damit auseinandersetzen. Aber das ist nicht genug. Wir müssen auch handeln. Denn das Ziel geht uns alle an: eine Gesellschaft, die nicht länger von kolonialen Vorstellungen geprägt ist."

Ende des weißen Literaturbetriebs

Diesen Ruf hat das Literaturfestival "Time of the Writer" in Durban aufgenommen und Thando Mgqolozana als Ko-Kurator engagiert. Er sorgt dafür, dass die Lesungen nicht mehr an der Universität oder im Stadtzentrum stattfinden, sondern in den ehemaligen Townships. Ein erster Bruch mit den schwarz-weißen Strukturen der Apartheid. Die ganze Woche diskutieren Schriftsteller, Verleger, Buchhändler und Leser dort über die Entkolonialisierung des Buchs. Angesichts des blendend weißen Literaturbetriebs sei das eine längst überfällige Debatte, freut sich Panashe Chigumadzi, deren Debutroman "Sweet Medicine" im Herbst in Südafrika erschienen ist.
"Das südafrikanische Verlagswesen ist ein Spiegel der Gesellschaft, in der die sozio-ökonomische Macht noch immer in den Händen der Weißen ist. Es gibt also nur sehr wenige schwarze Verleger und Lektoren. Auch die Buchhändler und Leserschaft sind überwiegend weiß. Das wirkt sich natürlich darauf aus, was veröffentlicht wird. Mir haben die meisten weißen Verleger mit den Worten abgesagt, mein Roman habe auf dem Markt keine Chance. Was bedeutet das? Müssen wir unsere Bücher für ein bestimmtes Publikum schreiben, auf eine Art, die sie verstehen? Müssen wir immerzu problematisieren, was es bedeutet Schwarz zu sein? Oder müssen wir einen neuen Markt schaffen? Es kostet viel Kraft, nicht einzuknicken und trotzdem bei seiner Geschichte zu bleiben."
Der Erfolg ihres Erstlingswerks hat die Autorin bestärkt - die erste Auflage ist bereits vergriffen. Junge dunkelhäutige Leser sehnen sich nach Geschichten, die ihre Lebenswirklichkeit widerspiegeln, erklärt der Schriftsteller Niq Mhlongo. Seine Romane, wie zuletzt "Way Back Home", spielen allesamt in seiner Heimat Soweto und werden dort auch gelesen.
"Die Kultur des Lesens wächst. In Soweto werden zum Beispiel Bücherclubs immer populärer. Die Leute informieren sich in den sozialen Medien über Neuerscheinungen. Die Verkaufszahlen steigen, auch wenn natürlich noch viel Platz nach oben ist. Aber man kann sich sicher sein, dass ein Buch nicht nur von einem gelesen, sondern mehrfach ausgeliehen wird. So inspirieren wir auch junge Talente zum Schreiben und überbrücken die Kluft in der Literaturlandschaft langsam. Es ist wichtig, dass wir endlich unsere eigenen Geschichten erzählen, denn wir sind die einzigen, die das authentisch leisten können."

Europäische und amerikanische Bücher dominieren

Es sei also ein Mythos, dass junge Afrikaner sich nicht für Bücher interessieren, betonen junge Autoren wie Niq Mhlongo und Panashe Chigumadzi. Das Problem ist eher struktureller Natur. An Schulen und Universitäten werden auch über 20 Jahre nach Ende der Apartheid fast ausschließlich europäische oder amerikanische Bücher, aber kaum afrikanische Gegenwartsliteratur gelesen. Die Texte sind überwiegend Englisch und nicht in einer der anderen elf offiziellen Landessprachen verfasst. Büchereien und Buchläden sind in den ehemaligen Townships Mangelware. Zu diesen bereits hohen Hürden komme die Armut, sagt Thando Mgqolozana.
"Bücher sind in Südafrika teuer. Ein Roman kostet zwischen 8 und 15 Euro. Das ist mehr als viele Leute am Tag verdienen. Wenn man sie also fragt, ob sie ihr letztes Geld für das Zugticket nach Hause oder für ein Buch ausgeben, liegt die Antwort auf der Hand. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass mehr Bücher kostenlos zur Verfügung stehen. Dabei ist auch die Regierung gefragt."
Die Stadt Durban will hier mit gutem Beispiel vorangehen. Im Rahmen des Literaturfestivals stockt sie die Bibliotheksbestände auf. Jedes Buch, das bei "Time of the Writer" besprochen wird, soll das Publikum später auch lesen können. Ein erster kleiner Schritt zum großen Ziel der Entkolonialisierung.
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