Hans Fallada: "Lilly und ihr Sklave"
Herausgegeben von Johanna Preuß-Wössner und Peter Walther
Aufbau Verlag, Berlin 2021
269 Seiten, 22 Euro
Die Höllenfahrt des Hans Fallada
11:11 Minuten
Der Zufallsfund einer Gerichtsakte offenbart Einsichten in Hans Falladas Persönlichkeit und erlaubt Rückschlüsse auf sein literarisches Schaffen. Germanist Peter Walther über die Abgründe des Schriftstellers, die ihn sogar ins Gefängnis brachten.
Am Kieler Institut für Rechtsmedizin fand die Ärztin Johanna Preuß-Wössner eine Gerichtsakte über Hans Fallada. Darin tauchten auch bislang unbekannte Texte des Schriftstellers auf. Fallada-Biograf Peter Walther ordnet diese als "literarische Zeugnisse des Übergangs" ein.
Sucht bringt ihn ins Gefängnis
"Lilly und ihr Sklave" oder "Robinson im Gefängnis", so die Titel der bislang unbekannten Texte, hätten noch nicht den Ton, den man von "Bauern, Bonzen und Bomben" oder "Kleiner Mann -was nun?" kennt. Jedoch unterschieden sie sich auch von Falladas frühen Texten, denen Germanist Walther "Kunstbemühen, aber wenig Resonanz" attestiert.
Fallada saß in seinem Leben dreimal im Gefängnis und war mehrfach in psychiatrischen Einrichtungen. Er litt unter einer Persönlichkeitsspaltung und versuchte, diese mit verschiedenen Süchten zu betäuben. Im Rahmen seiner Beschaffungskriminalität unterschlug er mehrfach Geld.
Nachdem er in Greifswald aus dem Gefängnis entlassen wurde, kam er nach Neuhaus bei Kiel. Hier bekam er den Auftrag, in Kiel 4000 Reichsmark, heute etwa 18.000 Euro, abzuholen.
Eine Höllenfahrt
"Er ging eine Wette gegen sich selbst ein", sagt Biograf Walther. Wenn es ihm gelinge, das Geld nicht für seine Sucht anzurühren, habe er es geschafft. So fährt er 1925 nach Kiel und, so Walther: "Damit beginnt eine Höllenfahrt."
In sechs Tagen bringt er das Geld durch: In Kiel besucht er ein Bordell, fährt nach Hamburg, nimmt ein Flugzeug nach Berlin, kauft sich dort einen neuen Anzug und nimmt den Nachtzug nach München. Von dort aus fährt er weiter nach Leipzig und zurück nach Berlin. Überall besucht er Bordelle und trinkt viel Alkohol.
Zurück in Berlin stellt er sich am Alexanderplatz der Polizei. Auch, um seiner Sucht zu entkommen, will er regelrecht ins Gefängnis.
Der Kieler Gerichtsmediziner Ernst Ziemke verfasste daraufhin die nun gefundene Akte über Fallada. Durch diese Akte wird der biografisch authentische Anteil an der Erzählung "Drei Jahre kein Mensch", die den Untertitel "Erlebtes, Erfahrenes, Erfundenes" trägt, deutlich.
Literarische Camouflage
Fallada habe sein Leben literarisiert. Dank dieser Akte, so Walther, wisse man nun mehr über Falladas Technik der literarischen Camouflage. Und man wisse auch mehr über seinen Kampf gegen seine Dämonen.
Leitthema der Texte sei die Sehnsucht nach Auflösung seiner inneren Zerrissenheit, die ihn auch in der Liebe quälte. Er kombiniere den Wunsch nach mütterlicher Geborgenheit mit einer erotischen Komponente, so Walther. In Beziehungen habe er sich immer als kleiner Junge gesehen, als Kind, das sich verkriechen kann und die innere Spannung auflösen will.
"Es ist dann beinahe wie im Märchen", so Walther, "dass ihm das nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis dann zumindest zeitweise gelingt, als er seine spätere Frau kennenlernt."