Polnische Verhältnisse lesen
53:52 Minuten
Olga Tokarczuk, die am 10. Dezember 2019 den Literaturnobelpreis erhält, ist Proteste gewöhnt. Fast immer schreibt sie über ein Polen, das die PiS-Regierung vergessen machen möchte: nicht immer heroisch, nicht immer Opfer, nicht homogen.
Olga Tokarczuk, Trägerin des nach vielen Skandalen erst dieses Jahr verliehenen Literaturnobelpreises 2018, schreibt nicht nur in ihrem neuen Roman "Die Jakobsbücher" gegen ein Polen an, das seine vielsprachige und multireligiöse Vergangenheit vergessen will und zunehmend nach Homogenität strebt.
Tokarczuk, die in der Einsamkeit des niederschlesischen Eulengebirges lebt, greift auch öffentlich in die Debatte ein: Sie spricht sich gegen die Abschottungspolitik der national-konservativen Regierung in Warschau aus und mahnt ihre Landsleute, die Geschichte Polens nicht nur als Heldengeschichte zu erzählen – auch widersprüchliche und dunkle Kapitel müssten beleuchtet werden. Das brachte ihr heftige Proteste und sogar Morddrohungen ein.
Jüdischer, islamischer, katholischer Mystiker
Mit "Die Jakobsbücher" ist Tokarczuk ein großer Wurf gelungen. Das Buch wurde in der Heimat mit dem angesehenen Nike-Preis prämiert und in Schweden als "Buch des Jahres" ausgezeichnet. Die deutsche Ausgabe, übersetzt von Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein, ist gerade im Kampa Verlag erschienen.
Im Mittelpunkt des historischen Romans steht die schillernde Figur Jakob Franks, ein Mystiker, der im 18. Jahrhundert vom Judentum zum Islam konvertierte und schließlich zum Katholizismus übertrat.
Sabine Adler besuchte Tokarczuk in Polen. Ihr Feature wurde erstmals am 11. Dezember 2016 gesendet.
Am Dienstag, dem 10. Dezember 2019, wird Olga Tokarczuk in Stockholm der Nobelpreis für Literatur überreicht, zusammen mit Peter Handke, dem Preisträger des Jahres 2019.
Das Manuskript der Sendung finden Sie hier.