Vom Baufacharbeiter zum Experten für Brecht und Benjamin
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Er war von Kindheit an ein begeisterter Leser und wusste: Sein Beruf würde mit Literatur zu tun haben. Doch der Weg dahin war für den Pfarrerssohn in der DDR voller Hindernisse. Heute leitet Erdmut Wizisla das Brecht-Benjamin-Archiv in Berlin.
Auch nach vielen Jahren der Beschäftigung mit Bertolt Brecht und Walter Benjamin ist der Archivar Erdmut Wizisla von den beiden noch begeistert. Tatsächlich stößt er auch jetzt noch gelegentlich auf bisher Unbekanntes: "Sogar im Archiv findet man immer wieder was Neues. Bei der Ausstellung ‚Benjamin und Brecht‘, die wir vor zwei Jahren hatten, war so ein kleiner Zettel, den ich immer nicht entziffern konnte, und dann wurde der fast sowas wie das Schlüsseldokument."
Ihn faszinieren die Ähnlichkeiten, aber vor allem die Unterschiede der beiden und die Spannungen, die dadurch entstehen. So bildeten Konversationen der beiden, in denen deren verschiedene Ansätze oder gar Konflikte zu Tage traten, auch einen Schwerpunkt der erwähnten Ausstellung. Brecht und Benjamin hat Wizisla bereits für seine Dissertation zusammengebracht – trotz Warnungen, sich doch damit nicht zu übernehmen: "Da war ich schon so weit, da hab ich nicht drauf gehört".
Im Schülerbeirat des Berliner Ensembles
Der Weg hin zu dieser Dissertation und der späteren Arbeit als Literaturwissenschaftler und Archivar verlief allerdings keinesfalls gradlinig. Als Kind eines Pfarrers befand er sich in der DDR (zunächst in Leipzig, dann in Berlin) häufig in einer Außenseiterposition: Konfirmation statt Jugendweihe, kein Pionier und auch kein FDJ-Mitglied und erstmal auch kein Abitur. Die Liebe zu Büchern kam auch nicht wirklich über die Schule – Brecht empfand er im Unterricht als "ein bisschen langweilig. Ich hatte nie das Glück, guten Deutsch-Unterricht zu haben."
Seinen Zugang zur Literatur fand Wizisla über die Bände von Heinrich Böll in der elterlichen Bibliothek. Der Fund einer Taschenbuch-Ausgabe von Brechts 100 Gedichten, inklusive des handgeschriebenen Gedichts "Die Lösung", das sich kritisch mit den Ereignissen des 17. Juni auseinandersetzt, führte schließlich zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Dichter und Dramatiker. Ebenfalls hilfreich war der Hinweis eines Lehrers auf das Berliner Ensemble, wo Wizisla bald darauf Mitglied des Schülerbeirats wurde, was ihm zahlreiche und günstige Theaterbesuche ermöglichte.
Es gibt ein Leben jenseits der Bücher
Das Abitur folgte dann im Umweg über die Kombination "Berufsausbildung mit Abitur". Als gelernter Baufacharbeiter hat Wizisla aus dieser Zeit einige praktische Fähigkeiten mitgenommen, die er nicht missen möchte. "Morgens um 5:28 Uhr an der Straßenbahn zu stehen und auf der Baustelle zu frieren ist nicht besonders toll. Aber du vergisst nie, dass es ein anderes Leben gibt, als das mit Büchern, das in einer Universität oder einem Archiv."
Schon als sehr junger Mann machte Wizisla Führungen durch das Brecht-Haus, obwohl er noch kein Studium hatte und auch sonst nicht ganz stromlinienförmig funktionierte, aber: "Da waren Leute, die interessiert daran waren, junge Menschen zu finden, die für die Sache brennen. Mein damaliger Chef war selbst nicht in der Partei und hat zusammen mit anderen, die da im Archiv waren, den Mut gehabt mich zu fördern."
Dass er dann doch noch studieren konnte, geschah nur durch "Protektion", wie er sagt: "Weil ich die Tochter von Brecht kennenlernte und die mich zum Studium geschickt hat. Sie hat dem Minister geschrieben, dass bei ihr ein junger Mann arbeitet, der gerne studieren will, und ob sie ihn als Kleinstbetrieb, der die Brecht-Erben ja sind, nicht delegieren könne."
Wenn er mal nicht im Archiv stöbert oder Ausstellungen organisiert, hat man gute Chancen, Erdmut Wizisla im Fußballstadion anzutreffen: Zusammen mit seinen Töchtern geht der Fan und Dauerkarten-Inhaber regelmäßig zu den Heimspielen von Hertha BSC.
(mah)