Als Schreiber für Netflix hätte er sich wohlgefühlt
Theodor Fontane war nicht nur Romancier und Dichter, sondern auch ein talentierter Journalist, der seine Romane gründlich recherchierte. Heute wäre er vermutlich ein erfolgreicher TV-Serienautor, glaubt Literaturwissenschaftler Peer Trilcke.
An Theodor Fontane kommt man 2019 nicht vorbei. Am 30. Dezember wird der 200. Geburtstag des Autors von "Wanderungen durch die Mark Brandenburg", "Effi Briest", "Der Stechlin" oder "Frau Jenny Treibel" begangen. Jede Menge Veranstaltungen erwarten die Berlin-Brandenburger, denn Fontane wurde in Neuruppin geboren und lebte etliche Jahrzehnte in Berlin. So mancher musste in der Schule Fontanes Werke lesen und sein vielleicht berühmtestes Gedicht, "Herr von Ribbeck im Havelland", auswendig lernen - und hielt Fontane damals für etwas verstaubt.
Für Peer Trilcke, Juniorprofessor für deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Theodor Fontane an der Universtität Potsdam, dagegen ist Fontane ziemlich modern: "Als Schreiber für Netflix oder Amazon hätte er sich gar nicht so unwohl gefühlt." Dass der alte Fontane – der tatsächlich erst spät damit begann, Romane zu schreiben – Talent zum TV-Serienschreiber gehabt hätte, ergibt sich für Trilcke aus der Art und Weise, wie Fontane damals seine Romane konzipiert und veröffentlicht hat: als Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen und Magazinen. Inklusive geschickt platzierter "Cliffhanger", wie man sie aus Fernsehserien kennt.
Bücher nur als Zweitverwertung
Das sei damals, im 19. Jahrhundert, absolut üblich gewesen. "Tatsächlich ist das epische Fernsehserien-Format, das wir seit ein paar Jahrzehnten kennen, gar nicht so weit entfernt von dem, was da im 19. Jahrhundert passiert." Und, so betont Trilcke: "Das Buch war nur eine Sekundärverwertung."
Die Tatsache, dass Fontanes Romane häppchenweise als Serie erschienen seien, "das macht ja auch etwas mit Literatur, mit Erzählformen, wie wir das ja auch heute von den Serien kennen", so Trilcke weiter. Dabei habe er immer versucht, nicht nur gut verkäufliche Unterhaltungsliteratur zu produzieren, sondern sich stets um eine ästhetisch anspruchsvolle zweite Ebene unter der Handlungsoberfläche bemüht.
Vielfach noch unentdeckt: Der Journalist
Was Fontane für Trilcke, der auch Leiter des Fontane-Archives in Potsdam ist, noch heute spannend macht, ist sein weitgehend unbekanntes Wirken als Journalist, der sein Handwerk in Deutschland und als Korrespondent in England gründlich gelernt habe: wie man Leitartikel verfasse, recherchiere und anschließend pointiert und für bestimmte Adressatengruppen schreibe.
Und genau diese Fertigkeiten seien später zum Einsatz gekommen, als Fontane seine Bücher schrieb. "Seine Romane sind nicht am Schreibtisch ersonnen, von den Musen geküsst", sondern Fontane habe sich vom Schreibtisch wegbewegt, um aktuelle Ereignisse und geschichtliche Hintergründe zu recherchieren, die wichtig für die Handlung seiner Geschichten gewesen seien.
Dass Fontane als Journalist auch für erzkonservative Zeitungen gearbeitet habe und dass er zudem durchaus, wie viele seiner Zeitgenossen, einen gewissen "Salonantisemitismus" gepflegt habe, werfe durchaus auch ein negatives Bild auf den Neuruppiner. Fontane sei widersprüchlich gewesen, betont Trilcke. Denn andererseits habe er etliche gute Freunde jüdischen Glaubens gehabt.
(mkn)