Tschechien im Goldrausch
Im tschechischen Erzgebirge liegt ein Milliardenvermögen: rund drei Prozent des weltweiten Lithium-Vorkommens. Und da der Bedarf an Lithium z.B. für E-Auto-Batterien ständig steigt, wittern Unternehmen ein riesiges Geschäft. Doch der Abbau birgt gewaltige Probleme.
Wer mehr wissen will über den regelrechten Goldrausch, der Tschechien gerade erfasst, muss die Suche in einem Prager Hinterhof beginnen. Dort sitzt der Tschechische Geologische Dienst, ein staatliches Forschungsinstitut.
Für Gestein ist Jaromir Stary zuständig, ein hoch dekorierter Wissenschaftler mit Fleecepulli, kräftigem Händedruck und Vollbart. Sobald die Rede auf die Lithium-Vorräte kommt, lacht er auf.
"Klar kenne ich das, als Student bin ich da sogar eingefahren in die Stollen!"
Das Material weckt große Fantasien
Im Erzgebirge lagert das Mineral, das in Tschechien gerade große Fantasien weckt: Lithium, ein Material, das sich aus der modernen Welt nicht mehr wegdenken lässt und dessen Marktpreis sich in den vergangenen Jahren vervielfacht hat. Beim Geologen Jaromir Stary steht seitdem das Telefon nicht mehr still, auch in etlichen Talkshows hat er den Tschechen bereits erklärt, was es mit dem Lithium auf sich hat. Stary versteht den Trubel nicht ganz, er schüttelt den Kopf:
"Es ist eben ein Modethema: Weltweit wächst der Bedarf an Lithium-Ionen-Akkus und es gibt noch keine Alternative zu ihnen. Lithium wird aber auch in anderen Produkten verwendet: Wenn man es bei Glas oder bei Keramik zusetzt, erhöht das die Abwehrfähigkeit des Materials gegen Hitzeschocks. Kannen zum Beispiel platzen deshalb nicht, wenn man heißes Wasser reinschüttet. Auch im Bergbau, in U-Booten und in Raumschiffen wird Lithium verwendet – und selbst Medikamente gegen Depressionen enthalten Lithium."
Die Lithium-Konzentration ist sehr gering
Und so könnte es ein Milliardenvermögen sein, das im Erzgebirge nahe dem tschechischen Ort Cinovec – mit deutschem Namen Böhmisch Zinnwald – unter der Erde liegt. In Tschechien, so schätzen Experten, lagern drei Prozent des weltweiten Lithium-Vorkommens; so viel wie nirgendwo anders in der Europäischen Union. Geologe Jaromir Stary:
"Es gibt auf der Welt zwei bedeutende Arten von Lithium-Vorkommen. Erstens in festem Gestein mit recht hoher Konzentration. Und zweitens in Flüssigkeiten, wo Lithium in gelöster Form vorkommt. Das ist beispielsweise in den Anden und in Tibet so. Das sind die beiden Hauptformen, wie sich Lithium gewinnen lässt."
In Tschechien, sagt Jaromir Stary dann, sei es ein dritter Typ:
"Hier ist das Lithium fein verteilt im Greisen enthalten, einem körnigen Gestein. Das ist die undankbarste der Möglichkeiten, weil die Konzentration am niedrigsten ist."
Aus vielen Tonnen Gestein müssen wenige Kilogramm Lithium erst mühsam herausgelöst werden, erklärt er:
"Stellen Sie sich vor, Sie haben hier auf dem Tisch einen Goldbarren, der ein Kilo wiegt. Und dann haben Sie die gleiche Menge Gold, aber verteilt in einem Gesteinsblock von einem Kubikmeter. Der Unterschied ist gewaltig."
Akkus für 420.000 E-Autos
So ähnlich sei das auch mit dem Lithium. Der Abbau in Tschechien habe sich wegen der geringen Lithium-Konzentration früher nicht gelohnt – erst jetzt, mit dem gestiegenen Rohstoffpreis, werde die mühsame Technik allmählich lukrativ. Die Berge im Erzgebirge sind vielfach bereits durchlöchert. Früher wurden hier Zinn und Wolfram abgebaut. Jetzt hat eine australische Firma die Lizenz gewonnen, hier Probebohrungen vorzunehmen. Die sind die Grundlage dafür, später Lithium abzubauen. Dass es aber ausgerechnet eine australische Firma ist, die hier bohrt, ist in Tschechien vor wenigen Wochen zum Politikum geworden: Warum ist es keine heimische Firma, warum nicht der Staat? Diese Fragen wurden im Wahlkampf aufgeworfen, und wohl auch deshalb will die australische Firma keine Interviews geben. Geomet heißt ihr tschechisches Tochterunternehmen, und von deren Geschäftsführer Richard Pavlik gibt es nur die Stellungnahme, die er vor einigen Monaten bei einer Pressekonferenz abgab:
"Wir können jährlich durch Verarbeitung dieses Gesteins 21 Tonnen Lithium-Karbonat gewinnen, was ein Zwischenprodukt ist. Daraus lassen sich im nächsten Schritt Akkus für 420.000 sehr gute Elektroautos bauen – von denen mit einfacherer Ausstattung sind es bis zu 600.000."
In fünf Jahren kann es frühestens losgehen
Das klang noch optimistisch. Inzwischen hält sich Richard Pavlik mit öffentlichen Äußerungen zurück. Dabei ist es laut Bergbau-Experten keineswegs ein unüblichliches Verfahren, dass Probebohrungen an Firmen vergeben werden. Das Lithium-Vorkommen im Erzgebirge wird von der deutsch-tschechischen Landesgrenze durchschnitten. Auf deutscher Seite lagert ein kleinerer Teil des Lithiums, insgesamt rund ein Viertel – und hier ist eine kanadische Firma mit der Probebohrung beschäftigt. In fünf Jahren, so sagen Experten, könnte eine Lithium-Gewinnung frühestens beginnen. Geologe Jaromir Stary:
"Am vorteilhaftesten wäre es natürlich, ein riesiges Loch zu graben, drei Kilometer mal drei Kilometer in der Ausdehnung, einen Kilometer tief, und so das Gestein zu gewinnen. Aber das ginge hier natürlich nicht. Man braucht ein Verfahren, bei dem die Auswirkungen auf die Landschaft minimal bleiben."
Hunderttausende Tonnen Gestein
Vermutlich würde man von einigen Fördertürmen aus Stollen weit in die Tiefe treiben. Hunderttausende Tonnen Gestein ließen sich so gewinnen – mit Methoden, die ausschließlich mechanisch funktionieren, also keine Gefahr für die Umwelt darstellten, sagt Jaromir Stary.
"Schwieriger wird es dann später: Wie macht man aus dem Konzentrat ein Produkt für den Verkauf, als Lithium-Karbonat? Da geht es um Säurebäder, um Sintern bei hoher Temperatur."
Dieses Procedere muss idealerweise in der Nachbarschaft des Bergbaus durchgeführt werden, damit angesichts der vielen Tonnen Gestein die Transportwege möglichst kurz bleiben. Auch über eine solche Fabrik denken die Investoren nach. Eine andere Firma plant derzeit, eine gewaltige Batteriefabrik in Tschechien zu errichten – die Wertschöpfung, darin sind sich die meisten Tschechen im neuzeitlichen Goldrausch einig, soll im Land erfolgen.