Jana Sophia Nolle: "Living Room: San Francisco 2017/2018"
Kerber-Verlag 2020
64 Seiten, 48 Euro
Dein Zuhause in meinem Wohnzimmer
08:20 Minuten
Stöcke, Planen, Pappen, Einkaufswagen: Obdachlose bauen sich oft eine Art Unterschlupf, der ihnen Schutz bieten soll. Für einen Fotoband hat Jana Sophia Nolle solche "Straßenwohnungen" in den Wohnzimmern Wohlhabender in San Francisco aufgestellt.
Als die Künstlerin und Fotografin Jana Sophie Nolle das erste Mal nach San Francisco kam, war sie schockiert über die große Zahl an obdachlosen Menschen in der Stadt.
Mit Planen, Pappen, Einkaufwagen, Seilen und Kinderwagen haben sie sich auf den Straßen und unter Brücken temporäre Unterkünfte gebaut, die ihnen und ihren wenigen Habseligkeiten Schutz bieten sollen. Sie sei fasziniert gewesen von der Kreativität, die in den jeweils unterschiedlichen Architekturen stecke, sagt Nolle.
"Oft spielt das Thema Fortbewegung eine Rolle, weil man auf der Straße nicht sicher ist und ständig gezwungen ist, sich von einer Ecke zur nächsten zu bewegen."
In scharfen Kontrast zu diesen vielen Obdachlosen steht die ebenfalls große Zahl der wohlhabenden und reichen Menschen in San Francisco, die sich auch in deren Vierteln mit ihren schönen Villen spiegelt.
Der Müll der Reichen kehrt zurück
Für ein Fotoprojekt, das jetzt auch als Buch "Living Room: San Francisco 2017/2018" erschienen ist, hat Jana Sophie Nolle beide Welten zusammengebracht: Sie hat die Behausungen von Obdachlosen nachgebaut und für ein Fotoprojekt in den Wohnzimmern von Wohlhabenden aufgestellt. Da steht dann das Zelt mit dem herzförmigen Vogelkäfig auf dem Perserteppich oder die Konstruktion aus Pappe, Stöcken und Plane neben dem schicken beigen Sofa.
Eine Provokation, sagt Nolle, denn mit dem Projekt ist gewissermaßen der Müll der Reichen an seinen Ursprungsort zurückgekehrt. "Wenn man auf der Straße lebt, nimmt man einfach alle möglichen Materialien, die man finden kann. Oft ist das der Müll der 'Reichen'."
Ein Kontakt zwischen den Wohlhabenden und den Obdachlosen selbst habe sich aber nur indirekt – über die Künstlerin – entwickelt.
"Sowohl die Obdachlosen als auch die wohlhabenden Teilnehmer haben sich über mich informiert und wollten Fotos sehen. Die Wohlhabenden wollten wissen: Wie sehen denn die Obdachlosen aus, von wem baue ich denn das Haus nach?", sagt Nolle. "Und andersherum bin ich wieder zurück auf die Straße und habe mit den obdachlosen Teilnehmern gesprochen, die dann total neugierig waren: Wie ist es denn gelaufen? Wie haben die reagiert? Werden die sich vielleicht auch mehr für diese Thematik einsetzen? Hat das ihren Blickwinkel verändert?"
(uko)