Eine unmögliche Freundschaft
Wie schwierig es ist, sich als Israelin mit einem Palästinenser anzufreunden, erzählt die bekannte israelische Autorin Lizzie Doron in ihrem Buch "Who the fuck is Kafka?". Im Gespräch erzählt sie von geheimen Treffen und Verkleidungen mit einer Burka.
Sigrid Brinkmann: Lizzie Doron wurde in Israel geboren. Mit 45 Jahren veröffentlichte sie ihr erstes, in viele Sprachen übersetztes Buch "Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?". Sie erhielt Preise und schrieb weitere Romane, die sie zur wichtigsten literarischen Stimme der "Zweiten Generation" machten, also der Kinder von Überlebenden der Schoa, die - wie sie - gegen das als bleiern empfundene Schweigen der Eltern rebellierten.
Ein palästinensischer Journalist mit israelischen Pass und sie wollten die Welt des jeweils Anderen erkunden - er mit der Kamera und sie schreibend. Fünf Jahre später gibt es keinen Film, nur ein Buch, den autobiographischen Bericht "Who the fuck is Kafka". Ich habe Lizzie Doron gefragt: Mit welchen Hoffnungen haben Sie Ihr Vorhaben begonnen?
Lizzie Doron: Wow, was für eine Frage! Es war fing fast wie eine Liebesgeschichte an. Die Welt ist wundervoll, nichts kann dich aufhalten. Die Dinge würde sich einfach fügen, und zusammen würden wir den Frieden im Nahen Osten voranbringen. So naiv waren wir!
Brinkmann: Sie wollten eine reine dokumentarische Form wählen: warum haben Sie sich dagegen entschieden?
Doron: Ich hätte sehr gern in einer Art Tagebuch erzählt, wie ein Palästinenser in Ost-Jerusalem lebt und was ich von ihm erfahre und lerne. Ich wollte wirklich alles, was uns geschah, festhalten. Drei Jahre lang war ich damit beschäftigt, aber schon nach einem Jahr bekam er kalte Füße. Und ich verstehe das. Er verlangte, dass ich aufhöre zu erzählen und stattdessen einen Monolog schreibe, in dem ich unsere Beziehung allein aus meiner Perspektive schildere. Ich sollte ihn völlig außen vor lassen.
Brinkmann: Warum hat er kalte Füße bekommen?
Doron: Ganz sicher spielte die Angst eine Rolle, dass ihn jemand als Kollaborateur diffamieren würde, aber das ist nur die halbe Antwort. Wir hielten unsere Beziehung geheim, denn er fürchtete sich, zuzugeben, dass er ein Projekt mit einer israelischen Schriftstellerin hatte. Meistens musste ich mich als eine italienische Journalistin ausgeben, und es fiel ihm immer schwerer, diese Lüge aufrecht zu erhalten. Er hatte Angst, dass sie auffliegt.
Dazu kommt, dass immer mehr Palästinenser aus seiner Nachbarschaft wegzogen und Siedler deren Häuser belegten. Er zitterte bei dem Gedanken, dass Siedler mich erkennen könnten und fühlte sich in der Zwickmühle.
Brinkmann: Der Journalist, der in Ihrem Buch Nadim heißt, hat mehrere Jahre in Italien studiert, wollte immer Filme drehen, ging dann zurück nach Ost-Jerusalem. Konnten Sie sich in Jerusalem zusammen mit ihm frei in der Öffentlichkeit bewegen ohne aufzufallen?
Treffen nur mit Burka
Doron: Im West-Teil, also dem israelischen Teil von Jerusalem, war alles etwas einfacher. Aber wenn wir zum Beispiel in einer Hotellobby saßen, war davon nichts mehr zu spüren, denn in den Hotels arbeiten viele Araber, und er fürchtete, erkannt zu werden. Mir ging es so, wenn ultraorthodoxe Juden in der Nähe waren, die uns seltsam anschauten, weil wir in ihren Augen ein ungewöhnliches Paar waren. In Ost-Jerusalem war alles komplizierter. Ich durfte meinen Computer nicht benutzen, weil die Tastatur hebräische Buchstaben hat. Mit dem Handy zu telefonieren, ging auch nicht, denn man hätte meinen hebräischen Akzent erkannt. Es war nicht möglich, seine Brüder und Schwestern zu treffen oder sich seinem Vater zu offenbaren. Nur seine Frau und die beiden Kinder waren eingeweiht und beteiligt.
Einmal waren wir unterwegs, als ich plötzlich großen Hunger bekam. Wir fuhren zu einer Bäckerei. Im Eingang standen mehrere junge Araber. Ich wollte nicht mit hinein, denn die Gegend ist für Juden eher "feindliches Gebiet". Er meinte, ich solle im Auto auf ihn warten, aber da fühlte ich mich allein auch nicht sicher.
Plötzlich fiel mir ein, dass er im Kofferraum immer eine Burka für seine Frau liegen hatte. Die zog ich über. Kaum hatte ich meine Füße über die Schwelle der Bäckerei gesetzt, da wurde Nadim vom Inhaber persönlich begrüßt, denn in Ost-Jerusalem ist er stadtbekannt. Mir schüttelte der Mann die Hand und sagte dann auf Hebräisch: Willkommen in meiner Bäckerei! Als Nächstes fragte er mich, ob ich aus Tel Aviv käme. Ich war geschockt und malte mir gleich ein konspiratives Szenario aus. Ich wollte nur weg.
Nadim sagte mir später, dass der Bäcker an meinen Gucci-Schuhen und der auffälligen Armbanduhr erkannt habe, dass ich Israelin bin. Es war einfach so, dass wir uns in beiden Teilen der Stadt verstecken mussten, aber es gab zwischendurch immer mal - je nach politisch-militärischer Lage - gute, offenere Tage.
Brinkmann: Wie hat denn Ihr eigener Freundeskreis auf die freundschaftliche Beziehung zu dem palästinensischen Journalisten reagiert?
"Wenn ein Araber bei dir zuhause ist, kann es nur ein Klempner sein, aber kein Freund"
Doron: Meine Kinder und mein Mann waren sehr gespannt auf Nadim und haben aktiv am Prozess des Kennenlernens teilgenommen. Das hat mir sehr geholfen. Meine Freunde waren neugierig und baten mich, Treffen zu arrangieren. Wir hatten ein paar gemeinsame Abendessen, aber danach meinten sie immer, ich sei eine Träumerin und Nadim der einzige Palästinenser, der Frieden will. Meine Freunde verkörpern den Pessimismus, der an unserer Geschichte nagt.
Draußen war es nicht anders: Ich habe immer gefühlt, dass Leute uns anstarrten. Eine Israelin am Tisch mit einem jüngeren Palästinenser, das passt nicht ins Bild.
Als Nadim uns das erste Mal besuchte, bat ich ihn, sein Auto in der Tiefgarage abzustellen, denn ein Auto mit palästinensischem Kennzeichen und einer Gebetskette am Spiegel würde in der Straße sofort auffallen. Zehn Minuten nach seiner Ankunft rief der Concierge an und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich wollte wissen, warum er mich so etwas fragt und bekam zu hören, dass er ein arabisches Auto auf unserem Stellplatz gesehen hatte. Ich sagte ihm, wir hätten einen Gast.
Zehn Minuten später rief er schon wieder an: "Entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe eine Frage. Ist Ihr Gast Klempner? Wir haben ein Problem mit dem Abflussrohr Ihrer Nachbarn." Da ist mir wirklich der Kragen geplatzt und ich habe in den Hörer geschrien: "Tut mir leid, er ist Universitätsprofessor!"
So ist das: Wenn ein Araber bei dir zuhause ist, kann es nur ein Tischler, Klempner oder irgendein anderer Installateur sein, aber kein Freund. Es war schockierend, zu erleben, wie die israelische Gesellschaft auf die Freundschaft mit einem Araber reagiert, aber zur Wahrheit gehört auch, dass Nadim für mich der erste arabische Freund war und mein eigenes Verhalten vorher dem der anderen ähnelte. Mir fiel das auch erst auf, nachdem ich ihn kennen gelernt hatte.
Brinkmann: Morgen kommt Lizzie Dorons neues Buch "Who the fuck is Kafka" heraus. In was für einer Situation hat der palästinensischen Filmjournalist gefragt, wer denn verdammt noch mal Kafka sei?
"Lizzie, who the fuck is Kafka?"
Doron: Eineinhalb Jahre nach unserer ersten Begegnung waren wir ziemlich bekannt bei einigen Institutionen der Europäischen Union. Wir haben viele potentielle Geldgeber aus Brüssel getroffen. Darunter war eine Frau, die den ganzen Abend lang nicht eine einzige Frage an mich richtete. Ich weiß nicht, was Nadim packte, aber plötzlich begann er, vor dieser Frau sein ganzes Leben auszubreiten und ausführlich über die israelische Besatzung zu klagen und all die Schikanen, die er zu erdulden hatte. Darüber, dass seine Kinder eine christliche Schule besuchen mussten, weil die Israelis es nicht zulassen, dass in Ost-Jerusalem muslimische Schulen eingerichtet werden.
Sie sah mich zwischendurch immer wieder vorwurfsvoll an, als wäre ich für diese Misere verantwortlich, und alle paar Minuten sagte sie: "Das ist doch Kafka!"
Den ganzen Abend hörte ich "Kafka, Kafka, Kafka" und ich war so wütend auf ihn, weil wir ein gemeinsames Ziel hatten und er es zuließ, dass diese Frau mich völlig an den Rand drängte. Nachdem wir uns von ihr verabschiedet hatten, lief ich zum Auto. Er folgte, nahm meine Hände, und ich dachte, er würde sich dafür entschuldigen, das Gespräch so an sich gerissen zu haben, aber er fragte nur: "Lizzie, who the fuck is Kafka?"
Damals habe ich noch nicht begriffen, dass uns mehr als nur die Sprache trennt. Meine Freunde und ich lesen Kafka. Für uns ist er eine Art Schlüssel. Mit ihm lernt man etwas über das Leben, über Politik, über das Gefangensein. Und Nadim bedeutet Kafka nichts.
Brinkmann: Man spürt zwischen den Zeilen das Bedauern, Nadims Frau nicht wirklich kennen gelernt zu haben. Warum war das nicht möglich?
Doron: Wissen Sie, wenn wir über den Frieden im Nahen Osten reden, dann glauben wir, dass Politiker die Probleme lösen werden. Unserer Freundschaft stand nicht die Geschichte, mangelndes Wissen oder unsere Kultur im Weg, sondern - und es hat eine Weile gebraucht, bis ich das verstand - die Tatsache, dass ich mit seiner Frau nicht mal einen Kaffee allein trinken konnte. Wenn ich ihn und seine Familie besuchte, hatte sie zu kochen. Und wenn das Essen aufgetragen war, verschwand sie wieder in der Küche. Sie erfüllte die traditionelle Rolle der Hausfrau.
Als ich diese vorsichtig in Frage stellte, bekam ich zu hören, dass mein Leben doch weitaus komplizierter und anstrengender sei als ihres. Meine Frau, sagte er, hat nur eine einzige Aufgabe zu erfüllen. Wenn sie die erledigt hat, kann sie tun, was ihr gefällt. Er verstand überhaupt nicht, dass er über ihre Seele herrscht.
Das war das zweite Konfliktthema, mit dem ich im Gespräch nicht weiter kam. Aber ich habe es immer wieder anzuschneiden versucht, und ich habe ihr doch helfen können. Ich habe gehandelt wie eine Freundin.
Brinkmann: Am 18. Juni 2014 erstritt Lizzie Doron - unterstützt von einem befreundeten Anwalt, dessen Frau bei einem Attentat ums Leben gekommen war - vor dem Obersten Gericht in Jerusalem eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Nadims Frau. Lizzie Dorons Buch "Who the fuck is Kafka" ist die weltweit erste Veröffentlichung des Textes, den Mirjam Pressler für den Deutschen Taschenbuch Verlag übersetzt hat.
Übersetzung des Gesprächs: Sigrid Brinkmann