Ljudmila Ulitzkaja: "Alissa kauft ihren Tod"

Von trunkener Erotik und Seelenwanderungen

06:02 Minuten
Cover des Buchs "Alissa kauft ihren Tod" von Ljudmila Ulitzkaja.
© Hanser

Ljudmila Ulitzkaja

Aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt

Alissa kauft ihren TodHanser, München 2022

304 Seiten

25,00 Euro

Von Frank Meyer · 15.02.2022
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Der Kampf mit alltäglichen Problemen, die (post-)sowjetische Mentalität und Solidarität unter Frauen: Die russische Autorin Ljudmila Ulitzkaja schreibt in neuen Erzählungen zupackend, präzise und ironisch über das Leben.
Der Band beginnt mit einem Gedicht, einer Liebeserklärung an die „Freundinnen“:

… diese leichtsinnigen, weisen,
schamlosen, bezaubernden, verlogenen, wunderbaren
abergläubischen und treuen
diese überaus klugen und unfassbar dummen Frauen …

Schnapsgelage mit überraschendem Ende

Ein wuchtiges Beispiel für die so charakterisierten Freundinnen liefert die Erzählung „Russische Frauen“. Drei Frauen treffen sich 1990 in New York, zwei von ihnen sind aus der Sowjetunion dorthin emigriert, eine kommt aus Moskau zu Besuch. Die drei beschimpfen lautstark ihre abwesenden Männer, alles schwere Trinker, der „Scheißkerl Wenik“ zum Beispiel, während die Frauen selbst vier Flaschen Schnaps niedermachen.
Sie streiten sich lautstark, versöhnen sich, und Ljudmila Ulitzkaja lässt die Szene in einer trunkenen Erotik enden. Mit einem überraschenden Dreh: Eine der Frauen, eine Ärztin, entdeckt dabei in der Brust einer anderen Verdickungen, ein Karzinom. Radikal ernüchtert fahren sie am Morgen zusammen in die Krebsklinik.

Zarte Liebe

Sehr viel leiser, aber nicht weniger einprägsam kommt die Titelgeschichte des Bandes daher. „Alissa kauft ihren Tod“ ist im Gegensatz zum morbiden Titel eine der freundlichsten Geschichten des Bandes. Ulitzkaja entfaltet hier die zarte Liebesgeschichte eines älteren Paares, einer Frau und eines Mannes über 60, die zu ihrer eigenen Überraschung im Anderen ein sensibles, rücksichtsvolles Gegenüber finden.
Auch hier schlägt der Tod zu, alle diese Erzählungen werden von schweren Schicksalsschlägen angetrieben. Aber Alissas Geschichte endet mit einer besonderen Freundschaft, einer unerwarteten Beziehung zu einem neugeborenen Mädchen.

Ironie statt andächtiger Ernst

Der Band versammelt drei neue Erzählungszyklen von Ljudmila Ulitzkaja. Einen davon hat sie 2020 geschrieben, die beiden anderen Zyklen „Freundinnen“ und „Vom Körper der Seele“ sind in Russland erstmals 2019 erschienen. Neben den sehr realistischen, immer wieder komischen und oft recht drastischen „Freundinnen“-Geschichten wirken die „Vom Körper der Seele“-Erzählungen ganz anders. Sie führen alle zu Verwandlungen, zu Übergängen zwischen verschiedenen Körpern und Realitäten.
Eine Frau wird im Tod zu einem Schmetterling, ein Plüschhund reinkarniert in einem Jungen, ein Fotograf geht in die Landschaft seiner Bilder über. Bei solchen Themen droht andächtiger Ernst, aber den federt Ulitzkaja immer wieder ab durch ironische Einschübe. Über die Jenseitslandschaft mit Schmetterlingen schreibt sie etwa: „All diese Insekten hatten nichts von Kafkas Käfer.“

Vom Fortlebenden des Homo sovieticus

Ljudmila Ulitzkaja ist eine der Dauerkandidatinnen für den Literaturnobelpreis. Was immer wieder als Stärke ihres Schreibens beschrieben wird, findet sich auch in diesen Erzählungen: ihr prägnanter und zupackender Stil, ihre alltagsnahen Stoffe, ihre Neugier auf die großen Dramen und Lebenseinschnitte.
Die politisch engagierte Kritikerin des Putin-Regimes ist in diesen Texten nur indirekt zu finden, wenn sie das Fortleben des Homo sovieticus beschreibt. Aber das tut der Qualität dieser Geschichten nur gut.

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