Lloyd Spencer Davis: "Das geheime Liebesleben der Pinguine"

Wie Pinguine Polarforscher erröten ließen

05:53 Minuten
Cover "Das geheime Liebesleben der Pinguine" von Lloyd Spencer Davis.
© DVA

Lloyd Spencer Davis

Übersetzt von Jürgen Neubauer

Das geheime Liebesleben der Pinguine. Ein vergessener Polarforscher, ein aufregender Fund und eine erstaunliche ErkenntnisDVA, München 2021

384 Seiten

22,00 Euro

Von Günther Wessel |
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Sie sehen niedlich aus, dabei treiben Pinguine es wild: Homosexualität, Vergewaltigung und auch Formen der Prostitution wurden bei ihnen beobachtet, aber lange nicht darüber berichtet. Warum, erklärt Lloyd Spencer Davis.
Als Robert Falcon Scott 1911 versuchte, als erster Mensch zum Südpol zu gelangen, bestand sein Expeditionstrupp aus drei Gruppen: Der Polargruppe um Scott, die entsetzt feststellte, dass der Norweger Roald Amundsen ihr zuvorgekommen war und auf dem Rückweg erfror; der Gruppe an der Basisstation und einer dritten um den Arzt George Murray Levick, die ein Gebiet am Kap Adare erforschte und sich dort sieben Monate in einer Schneehöhle auf kleinen Inseln eingrub.
Levick veröffentlichte nach seiner Rückkehr nach England die erste wissenschaftliche Monografie zu Pinguinen – ein Standardwerk, das auch Davis’ eigene Forschung als Zoologe beeinflusste. Die Fachwelt staunte, als 2011 zufällig herauskam, dass Levick nicht alle seine Erkenntnisse veröffentlicht hatte.

Unterschlagene Forschung

Er unterschlug Wichtiges: das Sexualleben der Pinguine. Sie leben nicht monogam, sondern promiskuitiv. Es gibt Homosexualität, Vergewaltigungen, Nekrophilie und auch Formen von Prostitution: Weibchen lassen sich im Tausch gegen Unterstützung beim Nestbau auch von anderen Pinguinen als dem Partner begatten.
Davis interessiert jetzt, warum Levick all das verschwieg. Er webt in seinem Buch nun mehrere Geschichten zusammen: Levicks Biographie, die Entdeckungsgeschichte der Arktis und der Antarktis mit Protagonisten wie Scott, Amundsen und anderen und schließlich die Ergebnisse der Pinguinforschung, auch seine eigene, vor allem in Bezug auf Fortpflanzung und Brutverhalten.

Amüsante Natur- und Wissenschaftsgeschichte

Viel Stoff für ein Buch. Mitunter zu viel Stoff: Davis springt, da er nicht chronologisch, sondern thematisch vorgeht, durchaus witzig und spannend geschrieben von Person zu Person, von Schauplatz zu Schauplatz, vom Pinguinsex zur Prüderie der viktorianischen Gesellschaft.
Das ist immer interessant und unterhaltsam, häufig aber auch ordentlich verwirrend. Die Zeiten und die Orte wechseln zu schnell: hier eine frühe Arktisexpedition, dort die Kindheitserfahrung eines Forschers, dann wieder eine Episode über Scott, Amundsen oder Shackleton und ihre Frauen, gefolgt von einem neuen Faktum über das Leben der Pinguine.
In dieser Überfülle steckt viel Interessantes. Davis beschreibt beispielsweise das Handeln der beiden Polarforscher Scott und Amundsen als diametral entgegengesetzt.

Starke Moralvorstellungen

Während Amundsen pragmatisch-kühl vorging, mit Hunden als Zugtieren, die ihren Artgenossen und den Forschern auch als Nahrungsquelle dienten, wollte Scott, verhaftet in sehr abstrakten viktorianischen Moralvorstellungen bei seiner Südpoleroberung eine Heldengeschichte liefern – den Triumph menschlicher Kraft und menschlichen Willens.
Es ist genau diese Moralvorstellungen, so Davis, die Levick schließlich daran hinderten, seine wirklichen Forschungsergebnisse zu publizieren.
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