Lob der sexuellen Revolution
Der britische Schriftsteller Martin Amis betrachtet die sexuelle Revolution als das "größte kulturelle Ereignis" seines Lebens. Im Interview spricht er über kurze Röcke, seine Bekehrung zum Feminismus und den Neid seiner Kritiker.
Joachim Scholl: Man hat ihn den "Mick Jagger of Fiction" genannt, weil er als junger Mann genauso klasse aussah und auch so wild daherkam – mit seiner Literatur. Als Sohn des weltberühmten Romanciers Kingsley Amis bekam der Schriftsteller Martin Amis natürlich viel Aufmerksamkeit, als sein erster Roman erschien, aber der war gleich so gut, dass er den einflussreichen Somerset-Maugham-Preis dafür bekam.
Zugleich bekam Martin Amis aber ein Etikett verpasst, das immer noch an ihm klebt: der Bad Boy, der böse Bube. Und auch nach zwölf Romanen, etlichen Erzählungs- und Essaybänden kommt immer noch keine Rezension, kein Artikel und kein Kommentar zu Martin Amis ohne dieses Attribut aus. Martin Amis, willkommen im Deutschlandradio Kultur, welcome!
Martin Amis: Thank you!
Scholl: Es muss Sie doch unendlich nerven, dieses Image vom Bad Boy. In diesem Sommer werden Sie 63, allmählich wird es doch lächerlich, nicht?
Amis: Nun, das war ja auch schon lange Zeit lächerlich. Ich bin ja immerhin schon Großvater und habe zwei Enkel. Und mein Vater galt ja als der böse Mann und ich war dann sozusagen der böse Junge. Dann wird man noch erwarten können, bis Mick Jagger mal der Martin Amis der Rockwelt genannt werden wird.
Scholl: Ihr neuer Roman heißt "Die schwangere Witwe", spielt im Jahr 1970, hauptsächlich in Italien, wo während eines heißen Sommers auf einem Landsitz junge Menschen die sexuelle Revolution testen. Was, Mister Amis, hat Sie auf dieses Thema gebracht, diese Zeitreise?
Amis: Nun, wenn man älter wird, überlegt man sich schon, was man so erlebt hat. Zweifellos war für mich das größte kulturelle Ereignis die sexuelle Revolution. Ich bin auch alt genug, um erfahren zu haben, wie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern vor dieser Revolution sich entwickelt haben. Philip Larkin hat gesagt, diese sexuelle Revolution sei 1963 begonnen worden, das war ziemlich spät. Ich glaube, sie fing eigentlich 1968/69, 1970 an. Da ich ja sogar in den Demonstrationen mitgelaufen bin, wo es um die sexuelle Revolution ging, kann ich wohl behaupten, ich weiß, wovon ich spreche. Nun, ich habe hoffentlich es geschafft, die Geschichte einer Generation, meiner Generation zu erzählen.
Scholl: In Ihren Memoiren, die Sie im Jahr 2000 veröffentlicht haben, schreiben Sie an einer Stelle, wie Sie sich alte Bilder ansehen und dann denken: Unvorstellbar, wie jemals einer von unserer Generation irgendetwas Vernünftiges zu Papier bringen kann, der solche Hosen getragen hat wie wir in den 70ern. Jetzt sind Sie für einen ganzen langen Roman genau in diese Zeit um 1970 zurückgereist. Wie war das für Sie, haben Sie sich wieder solche Hosen vorgestellt?
Amis: Nun, diese flachen Stulpenhosen, ich habe gesagt, es ist schwer, sich vorzustellen, dass wir damals wirklich etwas Vernünftiges zustande gebracht haben. Nun, ich habe ganz sicher diese ausgestülpten breiten Hosen getragen, mit diesen Elefantenbeinen, wie man sie damals nannte. Das waren einfach Jeans, und ich muss sagen, obwohl es auch irgendwie traurig ist, Eric Hobsbawm, der große marxistische Historiker, hat ja gesagt: Die Mode spiegelt Gegenwart und Zukunft wider auf eine Weise, die niemand wirklich verstehen kann. Wenn man sich die Mode der 70er-Jahre anschaut, dann erfährt man schon, was kulturell dort geschieht. Die Mädchen trugen alle sehr knappe Kleidung, scharfe, enge Sachen, sie zeigten die feminine Macht wie nie zuvor. Zugleich aber haben sie den Männern einen erheblichen Teil ihrer Macht weggenommen, und die Männer waren als Clowns ausstaffiert. Das ist doch recht erhellend und es sagt einiges.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem britischen Schriftsteller Martin Amis über seinen neuesten Roman "Die schwangere Witwe". Die englischen Rezensenten haben Ihr Buch gefeiert, man hat Ihnen aber auch vorgeworfen bisweilen, dass Sie sozusagen Rache an der sexuellen Revolution nehmen, indem sie sie ja doch ein bisschen ins Lächerliche ziehen.
Amis: Nein, ich glaube, dass die sexuelle Revolution eine großartige unvermeidliche Sache war und dass sie wirklich die Frauenrechte vertreten hat. Ich möchte sogar, dass die Frauenrechte noch weiter ausgebaut werden, und ich glaube, hier in Deutschland darf ich das mit Fug und Recht sagen, die 45 Staatsoberhäupter, die Frauen sind, ich hätte gerne 200 Staatsoberhäupter als Frauen.
Was ich aber unterstreichen wollte: Der Roman begann ja als autobiografische Übung, scheint auch das geblieben zu sein, aber etwas ist dann beibehalten worden, nämlich diese Schwester, die im Alter von 46 Jahren gestorben ist. Meine eigene Schwester starb auch mit 46 Jahren. Sie war nicht imstande, mit diesen neuen Freiheiten, mit der sexuellen Revolution zurechtzukommen. Es hat sie irgendwie auch zerstört. Also jede Revolution produziert auch ihre Katastrophen und hat ihre Opfer. Meine Schwester war eins dieser Opfer.
Scholl: Sie haben einmal gesagt, Mister Amis, die bekannte amerikanische Feministin Gloria Steinem hätte sie an einem einzigen Tag in New York zum Feminismus bekehrt – wie hat sie das denn geschafft?
Amis: Sie hat etwas geschrieben, was ich an dem Tag las. Der Aufsatz lautete: "Was wäre eigentlich, wenn Männer Babys hätten?" Wenn Männer Babys hätten, dann wäre Abtreibung ein geheiligtes Recht, ein Sakrament. Sie hat sich da schwarze Jungens vorgestellt, die einander zuwinken und sagen, hey, du schaust gut aus, und die würden sagen, ja, ich hab gerade meine Tage. Also Menstruation wäre auch ein heiliges Ritual. Was man wirklich einfach nur zu tun braucht, ist, mal die Rollen zu vertauschen, dann wird es doch alles klar.
Scholl: Nachdem Sie fahrlässig gesagt haben, der Roman sei blind autobiografisch, einem englischen Interviewer gegenüber – die Hauptfigur hat dasselbe Geburtsdatum und Ihre Körpergröße –, da sind die britischen Zeitungen prompt auf Spurensuche nach den weiblichen Heldinnen gegangen. Und Sie saßen da und haben wieder einmal den Kopf geschüttelt über diese Reaktion. Wenn man sieht, wie die Presse mit Ihnen umgeht in den letzten 20, 30 Jahren, dann bekommt man den Eindruck, dass die literarische Öffentlichkeit in Ihrer Heimat ja fast immer über Kreuz ist mit Martin Amis. Warum ist das so?
Amis: Nun, wir sprechen nicht eigentlich über das englische Publikum insgesamt, wir sprechen über eine kleine Gruppe von Journalisten, die immer wieder mal so einen Versuch mit Literatur unternehmen, nur 30, 40 von ihnen gibt es. Mit ihnen komme ich einfach nicht auf einen grünen Zweig. Aber wenn ich Lesungen abhalte oder in der Öffentlichkeit auftrete, dann ist die Aufnahme sehr freundlich. Es ist wirklich eine Verzerrung dieser kleinen Szene von sogenannten Möchtegernschriftstellern.
Wenn man ein Konzert kritisiert, dann wird man nicht selbst Geige spielen, wenn man ein Gedicht beschreibt oder rezensiert, schreibt man nicht selbst ein Gedicht, und wenn man einen Film kritisiert, wird man nicht selbst den Film drehen. Wenn man aber über einen Schriftsteller schreibt, schreibt man auch selber. Das heißt, es schwingt immer Neid mit, und ich glaube, deswegen fühlen sich die Journalisten eben eingeladen, auf den Martin Amis einzuprügeln.
Scholl: Ihr nächster Roman, an dem Sie gerade arbeiten, trägt, wie man hört, keinen geringeren Titel als "State of England", also der Zustand Englands. Verraten Sie uns schon ein wenig, was uns da erwartet?
Amis: Nun, der Roman ist schon zu Ende geschrieben, ich arbeite schon am nächsten Roman. Er wird sehr zu Ihrem Vergnügen "Das dritte Reich" heißen. Ich habe den Umzug zurück nach England aus Amerika gemacht, aus rein privaten, familiären Gründen. Ich habe eine ganze Reihe von Jahren schon an diesem Buch gearbeitet, ehe ich daran dachte, die USA zu verlassen. Es ist letztlich geschrieben für die Engländer. Es gibt eine Reihe von strukturellen Problemen mit England. Wir waren zunächst mal die führende Weltmacht und sind jetzt eigentlich im Grunde in der dritten Liga angekommen in den letzten Jahren.
Das hat eine merkwürdige Wirkung auf Länder. Länder sind wie Menschen, Menschen sind wie Länder. Wenn man jemandem die Macht nimmt, dann werden sie darauf reagieren – nicht immer rational, nicht immer angemessen. England ist ein Land der Oberflächen, der Illusionen, der Spielereien geworden, der Oberflächenkräuselungen. Ich glaube, die Menschen sind so tolerant und freundlich wie immer, aber die Kultur hat sich sicherlich nach unten bewegt.
Scholl: Dann können wir gespannt sein auf diesen neuen Roman. Martin Amis, jetzt erst mal herzlichen Dank für Ihren Besuch, es ist hoffentlich nicht der letzte. Das aktuelle Buch von Martin Amis "Die schwangere Witwe" ist im Hanser Verlag erschienen, mit 414 Seiten zum Preis von 24,90 Euro. Und wir bedanken uns noch bei Johannes Hampel, er hat unser Gespräch übersetzt. All the best to you, thank you for coming!
Amis: Thank you very much!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
Ein erotischer Sommer - Martin Amis: "Die schwangere Witwe", Carl Hanser Verlag, München 2012, 414 Seiten
Zugleich bekam Martin Amis aber ein Etikett verpasst, das immer noch an ihm klebt: der Bad Boy, der böse Bube. Und auch nach zwölf Romanen, etlichen Erzählungs- und Essaybänden kommt immer noch keine Rezension, kein Artikel und kein Kommentar zu Martin Amis ohne dieses Attribut aus. Martin Amis, willkommen im Deutschlandradio Kultur, welcome!
Martin Amis: Thank you!
Scholl: Es muss Sie doch unendlich nerven, dieses Image vom Bad Boy. In diesem Sommer werden Sie 63, allmählich wird es doch lächerlich, nicht?
Amis: Nun, das war ja auch schon lange Zeit lächerlich. Ich bin ja immerhin schon Großvater und habe zwei Enkel. Und mein Vater galt ja als der böse Mann und ich war dann sozusagen der böse Junge. Dann wird man noch erwarten können, bis Mick Jagger mal der Martin Amis der Rockwelt genannt werden wird.
Scholl: Ihr neuer Roman heißt "Die schwangere Witwe", spielt im Jahr 1970, hauptsächlich in Italien, wo während eines heißen Sommers auf einem Landsitz junge Menschen die sexuelle Revolution testen. Was, Mister Amis, hat Sie auf dieses Thema gebracht, diese Zeitreise?
Amis: Nun, wenn man älter wird, überlegt man sich schon, was man so erlebt hat. Zweifellos war für mich das größte kulturelle Ereignis die sexuelle Revolution. Ich bin auch alt genug, um erfahren zu haben, wie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern vor dieser Revolution sich entwickelt haben. Philip Larkin hat gesagt, diese sexuelle Revolution sei 1963 begonnen worden, das war ziemlich spät. Ich glaube, sie fing eigentlich 1968/69, 1970 an. Da ich ja sogar in den Demonstrationen mitgelaufen bin, wo es um die sexuelle Revolution ging, kann ich wohl behaupten, ich weiß, wovon ich spreche. Nun, ich habe hoffentlich es geschafft, die Geschichte einer Generation, meiner Generation zu erzählen.
Scholl: In Ihren Memoiren, die Sie im Jahr 2000 veröffentlicht haben, schreiben Sie an einer Stelle, wie Sie sich alte Bilder ansehen und dann denken: Unvorstellbar, wie jemals einer von unserer Generation irgendetwas Vernünftiges zu Papier bringen kann, der solche Hosen getragen hat wie wir in den 70ern. Jetzt sind Sie für einen ganzen langen Roman genau in diese Zeit um 1970 zurückgereist. Wie war das für Sie, haben Sie sich wieder solche Hosen vorgestellt?
Amis: Nun, diese flachen Stulpenhosen, ich habe gesagt, es ist schwer, sich vorzustellen, dass wir damals wirklich etwas Vernünftiges zustande gebracht haben. Nun, ich habe ganz sicher diese ausgestülpten breiten Hosen getragen, mit diesen Elefantenbeinen, wie man sie damals nannte. Das waren einfach Jeans, und ich muss sagen, obwohl es auch irgendwie traurig ist, Eric Hobsbawm, der große marxistische Historiker, hat ja gesagt: Die Mode spiegelt Gegenwart und Zukunft wider auf eine Weise, die niemand wirklich verstehen kann. Wenn man sich die Mode der 70er-Jahre anschaut, dann erfährt man schon, was kulturell dort geschieht. Die Mädchen trugen alle sehr knappe Kleidung, scharfe, enge Sachen, sie zeigten die feminine Macht wie nie zuvor. Zugleich aber haben sie den Männern einen erheblichen Teil ihrer Macht weggenommen, und die Männer waren als Clowns ausstaffiert. Das ist doch recht erhellend und es sagt einiges.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem britischen Schriftsteller Martin Amis über seinen neuesten Roman "Die schwangere Witwe". Die englischen Rezensenten haben Ihr Buch gefeiert, man hat Ihnen aber auch vorgeworfen bisweilen, dass Sie sozusagen Rache an der sexuellen Revolution nehmen, indem sie sie ja doch ein bisschen ins Lächerliche ziehen.
Amis: Nein, ich glaube, dass die sexuelle Revolution eine großartige unvermeidliche Sache war und dass sie wirklich die Frauenrechte vertreten hat. Ich möchte sogar, dass die Frauenrechte noch weiter ausgebaut werden, und ich glaube, hier in Deutschland darf ich das mit Fug und Recht sagen, die 45 Staatsoberhäupter, die Frauen sind, ich hätte gerne 200 Staatsoberhäupter als Frauen.
Was ich aber unterstreichen wollte: Der Roman begann ja als autobiografische Übung, scheint auch das geblieben zu sein, aber etwas ist dann beibehalten worden, nämlich diese Schwester, die im Alter von 46 Jahren gestorben ist. Meine eigene Schwester starb auch mit 46 Jahren. Sie war nicht imstande, mit diesen neuen Freiheiten, mit der sexuellen Revolution zurechtzukommen. Es hat sie irgendwie auch zerstört. Also jede Revolution produziert auch ihre Katastrophen und hat ihre Opfer. Meine Schwester war eins dieser Opfer.
Scholl: Sie haben einmal gesagt, Mister Amis, die bekannte amerikanische Feministin Gloria Steinem hätte sie an einem einzigen Tag in New York zum Feminismus bekehrt – wie hat sie das denn geschafft?
Amis: Sie hat etwas geschrieben, was ich an dem Tag las. Der Aufsatz lautete: "Was wäre eigentlich, wenn Männer Babys hätten?" Wenn Männer Babys hätten, dann wäre Abtreibung ein geheiligtes Recht, ein Sakrament. Sie hat sich da schwarze Jungens vorgestellt, die einander zuwinken und sagen, hey, du schaust gut aus, und die würden sagen, ja, ich hab gerade meine Tage. Also Menstruation wäre auch ein heiliges Ritual. Was man wirklich einfach nur zu tun braucht, ist, mal die Rollen zu vertauschen, dann wird es doch alles klar.
Scholl: Nachdem Sie fahrlässig gesagt haben, der Roman sei blind autobiografisch, einem englischen Interviewer gegenüber – die Hauptfigur hat dasselbe Geburtsdatum und Ihre Körpergröße –, da sind die britischen Zeitungen prompt auf Spurensuche nach den weiblichen Heldinnen gegangen. Und Sie saßen da und haben wieder einmal den Kopf geschüttelt über diese Reaktion. Wenn man sieht, wie die Presse mit Ihnen umgeht in den letzten 20, 30 Jahren, dann bekommt man den Eindruck, dass die literarische Öffentlichkeit in Ihrer Heimat ja fast immer über Kreuz ist mit Martin Amis. Warum ist das so?
Amis: Nun, wir sprechen nicht eigentlich über das englische Publikum insgesamt, wir sprechen über eine kleine Gruppe von Journalisten, die immer wieder mal so einen Versuch mit Literatur unternehmen, nur 30, 40 von ihnen gibt es. Mit ihnen komme ich einfach nicht auf einen grünen Zweig. Aber wenn ich Lesungen abhalte oder in der Öffentlichkeit auftrete, dann ist die Aufnahme sehr freundlich. Es ist wirklich eine Verzerrung dieser kleinen Szene von sogenannten Möchtegernschriftstellern.
Wenn man ein Konzert kritisiert, dann wird man nicht selbst Geige spielen, wenn man ein Gedicht beschreibt oder rezensiert, schreibt man nicht selbst ein Gedicht, und wenn man einen Film kritisiert, wird man nicht selbst den Film drehen. Wenn man aber über einen Schriftsteller schreibt, schreibt man auch selber. Das heißt, es schwingt immer Neid mit, und ich glaube, deswegen fühlen sich die Journalisten eben eingeladen, auf den Martin Amis einzuprügeln.
Scholl: Ihr nächster Roman, an dem Sie gerade arbeiten, trägt, wie man hört, keinen geringeren Titel als "State of England", also der Zustand Englands. Verraten Sie uns schon ein wenig, was uns da erwartet?
Amis: Nun, der Roman ist schon zu Ende geschrieben, ich arbeite schon am nächsten Roman. Er wird sehr zu Ihrem Vergnügen "Das dritte Reich" heißen. Ich habe den Umzug zurück nach England aus Amerika gemacht, aus rein privaten, familiären Gründen. Ich habe eine ganze Reihe von Jahren schon an diesem Buch gearbeitet, ehe ich daran dachte, die USA zu verlassen. Es ist letztlich geschrieben für die Engländer. Es gibt eine Reihe von strukturellen Problemen mit England. Wir waren zunächst mal die führende Weltmacht und sind jetzt eigentlich im Grunde in der dritten Liga angekommen in den letzten Jahren.
Das hat eine merkwürdige Wirkung auf Länder. Länder sind wie Menschen, Menschen sind wie Länder. Wenn man jemandem die Macht nimmt, dann werden sie darauf reagieren – nicht immer rational, nicht immer angemessen. England ist ein Land der Oberflächen, der Illusionen, der Spielereien geworden, der Oberflächenkräuselungen. Ich glaube, die Menschen sind so tolerant und freundlich wie immer, aber die Kultur hat sich sicherlich nach unten bewegt.
Scholl: Dann können wir gespannt sein auf diesen neuen Roman. Martin Amis, jetzt erst mal herzlichen Dank für Ihren Besuch, es ist hoffentlich nicht der letzte. Das aktuelle Buch von Martin Amis "Die schwangere Witwe" ist im Hanser Verlag erschienen, mit 414 Seiten zum Preis von 24,90 Euro. Und wir bedanken uns noch bei Johannes Hampel, er hat unser Gespräch übersetzt. All the best to you, thank you for coming!
Amis: Thank you very much!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
Ein erotischer Sommer - Martin Amis: "Die schwangere Witwe", Carl Hanser Verlag, München 2012, 414 Seiten