Matthias Berninger leitet seit 2019 den Bereich Public Affairs, Science and Sustainability beim deutschen Pharma- und Agrochemie-Multi Bayer. Von 1994 bis 2007 saß der studierte Lehrer (Chemie und Politik) für die Grünen im Bundestag. Zwischen 2001 und 2005 war er unter der grünen Ministerin Renate Künast zudem parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. 2007 wechselte Berninger in die Wirtschaft. Vor seinem Wechsel zu Bayer arbeitete er zwölf Jahre lang für den US-amerikanischen Konsumgüterkonzern Mars, bei dem er weltweit für den Bereich Gesundheit, Ernährung und Nachhaltigkeit zuständig war.
Ist Landwirtschaft ohne Gentechnik nicht zukunftsfest?
29:40 Minuten
Milliarden Menschen klimafreundlich ernähren, dabei Böden und Artenvielfalt schützen – das ist ohne Gentechnik und intelligente Maschinen unmöglich. Davon ist Matthias Berninger überzeugt. Der ehemalige Grünen-Politiker ist heute Lobbyist bei Bayer.
Dass der Klimawandel katastrophale Folgen hat, erleben wir in Deutschland in diesen Tagen hautnah. Auch die Landwirtschaft leidet unter sich häufenden Wetterextremen. Zugleich ist sie auch Teil des Problems, denn sie ist weltweit für rund ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Wie also die wachsende Weltbevölkerung ernähren und gleichzeitig das Klima und die Natur schützen?
Jedenfalls nicht mit Extremszenarien, glaubt Matthias Berninger, Lobbyist beim Bayer-Konzern. Früher war er Politiker bei den Grünen: "Wenn wir Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen sicherstellen wollen, dann helfen Extremszenarien nicht weiter." Weder wird alles bio werden können noch werden alle Menschen zu Vegetariern oder auch nur weitestgehend auf Fleisch verzichten.
Probleme der Landwirtschaft ohne "ideologische Brille" lösen
Wenn es darum ginge, die Nahrungsmittelproduktion für immer mehr Menschen zu steigern, ohne im gleichen Maße Land zu nützen, dann ginge es nicht ohne Chemie, ist Berninger überzeugt. Völlig ohne Pestizide und ohne Kunstdünger ginge es in der Landwirtschaft nicht. Allerdings werden sich die eingesetzten Mengen mithilfe des Einsatzes von selbst lernenden und vernetzten Maschinen erheblich reduzieren lassen.
Die Digitalisierung der Landwirtschaft "kann Biobauern und konventionellen Landwirten gleichermaßen zugutekommen", ist der ehemalige Staatssekretär im zu seiner Zeit von der Grünen-Politkerin Renate Künast geführten Bundeslandwirtschaftsministerium überzeugt. KI ermögliche eine individualisierte Bewirtschaftung von Land, die eine "optimale Ernte garantieren".
Ohne Gentechnologie Klimaziele im Agrar-Bereich unerreichbar
Der neue Maßnahmenkatalog, den die EU-Kommission jetzt vorgeschlagen hat, liefe darauf hinaus, dass in Deutschland bis 2030 nicht wie bisher 38 Prozent Emissionen in der Landwirtschaft eingespart werden müssten, sondern rund 50 Prozent. Das ist machbar, glaubt Berninger. Allerdings nur dann, wenn sich Deutschland den Zugang zu Innovationen nicht länger selbst versperrt und "bestimmte Technologien" in der Landwirtschaft zuließe. Etwa die gentechnologische Veränderung von Pflanzen, um sie beispielsweise an sich wandelnde klimatische Bedingungen anzupassen.
Ohne den Einsatz der neuen technologischen Möglichkeiten seien die auf die Landwirtschaft mit dem Klimawandel zukommenden Krisen - Trockenheit, andere extreme Wetterereignisse - nicht zu bewältigen. Erträge würden zurückgehen. Er sehe inzwischen noch nicht einmal bei den Grünen eine "fundamentale Ablehnung" der Biotechnologie, so Berninger.
Bearbock, Scholz und Laschet fähig, Deutschland zu führen
Der ehemalige Grünen-Politiker habe an der "wichtigsten Qualifikation" bei jemandem, der ein so "wichtiges Land wie Deutschland" regieren soll, keinerlei Zweifel - an keinem der Drei, die für die Kanzlerschaft kandidieren: An der "Integrität". Von Annalena Bearbock erwarte er, dass sie im Wahlkampf das Thema Klimawandel "nach vorne bringt".
Für eine Transformation aus dem fossilen Zeitalter in eines der nachhaltigen Energieerzeugung müssten "viele Kräfte in die gleiche Richtung ziehen". Unternehmen müssten reichlich investieren. Es bedürfte einer "Willkommenskultur für Innovationen". Die dritte Kraft sei Regulierung selbst und die vierte sei die "gesellschaftliche Partizipation". Wenn die fehle, würde man Proteste auslösen wie etwa in Frankreich die der "Gelbwesten".
(anri)