Loblied auf das Handwerk
Seit 1963 werden Architekten und Designer mit der goldenen Heinrich-Tessenow-Medaille gewürdigt. Zum ersten Mal hat nun ein Soziologe die Auszeichnung erhalten: der US-amerikanische Kulturkritiker Richard Sennett, der sich in seinem letzten Buch mit der Rolle des Handwerks befasst hat.
Die Soziologie untersucht das Zusammenleben von Menschen in Gesellschaften. Häufig geht es dabei um Institutionen oder Organisationen. Dadurch wird sie abstrakt und leider auch oft langweilig. Der Soziologe Richard Sennett hingegen stellt konkrete Menschen in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Und er ist ein begnadeter Schriftsteller. Seine Bücher sind nicht nur "lesbar", sondern sogar spannend. Das macht ihn so erfolgreich.
Sein letztes Buch "Handwerk", wofür ihn die Tessenow-Gesellschaft mit der Medaille auszeichnet, ist sicher nicht sein bestes. Aber es vertieft zentrale Gedanken seines Werkes.
Handwerker - so Sennett - sind eigentlich stolz darauf, ihre Arbeit gut zu machen. Sie wollen Qualität liefern. Aber dieser Anspruch kann durch äußere Zwänge unerfüllbar werden. Nicht nur durch Konkurrenz. Sondern vor allem durch den Druck, immer effizienter und billiger zu produzieren. Also schneller zu arbeiten. Das betrifft Schreiner und Krankenschwestern. Aber auch Ärzte und Architekten.
"Ich denke, es ist fair, wenn man sagt, dass während des Booms des Kapitalismus in den letzten 20 Jahren die Vergütung guter Qualitätsarbeit zumindest in Europa und Nordamerika zurückgegangen ist. Vor allem verglichen mit den Entlohnungen in der Finanzindustrie. Da waren doch wirklich keine Fachleute am Werk. Und sie sind so reich geworden. Sie wussten nicht, was sie da verkauften. Die Banken verstanden ihre Werkzeuge nicht und kannten die Konsequenzen ihres Handelns nicht. Als das Geschäft zusammenbrach, waren sie nicht in der Lage, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Schäden wenigstens zu begrenzen. Und was eine Rezession hätte sein können, entwickelt sich jetzt zur Depression."
Richard Sennett ist das Kind sogenannter "Kleiner Leute". Seine Großeltern waren russische Einwanderer. Seinen Vater hat er nie gekannt. Seine Mutter zog ihn als Sozialarbeiterin allein auf. In Chicago, in einer neuen Sozialbausiedlung. Als Kind lernte er früh Cello spielen. Er sei kein Wunderkind gewesen, sagt Richard Sennett bescheiden, doch so gut, dass er bald öffentlich auftrat und Geld verdiente. Beglückend war für ihn, als er mit zwölf Jahren endlich die schwierige Vibrato-Technik lernte. Doch später bekam er Probleme mit der linken Hand. Eine missglückte Operation zwang ihn, das Cellospiel aufzugeben. Er studierte und wurde ein überaus produktiver Sozialwissenschaftler, so Laudator Heinz Bude vom Hamburger Institut für Sozialforschung:
"Wie bei Tessenow findet sich bei Sennett die Idee eines dritten Wegs, für die Weckung des Wunsches, hart und gut zu arbeiten. Der Sozialismus ist mit dem moralischen Imperativ, für das Wohl der Gemeinschaft zu arbeiten, nach Sennett genauso gescheitert, wie der Kapitalismus, der auf die Belohnungen des Wettbewerbs setzt. Den unmotivierten Arbeitern im Sozialismus stehen die deprimierten Beschäftigen im Kapitalismus gegenüber. Handwerk stellt demgegenüber eine Praxis dar, die die Motivation zum Weiter- und Bessermachen aus der Tätigkeit selbst erzeugt."
Allerdings ist diese Art Handwerk vom Aussterben bedroht:
"Backen, Schuhe, Drucken, kann ich alles", sagt schon in seinem Buch "der flexible Mensch" eine Arbeiterin. Aber das klingt nicht stolz, sondern tieftraurig. Denn in Wahrheit bedient sie nur einen Computer. Eine berufliche Identität hat sie nie gehabt oder längst verloren.
Menschen wollen lernen. Sie brauchen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie für ihre Mitmenschen wertvoll machen, unverzichtbar. Wenn ihre Kreativität und ihr Können nicht mehr gefragt sind, verkümmern sie. Und mit ihnen Stolz, Loyalität und Begeisterung. Der Verlust von "Können" hat den Verlust von Selbstachtung zur Folge. Und den Verlust von Respekt. So heißt auch das teilweise autobiografische Buch von Richard Sennett: "Respekt im Zeitalter der Ungleichheit". Noch einmal Laudator Heinz Bude:
"Wichtig für das Werk von Richard Sennett und für uns heute ist der Gedanke, dass man einen Begriff von Öffentlichkeit braucht, wenn man nicht der Intimisierungslogik der Macht anheimfallen will. Charakter kann man nicht aus sich selbst holen und für sich selbst bewahren. Es braucht eine Resonanz im Allgemeinen und einen Widerschein im Öffentlichen, damit man, mit Hegel gesprochen, eine Person mit Erfahrung und ein Individuum mit Respekt sein kann."
Das Buch, das dem Preis der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft am nächsten steht, heißt "Fleisch und Stein" und untersucht die Beziehung zwischen Körpern und den Gebäuden, in denen diese Körper leben. Wie Frauen und Männer sich in bestimmten Städten bewegten, was sie sahen, hörten und rochen. Im antiken Athen, in Rom und in Greenwich Village, New York:
"Ich habe zwei Sachen in meinem Leben gemacht: Ich habe das Phänomen Arbeit studiert und Städte und Städtebau. Das mit der Arbeit war für mich eher ein Pflichtprogramm, als ein radikaler Linker musste ich mich für Arbeit interessieren. Aber das Studium der Städte war für mich eine Liebhaberei, ein Vergnügen, und insbesondere das Studium der physischen Gestalt von Städten, ihrer Planung und ihrer Architektur. Das heißt nicht, dass beides gar nichts miteinander zu tun hat. Denn wie unsere Städte aussehen, hängt auch vom kapitalistischen System ab. Natürlich. (...) Deshalb ist dieser Preis für mich ein ganz besonderes Ereignis."
Sein letztes Buch "Handwerk", wofür ihn die Tessenow-Gesellschaft mit der Medaille auszeichnet, ist sicher nicht sein bestes. Aber es vertieft zentrale Gedanken seines Werkes.
Handwerker - so Sennett - sind eigentlich stolz darauf, ihre Arbeit gut zu machen. Sie wollen Qualität liefern. Aber dieser Anspruch kann durch äußere Zwänge unerfüllbar werden. Nicht nur durch Konkurrenz. Sondern vor allem durch den Druck, immer effizienter und billiger zu produzieren. Also schneller zu arbeiten. Das betrifft Schreiner und Krankenschwestern. Aber auch Ärzte und Architekten.
"Ich denke, es ist fair, wenn man sagt, dass während des Booms des Kapitalismus in den letzten 20 Jahren die Vergütung guter Qualitätsarbeit zumindest in Europa und Nordamerika zurückgegangen ist. Vor allem verglichen mit den Entlohnungen in der Finanzindustrie. Da waren doch wirklich keine Fachleute am Werk. Und sie sind so reich geworden. Sie wussten nicht, was sie da verkauften. Die Banken verstanden ihre Werkzeuge nicht und kannten die Konsequenzen ihres Handelns nicht. Als das Geschäft zusammenbrach, waren sie nicht in der Lage, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um die Schäden wenigstens zu begrenzen. Und was eine Rezession hätte sein können, entwickelt sich jetzt zur Depression."
Richard Sennett ist das Kind sogenannter "Kleiner Leute". Seine Großeltern waren russische Einwanderer. Seinen Vater hat er nie gekannt. Seine Mutter zog ihn als Sozialarbeiterin allein auf. In Chicago, in einer neuen Sozialbausiedlung. Als Kind lernte er früh Cello spielen. Er sei kein Wunderkind gewesen, sagt Richard Sennett bescheiden, doch so gut, dass er bald öffentlich auftrat und Geld verdiente. Beglückend war für ihn, als er mit zwölf Jahren endlich die schwierige Vibrato-Technik lernte. Doch später bekam er Probleme mit der linken Hand. Eine missglückte Operation zwang ihn, das Cellospiel aufzugeben. Er studierte und wurde ein überaus produktiver Sozialwissenschaftler, so Laudator Heinz Bude vom Hamburger Institut für Sozialforschung:
"Wie bei Tessenow findet sich bei Sennett die Idee eines dritten Wegs, für die Weckung des Wunsches, hart und gut zu arbeiten. Der Sozialismus ist mit dem moralischen Imperativ, für das Wohl der Gemeinschaft zu arbeiten, nach Sennett genauso gescheitert, wie der Kapitalismus, der auf die Belohnungen des Wettbewerbs setzt. Den unmotivierten Arbeitern im Sozialismus stehen die deprimierten Beschäftigen im Kapitalismus gegenüber. Handwerk stellt demgegenüber eine Praxis dar, die die Motivation zum Weiter- und Bessermachen aus der Tätigkeit selbst erzeugt."
Allerdings ist diese Art Handwerk vom Aussterben bedroht:
"Backen, Schuhe, Drucken, kann ich alles", sagt schon in seinem Buch "der flexible Mensch" eine Arbeiterin. Aber das klingt nicht stolz, sondern tieftraurig. Denn in Wahrheit bedient sie nur einen Computer. Eine berufliche Identität hat sie nie gehabt oder längst verloren.
Menschen wollen lernen. Sie brauchen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie für ihre Mitmenschen wertvoll machen, unverzichtbar. Wenn ihre Kreativität und ihr Können nicht mehr gefragt sind, verkümmern sie. Und mit ihnen Stolz, Loyalität und Begeisterung. Der Verlust von "Können" hat den Verlust von Selbstachtung zur Folge. Und den Verlust von Respekt. So heißt auch das teilweise autobiografische Buch von Richard Sennett: "Respekt im Zeitalter der Ungleichheit". Noch einmal Laudator Heinz Bude:
"Wichtig für das Werk von Richard Sennett und für uns heute ist der Gedanke, dass man einen Begriff von Öffentlichkeit braucht, wenn man nicht der Intimisierungslogik der Macht anheimfallen will. Charakter kann man nicht aus sich selbst holen und für sich selbst bewahren. Es braucht eine Resonanz im Allgemeinen und einen Widerschein im Öffentlichen, damit man, mit Hegel gesprochen, eine Person mit Erfahrung und ein Individuum mit Respekt sein kann."
Das Buch, das dem Preis der Heinrich-Tessenow-Gesellschaft am nächsten steht, heißt "Fleisch und Stein" und untersucht die Beziehung zwischen Körpern und den Gebäuden, in denen diese Körper leben. Wie Frauen und Männer sich in bestimmten Städten bewegten, was sie sahen, hörten und rochen. Im antiken Athen, in Rom und in Greenwich Village, New York:
"Ich habe zwei Sachen in meinem Leben gemacht: Ich habe das Phänomen Arbeit studiert und Städte und Städtebau. Das mit der Arbeit war für mich eher ein Pflichtprogramm, als ein radikaler Linker musste ich mich für Arbeit interessieren. Aber das Studium der Städte war für mich eine Liebhaberei, ein Vergnügen, und insbesondere das Studium der physischen Gestalt von Städten, ihrer Planung und ihrer Architektur. Das heißt nicht, dass beides gar nichts miteinander zu tun hat. Denn wie unsere Städte aussehen, hängt auch vom kapitalistischen System ab. Natürlich. (...) Deshalb ist dieser Preis für mich ein ganz besonderes Ereignis."