Drei Tote in der Twitter-Timeline
Soll das digitale Profil Verstorbener gelöscht werden? Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann hält das für problematisch: Es stelle sich die Frage, ob man das Recht habe, auch die gesamte Kommunikation des Verstorbenen mit anderen Menschen zu löschen.
US-Experten für künstliche Intelligenz arbeiten derzeit an einem bemerkenswerten IT-Forschungsprojekt: Sie wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir auch nach unserem Tod als digitale Klone lebendig bleiben können. In diesem Zusammenhang wird erneut über die Löschung des digitalen Profils verstorbener Menschen diskutiert. Für Angehörige sei das oft eine schwierige Frage, meinte der Kulturwissenschaftler und Publizist Michael Seemann im Deutschlandradio Kultur:
"Hat man überhaupt das Recht, anderen Leuten, die über einen bestimmten Kanal mit jemandem in Kontakt getreten sind, sozusagen diese Daten zu nehmen? Also Daten, die nicht einfach nur der verstorbenen Person zuzuordnen sind, sondern natürlich auch denjenigen, mit denen er kommuniziert hat. Und die dann vielleicht tatsächlich diese Daten brauchen, um sich an ihn zu erinnern."
Digitale Imagepflege - auch nach dem Tod?
In seiner Twitter-Timeline befänden sich bereits drei Verstorbene, deren Accounts nicht gelöscht worden seien, berichtete Seemann. Er habe Verständnis dafür, dass viele Menschen auch nach ihrem Tod eine "gewisse Imagepflege" gewahrt haben wollten:
"Dass man eben sagt: 'Hier, passt mal auf, dass da nicht irgendwelche unangenehmen Details über mich noch veröffentlicht werden.' Aber ich glaube, das sind auch Dinge, die man zunehmend über Testamente geregelt haben möchte."
Seemanns Erfahrungen mit dem Twittern seines Ghost-Writers
Seemann berichtete auch von seinen eigenen Erlebnissen mit dem digitalen Klonen:
"Beispielsweise gibt es jemand, der sozusagen mein Buch als Fundus genommen hat, um ein Bot für Twitter zu programmieren, der mit einem statistischen Algorithmus daraus neue Tweets generiert. Also er nimmt den Textkorpus des Buches und twittert da sozusagen Sätze, die ich geschrieben haben könnte, aber nicht geschrieben habe. Das heißt mit anderen Worten: Wenn ich jetzt sterbe, dann twittert bereits ein Bot auf Grundlage meiner Daten über meinen Tod hinaus."
Die mögliche Re-Simulation des Bewusstseins
In den USA gebe es einige Spezialisten, die über die reine Simulation von Äußerungen noch hinaus gehen wollten, sagte Seemann:
"Sie sagen: ab einem bestimmten Punkt – wenn wir genügend Daten haben, wen wir genug gute Algorithmen haben –, dann sieht es nicht nur so aus, als ob da eine Person spricht, die bereits tot ist, sondern dann ist das Bewusstsein selber re-simuliert. Man spricht dann von Mind-Upload."