Amazon lässt gucken
Im vergangen Jahr geriet der US-Internet-Händler Amazon in Deutschland massiv in die Kritik. Im Weihnachtsgeschäft habe er Mitarbeiter ausgebeutet und zum Teil unter unwürdigen Umständen in abgelegenen, kalten Unterkünften einquartiert. Amazon gelobte Besserung. Ein Besuch im Amazon-Lager in Koblenz.
Als die Sirene losgeht, zuckt die Journalistengruppe vor dem Werkstor zusammen. Doch passiert ist nichts. Jemand hat an einer falschen Eingangstür gerüttelt und dabei den Alarm ausgelöst. Ein Mann um die 40, der seinen Namen nicht nennen will. Die Koblenzer Agentur für Arbeit hat ihn zu Amazon geschickt, weil er Hartz VI bekommt. Als Aushilfspacker bei dem Internethändler könnte er 9,90 Euro die Stunde verdienen und wenigstens bis Weihnachten aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Aber der Mann, ein gelernter Maler, hat wenig Lust, bei Amazon zu arbeiten:
"Hier gibt es keine Gewerkschaft, hier gibt es nichts eigentlich. Ich weiß nicht, ob das so alles so gut ist. Was hat man als Arbeitnehmer, außer der Gewerkschaft?"
Die Journalistengruppe wird durch ein Drehkreuz in das Amazon-Auslieferungslager gelotst. Es ist das erste Mal, dass ich in das Werk komme. Im vergangenen Jahr blieben Mails und Telefonate mit der Bitte um eine Werksbesichtigung unbeantwortet. Zu viel Ärger hatte Amazon mit Vorwürfen wegen schlechter Behandlung von Leiharbeitern oder Bezahlung unter Tarif. Jetzt bemüht man sich um Imageverbesserung.
Pyramide aus Amazon-Kartons
Im Eingangsbereich des mehrere Fußballfelder großen Gebäudes stehen zwei Tischkicker, an denen junge Männer um die 20 die Stangen mit den Miniaturspielern drehen. Gleich daneben ist aus Amazon-Verpackungskartons eine mehrere Meter hohe Pyramide gestapelt. Mit Lametta und roter Mütze geschmückt. Ein Geschenke-Haufen wie unter dem Weihnachtsbaum.
"Herzlich Willkommen bei Amazon Koblenz. Mein Name ist Gregory Brian."
Begrüßt wird die Gruppe vom Koblenzer Amazon-Werksleiter Gregory Brian. Der 50 Jahre alte, smarte US-Amerikaner trägt eine blaue Sicherheitsjacke. Begleitet wird er von einem etwas jüngeren, stämmigen Mann in kurzem Hemd. Es ist der Betriebsratsvorsitzende Reimar Floeck. Er betont, dass er kein Mitglied der zuständigen Gewerkschaft Verdi ist. Die ruft im Weihnachtsgeschäft in einigen deutschen Amazon-Lagern zum Streik auf, um einen Tarifvertrag durchzusetzen, den der US-Konzern bisher verweigert:
"Wir arbeiten sehr gut mit Verdi zusammen. Wir haben auch einige Kollegen im Gremium, die Verdi-Mitglied sind. Es ist natürlich so, dass wir nicht wissen, wann und wo gestreikt wird."
Wir erfahren: Im Weihnachtsgeschäft arbeiten bei Amazon in Koblenz rund 4000 Packer. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert, dass davon wieder 500 Leiharbeiter sind. Nach wie vor sei Arbeit bei Amazon „ein prekäres Geschäft" für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, heißt es in einer Stellungnahme des rheinland-pfälzischen Landesbezirks der Gewerkschaft. Auch den Verdi-Streik bei Amazon in Bad Hersfeld und Leipzig für einen Tarifvertrag unterstützt der Koblenzer Betriebsrat nicht. Es gibt sogar Gerüchte, dass der Standort Koblenz Aufträge abwickelt, die an den Streikorten liegen bleiben und damit den Streikenden in den Rücken fällt. Betriebratschef Reimar Floeck wiegelt ab:
"Ich sehe das nicht so, dass wir als Streikbrecher fungieren in Koblenz. Für uns ist dies hier erst mal kein Thema. Ich hoffe es bleibt auch bei uns so, dass es kein Thema ist."
Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat
Werksleiter Gregory Brian nickt. Inzwischen arbeitet er gut mit dem neuen Betriebsrat zusammen, glaubt er:
"Für mich eigentlich als Amerikaner, mit einem Betriebsrat zu arbeiten, als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam, war das fremd. Das muss ich zugeben. Ich habe so etwas nie gehört und gesehen. Das man so eng zusammenarbeitet mit einem Betriebsrat und dass dieses Gremium so viel Macht hat, hatte ich nie gesehen, bevor ich nach Deutschland kam. Über die Jahre habe ich dann wirklich gelernt, diese Balance zu respektieren, die wir hier haben. Man muss wirklich zuhören, man muss wirklich eine Partnerschaft aufbauen, um erfolgreich zu sein."
Die Journalistengruppe wird durch eine Sicherheitsschleuse in die Hallen geführt, in denen Bücher und andere Handelswaren verpackt werden. Kontrolliert wird mit Metalldetektoren wie an Flughäfen, damit nichts geklaut wird. In der Packhalle flitzen gelbe Boxen mit Waren über Fließbänder, an denen Arbeiterinnen stehen. Die Boxen werden hier „der gelbe Tod" genannt. Zu Tode erschöpft ist hier so mancher sogenannte "Picker", der an den Regalen mehr als zehn Kilometer am Tag entlanglaufen muss, um Waren in die Kisten zu packen. Bisher ohne jeden Schutz eines Tarifvertrages. Ein ehemaliger Amazon-Packer beschreibt es so:
"Wenn man das den ganzen Tag machen muss, dann hat man mit der Wirbelsäule Probleme. Ich bin wirklich einiges gewöhnt. Aber selbst ich war nach acht Wochen an meinem äußersten Limit angekommen."
In der Werkshalle sagt Werner Eis, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende in Koblenz: Eigentlich gehört es sich für einen Konzern wie Amazon nicht, dass er einen Tarifvertrag verweigert. Doch er findet, der US- Internet-Händler hat in Deutschland ein Image, das zu schlecht ist:
"Nicht alles, was man über Amazon liest, ist richtig. Wie erleben das hier anders."
Keine Unterbringung in Ferienanlagen mehr
Die Leiharbeiter sollen in diesem Jahr nicht mehr in abgelegenen, kalten Ferienhaussiedlungen untergebracht wird wie im vergangen Jahr. Aufgedeckt von einem Fernsehteam des Hessischen Rundfunks. Amazon-Sprecher Stefan Rupp:
"Wir haben aus dem letzten Jahr gelernt, wir wollen keine Unterbringung mehr. Wir haben gesehen, das war nicht in einem Maßstab, dass wir sagen konnten: Das ist in Ordnung bei Amazon. Deswegen haben wir gesagt, wir machen das nicht mehr. Wir haben gesagt, wir suchen lokal, regional. Und wir geben das auch den Zeitarbeitsfirmen als Vorgabe, die dürfen nicht unterbringen, weil die Verantwortung ja letztlich wieder bei Amazon liegen würde."
Amazon bemüht sich deutlich um ein besseres Image. Doch das ist schwer das wird draußen vor den Werkstoren deutlich, wo die Leute freier reden können:
"Die Angst bei Amazon ist immer noch unwahrscheinlich groß, die Angst, ob ich einen unbefristeten Job bekomme."
"Das sind ja keine Sklaven, das sind ja Menschen wie du und ich. Und deswegen müssen da schon Arbeitsplätze geschaffen werden, die menschliche Aspekte haben."
"Die Würde der Menschen ist unantastbar, auch in einem Arbeitsverhältnis."
In Bad Hersfeld und Leipzig wird bald wieder gestreikt. In Koblenz nicht. Hier stört zunächst nur ein Fehlalarm den Betriebsfrieden.