Logistik der Erstaufnahme

Wie ein Zeltcamp winterfest gemacht wird

Das Zeltcamp am Flughafen Frankfurt-Hahn im August: Inzwischen wird es in Deutschland richtig kalt.
Das Zeltcamp am Flughafen Frankfurt-Hahn im August: Inzwischen wird es in Deutschland richtig kalt. © picture alliance / dpa / Harald Tittel
Von Anke Petermann |
Das Zeltcamp am Flughafen Frankfurt-Hahn gehört zu den größten vorübergehenden Unterkünften der Flüchtlingserstaufnahme in Rheinland-Pfalz. Eigentlich sollten die Not-Camps zum Winter hin abgebaut werden. Stattdessen werden sie nun aufgerüstet.
Wie der Tresen eines Drogerieladens wirkt der Tisch im einstigen Einkaufszentrum für US-Militärs. Davor stehen Flüchtlinge Schlange. Nicole Carl vom Deutschen Roten Kreuz hat einen Stapel Windeln darauf gelegt. Martin Maser, ihr Chef beim DRK Rhein-Hunsrück, erklärt:
"Viele Sachen werden uns direkt gespendet - auch von Firmen. Viele Sachen kaufen wir auch über Spenden, die wir bekommen. Also: Die Hilfsbereitschaft ist riesig aus der Bevölkerung. Das ist wirklich ganz toll."
"You need any more?"
Die syrische Mutter von fünf Kindern zeigt in Richtung Babygläschen, die hinterm improvisierten Tresen im Regal stehen. Ihr Jüngstes ist erst sieben Monate alt.
"Fruit - you need fruit?"
Die Frau nickt, Nicole Carl reicht ihr die Obst-Gläschen. Im Sommer hat die Betreuerin sechs Wochen ehrenamtlich hier gearbeitet, dann bekam sie einen Halbtagsjob beim Deutschen Roten Kreuz.
Omar hilft bei der Ausgabe und übersetzt
"Ich bin sehr begeistert davon. Es macht riesigen Spaß. Wir sind vor anderthalb Jahren erst hier hochgezogen. Ich hab' einen sechsjährigen Sohn, und jetzt habe ich hier halt meine Arbeit während der Kindergartenzeit und kann das alles unter einen Hut bringen."
Omar aus Syrien hilft bei der Ausgabe mit und übersetzt, damit seine Landsmännin einen Babyschnuller in der richtigen Größe findet. Der 22-Jährige gehört zu den Flüchtlingen, die an vielen Stellen im Camp den Betrieb mit am Laufen halten.
"Die bekommen 1 Euro und 5 Cent die Stunde",
so Martin Maser, Geschäftsführer vom DRK-Kreisverband Rhein-Hunsrück. Der betreibt das Camp. Mit rund hundert Mitarbeitern, etwas mehr als die Hälfte davon hauptamtlich. Und den Flüchtlingen, die assistieren.
"Da haben wir verschiedene Helfer, wo die Waschmaschinen laufen und bei dem Kehren, Reinigen und Müllbeseitigen, da haben wir auch ganze Helfergruppen, Fahrradewerkstatt. Die sind sehr dankbar und auch sehr, sehr engagiert. Es macht richtig Spaß, denen zuzugucken."
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (r, SPD) spricht im August in dem Aufenthaltszelt auf dem Flughafen Frankfurt-Hahn in Lautzenhausen mit Bewohnern.
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (r, SPD) spricht im August in dem Aufenthaltszelt auf dem Flughafen Frankfurt-Hahn in Lautzenhausen mit Bewohnern.© dpa / picture alliance / Harald Tittel
"Es ist besser zu arbeiten, denn es ist langweilig, dazusitzen und nur zu warten",
meint Omar, der sein Architektur-Studium in Syrien abbrechen musste und es in Deutschland gern fortsetzen würde. In den rund sechs Wochen, die Flüchtlinge in rheinland-pfälzischen Erstaufnahmen bleiben, will er im Sprachkurs vor Ort möglichst viel lernen.
Das Mittagessen wird in Konvektomaten erhitzt
Deutschunterricht ist wichtig. Es gibt allerdings nur zwei Stunden in der Woche und auch nicht für alle Leute. Wegen der hohen Flüchtlingszahlen gibt es wohl nicht genug Lehrer, aber es ist okay.
Im vormaligen US-Einkaufszentrum wird auch die Verpflegung der 640 Flüchtlinge organisiert. Ein Caterer liefert Frühstück und Abendessen. Das Mittagessen – deutsche Küche ohne Schweinefleisch – kommt portionsweise eingefroren und muss nur noch in sogenannten Konvektomaten erhitzt werden. Anfangs wurde Essen aus dem Topf geschöpft, doch das war streitträchtig, weil sich stets einige Flüchtlinge benachteiligt fühlten, erinnert sich Martin Maser.
"Vielleicht auch, weil sie gedacht hatten, dass der Topf irgendwann leer ist und man nichts mehr zu essen kriegt – die Angst davor. In Deutschland ist ja der Topf nicht leer, Essen ist ja ausreichend vorhanden, durch diese Portionierung gibt's da auch überhaupt keine Probleme."
Der frühere Laden für US-Militärs ist das einzige feste Gebäude im Camp am Hahn. Ansonsten spielt sich das Leben in vier heizbaren Wohnzelten ab, drei für Familien, eines für Männer. Darin je 150 Schlafplätze in einem Raum mit festem Boden und Kunststoffwänden. Über die Doppelstockbetten haben die Bewohner weiße Laken gehängt - dürftiger Schutz der Intimsphäre.
Im Essenszelt mit langen Biertischen organisiert die Diakonie in den freien Zeiten Rechtsberatung. Schichtweise werden im Kindergarten- und Schulzelt Kleinkinder und Ältere betreut, Deutschunterricht gibt es für alle. Heute allerdings nicht. Da sind Sturmschäden zu reparieren. Tina Kaiser:
"Hier – die Sachen sind weggeflogen, und wir mussten hier alles wegräumen, Deshalb sieht's hier so aus. Wir müssen das Zelt reparieren."
"Jetzt wird's natürlich auch kalt"
Der heftige Wind hat in der Nacht das Vordach umgeblasen. Und eine Metallstütze hat das Dach vom Kindergarten- und Schulzelt aufgeschlitzt, erzählen die Lehrerin Steffi Stein und die Erzieherin Tina Kaiser. Aber die Wände aus Plastik-Waben trotzen den Böen, die über den Hunsrück fegen. Yannick Lenz:
"Ja, wurde jetzt alles auch noch mal doppelt gemacht, doppelter Boden, doppelte Wände, dass die Hitze auch drin bleibt. Jetzt wird's natürlich auch kalt, mit einer zweiten Heizung haben wir das ausgerüstet."
Yannick Lenz kam auf Anruf der Camp-Leitung sofort aus Bitburg in der Eifel. Gemeinsam mit zwei Flüchtlingen richtet der Juniorchef des Zeltverleihs die eingeknickten Stützen wieder auf. Die Firma bestückt auch die Erstaufnahme-Camps in Hermeskeil, Ingelheim und Mainz mit Zelten aus belgischer und deutscher Produktion. Ein willkommenes Zusatzgeschäft zu den üblichen Messen, Shows und Hochzeiten. Aber keine allzu große Herausforderung, findet Lenz:
"Wir sind ja schon ein großer Betrieb, und wir stellen viele Zelte auf. Ca. 30 bis 40.000 Quadratmeter haben wir auf Lager mal gehabt. Ich denke, 10 oder 12.000 Quadratmeter sind weg. Wir haben noch 'n bisschen."
Am Rand seiner Kapazitäten, aber zufrieden, ausgelastet zu sein, arbeitet Reiner Steeg, der im Camp Heizungen repariert. 20 Kilometer entfernt davon liegt sein Betrieb vom Camp. Steegs Leute kommen auch nachts im Notdienst. Derzeit legt der Installateur heizbare Bänder um die Wasserleitungen und Abflüsse der Wasch- und Dusch-Container.
"Damit die nicht einfrieren, und dann werden die Leitungen noch eingepackt in Isolierungen, in Schaumstoffisolierungen."
Martin Maser staunt, wie rund alles läuft, trotz der steigenden Zahl an Flüchtlingen. "Von wegen in Deutschland funktioniert nichts", bemerkt der Rot-Kreuz-Mann mit Blick auch auf den Caterer, der die Konvektomaten trotz der Engpässe in Rekordzeit lieferte.
Ein Zelt bleibt eine notdürftige Unterkunft
"Der Pragmatismus und die Durchsetzungskraft auch des Mittelstandes sind schon erstaunlich. Wenn's gilt, dann gilt's und dann wird's auch gemacht."
Alle geben alles. Dennoch: ein Zelt im Hunsrück bleibt eine notdürftige Unterkunft in einem zugigen, zunehmend frostigen Mittelgebirge.
"It's cold! It's cold!"
Und deshalb heftet sich die kleine Syrerin an die Fersen des Camp-Leiters und löchert ihn, wann ihre Familie endlich in eine Kommune verlegt wird.
"Problem, no transfer!"
Sechs Wochen muss die etwa Zehnjährige mit ihrer Familie insgesamt am Hahn ausharren. Sie erlebt hier wohl bald, wie aus Regen Schnee wird. Für die Flüchtlinge aus den sonnigen Ländern wird der Gang zum Wasch-Container dann zur Tortur, selbst wenn der Hunsrücker Installateur die Leitungen hervorragend isoliert hat.
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