Entlohnung von Gefangenen

Arbeiten für einen Bruchteil des Mindestlohns

07:27 Minuten
Männer arbeiten in der Wäscherei der Justizvollzugsanstalt Berlin Plötzensee.
Das wenige Geld, das Inhaftierte für ihre Arbeit bekommen, ergibt sich aus den Strafvollzugsgesetzen der Länder. © picture alliance / photothek / Thomas Trutschel
Von Timo Stukenberg |
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Insassen in deutschen Gefängnissen arbeiten auch für Großkonzerne. Und verdienen zwischen einem und drei Euro pro Stunde. Viel zu wenig, sagt ein bayerischer Gefangener. Jetzt verhandelt das Bundesverfassungsgericht über seine Beschwerde.
Ein Einzelsprechzimmer in der Justizvollzugsanstalt Straubing, eine der größten Strafanstalten Bayerns. Die Wände sind kahl, der Tisch ist an der Wand befestigt. Besucher werden durch die eine Tür hereingeführt.
Durch eine zweite Tür führt ein Beamter Peter Roth herein. Mitgebracht hat der Gefangene einen dicken Ordner mit Unterlagen.

Ein Vierteljahrhundert in Haft

Roth ist 61 Jahre alt, seit 25 Jahren ist er schon inhaftiert. Lange war die JVA Straubing für ihn nicht nur ein Gefängnis, sondern auch sein Arbeitsplatz. Zu Beginn seiner Haftzeit hat er für den Triebwerkshersteller MTU gearbeitet, hat Laufscheiben für Flugzeugturbinen hergestellt.
Mittlerweile gilt er im Gefängnis als unverschuldet arbeitslos. Doch das Unternehmen lässt auch heute noch in der JVA Straubing Gefangene für sich arbeiten.
„Sie müssen sich vorstellen: Eine riesige Halle, in der große Fertigungsmaschinen stehen. Fräsmaschinen, Drehmaschinen, Schleifmaschinen, dann gab es in einem separaten Bereich für Schweißereiarbeiten“, erzählt er. „In einem anderen separaten Bereich die Werkzeuginstandsetzung, da wurden Bohrer geschliffen. Und das ganze Betriebsgelände, das nach meiner Zeit immer vergrößert und erweitert wurde, das sind bestimmt einige Tausend Quadratmeter.“
Dort hat der Gefangene vier Jahre lang gearbeitet. Danach wurde er erst in der Bücherei eingesetzt, anschließend in der anstaltseigenen Möbelproduktion. Für seine Schichten von jeweils acht Stunden bekam er pro Tag zuletzt weniger als 20 Euro.

Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit hinter Gittern

In Bayern und elf weiteren Bundesländern sind die Gefangenen zur Arbeit verpflichtet, wenn sie arbeitsfähig sind und es genug Arbeit gibt. Laut Artikel 12 des Grundgesetzes ist Zwangsarbeit hinter Gittern erlaubt.
Für ihre Arbeit verdienen die Inhaftierten zwischen einem und drei Euro pro Stunde, egal ob sie in der anstaltseigenen Wäscherei oder in einem sogenannten Unternehmerbetrieb an Triebwerksteilen arbeiten. Das ergibt sich aus den Strafvollzugsgesetzen der Länder.
Konkret ist der Lohn für Gefangene darin auf neun Prozent der Eckvergütung, einem Durchschnittswert der Rentenversicherung, festgelegt. Ob das hoch genug ist, verhandelt nun ab Mittwoch das Bundesverfassungsgericht. Denn Roth und weitere Gefangene haben dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Es ist ja so, dass wahrscheinlich jeder Straftäter Kosten verursacht und auch in vielen Fällen schadensersatzpflichtig ist. Dagegen sagt keiner was. Also ich kriege eins zu eins die Kostenlast aufgebürdet, mache dann eine ganz normale Arbeit und kriege jetzt für meine Tätigkeit, in der ich mich auch zu 100 Prozent geistig und körperlich einbringe, nur neun Prozent Entlohnung – und das ist dann ungerecht.

Ich kann nicht eine hohe Eins-zu-eins-Schuldenlast oder Opferentschädigung dadurch ausgleichen, dass ich nur neun Prozent vom Einkommen habe. Und diese Diskrepanz wird sich jetzt ohne diese Verfassungsbeschwerde nicht ändern.

Peter Roth

Bayerns Justizministerium gegen höhere Löhne

Das bayerische Justizministerium hält dagegen. Eine Erhöhung der Gefangenenlöhne würde die Kosten für die sogenannten Unternehmerbetriebe in den Anstalten erhöhen, schreibt das bayerische Justizministerium auf Anfrage:

„Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Unternehmen die Zusammenarbeit mit dem Justizvollzug unter Verweis auf Kostengründe beendeten und ihre Produktion beispielsweise in das Ausland verlegten.“

Höhere Löhne gefährdeten demnach die Wiedereingliederung der Gefangenen in die Gesellschaft, weil sie hinter Gittern zu Arbeitsplatzverlusten führten. Bereits jetzt gibt es lediglich für etwas mehr als die Hälfte der bayerischen Gefangenen einen Job. Dabei sei gerade eine Heranführung an das Arbeitsleben ein wichtiger Baustein der Resozialisierung.
Darüber hinaus, schreibt das Ministerium, sei die Produktivität der Gefangenen wesentlich niedriger als draußen. Verglichen mit der Gesamtbevölkerung hätten viele Gefangene keinen Schul- oder Berufsabschluss und seien vor ihrer Inhaftierung arbeitslos gewesen:

„Ein häufiger Arbeitskräftewechsel und der Einsatz von Gefangenen an berufsfremden Arbeitsplätzen senken die Produktivität zusätzlich. Auch ist die Durchführung anderer Resozialisierungsmaßnahmen oder Behandlungstherapien während der Arbeitszeit zu gewährleisten.“

Anspruchsvolle Aufträge für die Autoindustrie

Allein in Bayern lassen rund 200 Firmen in Gefängnisse produzieren, zu Niedrigstlöhnen. Oft üben die Gefangenen einfache Tätigkeiten aus, verpacken, sortieren oder kartonieren Waren. Einige führen aber auch anspruchsvolle Aufträge aus, bedienen im Auftrag von Firmen computergestützte CNC-Maschinen oder bearbeiten Druckaufträge.
Das Argument des Justizministeriums will der inhaftierte Beschwerdeführer Roth daher nicht gelten lassen.
„Wenn die Firma BMW, die hier Teile verpacken lässt, bei der Ausgabe der Teile ständig Reklamationen hätte, weil die irgendwie zu wenig sind oder falsch gepackt oder vertauscht oder was auch immer, dann würde so ein Premium-Hersteller wie BMW sagen: Meine Herren, tut mir leid, das geht nicht mehr! Das können wir uns nicht leisten, als hochqualifizierter Fahrzeughersteller hier so schlechte Qualität zu liefern“, erklärt er.
„Das ist aber nicht der Fall. Diese Firma ist seit vielen, vielen Jahren hier: Einfach deshalb, weil wir gute Arbeit machen.“

"Wir sollten uns am Mindestlohn orientieren"

Roth hat in seiner Beschwerde gefordert, den Lohn deutlich zu erhöhen, zum Beispiel auf 40 Prozent der Eckvergütung. In der höchsten Lohnstufe kämen inhaftierte Gefangene dann auf mehr als den Mindestlohn. Den fordern auch andere Gefangene der JVA Straubing aktuell mit Verweis auf ihre qualifizierte Arbeit in einer Petition.
Toni Schuberl, Abgeordneter der oppositionellen Grünen im bayerischen Landtag, unterstützt den Vorschlag.
„Also ich denke, wir sollten uns hier am Mindestlohn orientieren. Natürlich mit gewissen Abzügen, weil der Staat ja für bestimmte Dinge sorgt, für Essen und so weiter. Aber die Orientierung sollte am Mindestlohn sein“, sagt er.
Auf die Unternehmen will er diese Preiserhöhung jedoch nicht umlegen. Stattdessen sollte die Lohnerhöhung aus dem Landeshaushalt finanziert werden.

Ja, also für Unternehmen muss es sich natürlich rentieren, ins Gefängnis zu gehen und was auszulagern in die JVAs. Aber es rentiert sich nicht so, dass wir Mühe haben, Unternehmen zu finden, die das wollen.

Toni Schuberl, Abgeordneter der Grünen

Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts will in der anstehenden zweitägigen Verhandlung die Argumente von Gefangenen und Ministerien erörtern. Es geht dabei auch um viel Geld, wie Peter Roth an einem Rechenbeispiel verdeutlicht.

"Das geht ruckzuck in die Millionen"

Also wenn man jetzt sagt, das Verfassungsgericht wird für alle deutschen Gefangenen entscheiden müssen. Wir haben ungefähr 60.000 Inhaftierte. Wenn da jeder in der Stunde nur einen Euro mehr verdienen sollte, dann wären das 60.000 Euro pro Stunde und das geht natürlich ruckzuck in die Millionen“, erläutert er.
Für Roth geht es aber nicht nur ums Geld, sondern vor allem um Gerechtigkeit – und um die Anerkennung der Arbeit hinter Gittern.
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