Lokalwährungen in Krisenzeiten
Der Delta-Euro von Deltebre: Etwa ein Dutzend Gemeinden experimentieren in Spanien mit lokalen Währungen. © Deutschlandradio / Julia Macher
Unser Geld, hiergeblieben!
29:52 Minuten
Geld, das nur in einer ganz bestimmten Region ausgegeben werden kann, stärkt die lokale Wirtschaft und mit ihr das Gemeinschaftsgefühl. In Spanien setzen Kommunen auf analoge und digitale Währungen. Sie bewähren sich vor allem in Krisenzeiten.
Deltebre in der katalanischen Provinz Tarragona ist kein besonders hübsches Dorf. Ein paar im Karree angelegte Straßen, gesäumt von schmucklosen, zweistöckigen Häusern aus den 1970er-Jahren. Bevorzugte Fassadenfarbe: Beige und Betongrau. In der Haupteinkaufsstraße: eine Bäckerei, eine Apotheke, ein paar Gemischtwarenläden, ein kleiner Supermarkt.
Hier habe ich mich mit Marisa Miró verabredet. Zur Shoppingtour. Bezahlt wird nicht in Euro, sondern in Euro-Delta, der lokalen Währung der 11.000-Einwohner-Gemeinde. Viel rechnen müssen wir wohl nicht: Der Kurs liegt stabil bei eins zu eins. Ein Euro entspricht einem Euro-Delta.
Alle drei Monate 120 Euro-Delta vom Rathaus
Marisa Miró wartet auf einem Mäuerchen, neben sich eine Krücke. Ein Arbeitsunfall, erklärt sie, fünf Jahre her. Damals arbeitete sie in einem Supermarkt in Tarragona und stürzte so schwer in die Kühlkammer, dass sie mehrfach am Rücken operiert werden musste. Seitdem ist sie arbeitsunfähig. Die Krücke ist mein Erkennungszeichen, scherzt sie und steht auf.
Marisa Miró ist 65 Jahre alt und trägt einen modischen Kurzhaarschnitt mit blonden Strähnchen – und ist keine, die sich so schnell unterkriegen lässt. Dabei hat sie ein hartes Jahr hinter sich. Fast drei Monate lag sie wegen einer Covid-19-Erkrankung erst im Bett, dann auf dem Sofa, zu erschöpft, um vor die Tür zu gehen. Dazu die ständigen Schmerzen im Rücken.
Aber jetzt geht es aufwärts. Auch dank des Euro-Delta. Alle drei Monate erhält Maria 120 Euro-Delta aus der Rathauskasse. Die lokale Währung ist Teil des Sozialprogramms, das die Gemeinde während der Pandemie aufgelegt hat.
"Die sehen fast so aus wie das Geld von früher"
"Lluisa aus dem Rathaus hat mir davon erzählt und gesagt, ich soll mich bewerben. Von alleine hätte ich das wahrscheinlich gar nicht mitbekommen. Also habe ich den Antrag ausgefüllt und man hat mir die Hilfe bewilligt. Als ich dann die ersten Euro Delta in der Hand hatte, musste ich lachen: Die sehen fast so aus wie das Geld von früher", erzählt sie.
Miró kramt die postkartengroßen Scheine aus dem Portemonnaie: zwei grüne Fünfer, einen rostroten Zehner, einen blauen Zwanziger. Auf allen prangt ein rot-weißer Leuchtturm, das Wahrzeichen der Gemeinde und der Schriftzug Deltebre. Etwa ein Dutzend Gemeinden experimentieren in Spanien mit lokalen Währungen, fast immer haben sie eine soziale Funktion. Jetzt, in der Coronakrise, ist dieser Aspekt besonders wichtig.
Die Gemeinde Deltebre hat im letzten Jahr 100.000 Euro in Euro-Deltas ausgezahlt, 40.000 sind es bisher in diesem Jahr. Das Budget wird ständig aufgestockt. Das Geld fließt an Selbstständige, die wegen der Pandemie ihre Geschäfte schließen mussten und an Menschen, die ohnehin am Existenzminimum leben. So wie Marisa Miró.
"Ich bekomme 800 Euro Sozialhilfe. 200 Euro dafür gehen für die Schuldentilgung drauf, 300 für die Miete, 120, 150 für Wasser, Strom, Versicherungen. Danach ist die Kasse leer. Von was soll ich da noch leben? Was soll ich essen? Mir kommt so eine Hilfe deswegen sehr gelegen. Ich habe bis heute von dem gelebt, was ich mir im letzten Monat von den Euro-Deltas gekauft habe. Aber jetzt ist alles aufgebraucht", sagt sie.
Über 70 Geschäfte machen mit
Deswegen wird heute eingekauft. Erste Station: der Gemischtwarenladen gegenüber. An der gläsernen Eingangstür pappt ein Aufkleber: Hier können Sie mit Euro-Delta zahlen. An über 70 Geschäften klebt dieser Hinweis. Neben Lebensmittelläden sind auch Boutiquen und ein Friseur dabei. Da habe sie sich ihre Strähnchen machen lassen, sagt Marisa stolz.
Die Augenbrauen zupft sich Marisa selbst. Die Frau vom Schönheitssalon nehme keine Euro-Delta. Marisa Miró begrüßt die Besitzerin des Gemischtwarenladens mit einem freundlichen Kopfnicken. Dann lässt sie einen prüfenden Blick über die Kisten mit Erdbeeren, Äpfeln und Paprika schweifen, geht durch die Regalreihen nach hinten, zu den Hygieneartikeln.
"Früher habe ich hier nur Obst gekauft und Wasser, Brot, Fleisch, Putzmittel im Supermarkt. Jetzt, wegen des Eurodelta, kaufe ich alles hier." Letztlich entscheidet sich Marisa doch nur für Kartoffeln. Die sind im Angebot: Drei Kilo Bio-Ware für 3,60 Euro.
Maria-Dolores packt ihr noch ein paar Äpfel und Süßigkeiten in die Tüte – damit der Einkauf wirklich fünf Euro wert ist. Wechselgeld gibt es keines. Die Bezugsscheine lassen sich nicht stückeln und Restbeträge dürfen nicht in "echten" Euro zurückgezahlt werden. So soll gewährleistet werden, dass das Geld tatsächlich nur im Ort selbst, in den beteiligten Geschäften ausgegeben wird. Marisas grüner Euro-Delta-Schein ist heute der erste in Maria-Dolores Kasse.
"Für uns kleine Geschäfte ist das ein gutes System"
"Am Tag kommen vielleicht zehn Leute, die mit Eurodelta zahlen", erzählt sie. "Ich bringe die Scheine dann am Monatsende ins Rathaus, zusammen mit den Kauftickets und bekomme den Kaufbetrag in echten Euros zurückerstattet. Für uns kleine Geschäfte ist das ein gutes System: So kommen Kunden, die vorher noch nie bei mir waren, weil es hier eben etwas teurer ist als im Supermarkt."
Um die Neukunden auch zu halten, achtet Maria-Dolores darauf, dass sie das Maximum aus ihren Bezugsscheinen herausholen. Nicht alle Händler sind so geduldig. Deswegen überlegt sich Marisa Miró vor dem Betreten jedes Geschäfts in der Regel genau, was sie braucht.
"Man muss eben die Kontrolle behalten und sich Grenzen setzen. Ich kenne Leute, die bestellen in der Bäckerei einen Kaffee und bezahlen den mit fünf Euro-Delta. Aber so funktioniert das natürlich nicht. Man muss drei Stangen Brot kaufen, das sind dann drei Euro, und vom Rest den Kaffee. Ich nutze meine Euro-Deltas wirklich bis zum letzten Cent", erklärt sie.
Mehr Teilhabe am Dorfleben
So macht sie das auch jetzt. Zwei der drei Weißbrotstangen wird sie später einfrieren, den Kaffee gönnt sie sich sofort. 120 Euro zusätzlich pro Trimester: Das klingt nicht viel, für Marisa Miró aber macht das Extrageld einen großen Unterschied. Es lässt sie wieder mehr am Dorfleben teilhaben.
Sie rückt den Metallstuhl in Blickrichtung Straße. "Früher war das alles voller Schlaglöcher", erzählt sie. Bei jedem Regen verwandelte sich das Dorf in ein einziges Schlammfeld. Marisa Miró ist in Deltebre geboren und aufgewachsen. Sie zeigt mit dem Kinn auf die Dorfkirche gegenüber. Hier wurde sie getauft, hat geheiratet und ihre Kinder zur Erstkommunion begleitet. Viel Geld war nie da. Ihre Eltern hatten einen kleinen Garten. Dazu etwas Fischerei, ein bisschen Reis: Das musste reichen.
"Früher hatte ich auch wenig, aber da lebten meine Eltern noch. Mein Bruder ist gestorben. Meine Schwester ist geschieden und hat zwei Töchter, sie kann mir auch nicht helfen. Und die Kinder sind außerhalb. Ich habe eben jetzt niemand mehr. Das ist der Unterschied", sagt sie. Immerhin: Die Freunde und Nachbarn sind geblieben. Hier ein Scherz, da ein nettes Wort. Fast jeder im Dorf kennt "Marisa mit der Krücke". Und fast jeder weiß, dass sie Euro-Delta erhält. Das stört sie nicht. Meistens.
"Beim letzten Einkauf bei Maria-Dolores kam eine Frau und sagte: ‚Na, du hast aber zugelangt. Dabei lebst du doch alleine!‘ Der habe ich dann gesagt: Nimm es mir nicht übel, aber das geht dich gar nichts an. So bin ich." Sie rührt resolut im Kaffee. Nein, leid tut sie sich nicht. "Mir ist das auch nicht peinlich, zu sagen, dass ich Hilfe brauche – ich helfe ja auch, wenn ich kann! Aber wenn das Rathaus den Euro-Delta irgendwann einmal einstellt, dann mache ich Rabatz!" Die Gefahr ist gering. Denn im Rathaus ist man sehr stolz auf die lokale Währung.
Den Euro-Delta gibt es bisher nur analog
"Der Euro-Delta ist gekommen, um zu bleiben", sagt Lluis Soler: als dauerhafte Förderung für den lokalen Einzelhandel – und Hilfe für bedürftige Familien. Die lokale Währung gehört zu den Projekten, mit denen der junge Gemeindevorsteher die Verwaltung bürgerfreundlicher – und sein Dorf moderner machen möchte. Auch dem Rathaus hat der junge, ambitionierte Politiker einen neuen Anstrich verliehen. Signalgelbe Streifen zieren das Treppenhaus, darüber prangt ein gelbes Herz aus stilisierten Reispflanzen. Das Logo schmückt auch den Mund-Nasen-Schutz, den alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen – inklusive Soler.
"Dieses neue Image steht symbolisch auch für einen Politikwechsel. Als ich vor fünf Jahren hier anfing, gab es fast überhaupt keine lokalen Förderprogramme. Damals gab es auch keine Bürgerbeteiligungsprozesse. Jetzt befragen wir die Bevölkerung für alles Mögliche: Bei der Planung, wenn wir Namen für öffentliche Gebäude suchen", erzählt er.
Lluis Soler weiß, dass die Idee mit dem Euro-Delta noch ausbaufähig ist und die lokale Währung noch längst nicht so "modern" wie sie sein könnte. Bisher funktioniert alles rein analog, eben wie ein Wechselschein. Die Euro-Delta werden an die Bezugsberechtigten überreicht, im Geschäft eingelöst und von den Ladenbesitzern ans Rathaus weitergereicht. Dort werden sie in Aktenordnern abgeheftet.
Lluisa Ventura, die Stadträtin für Soziales zieht einen von ihnen aus dem Regal. Auf jedem Euro-Delta ist der Name des Benutzers verzeichnet. So kann jeder Schein nur einmal verwendet werden. "Zurzeit arbeiten wir tatsächlich nur mit diesen gedruckten Zetteln, aber wir sind in Kontakt mit mehreren Sparkassen: Mit ihnen wollen wir eine Geldkarte entwickeln", sagt sie. Die Euro-Delta-Kunden würden sich damit dann nicht so offensichtlich als bezugsberechtigte Geringverdiener outen – und könnten auf den Cent genau bezahlen.
Eine Digitalwährung mit eigener App
Da ist man in Santa Coloma de Gramenet schon sehr viel weiter. Die 120.000-Einwohnerstadt liegt im Nordwesten Barcelonas. Die Metropole ist längst an die Nachbarstadt herangewachsen. Nur rings um Kirche und Rathaus lässt sich der einst kleinstädtische Charakter noch erahnen: Vor den Bars treffen sich Rentner zum Kaffeeklatsch. Unter den Akazien auf dem Platz toben Schulkinder.
Nennenswerte Industrie gibt es nicht. Einzelhandel und Gastronomie machen das Gros der Wirtschaftsleistung aus. Auch das war ein Grund, warum das Rathaus 2017 eine eigene lokale Währung einführte: die Grama. Es ist eine digitale Währung, mit eigener App. Eine Grama entspricht einem Euro. Für jede Einzelne bürgt das Rathaus.
Inzwischen zirkulieren über eine Million Euro als Grama in Santa Coloma, sagt der stellvertretende Bürgermeister Esteve Serrano. Eingespeist hat sie die öffentliche Verwaltung – in Form von Subventionen für Nachbarschaftsinitiativen, für Sport- und Kulturvereine. "Während der Finanzkrise von 2008 haben wir festgestellt, dass damals sehr viel Geld aus unserer Kommune abfloss: Nicht nur die Familien gaben ihr Geld außerhalb aus, sondern auch unsere Subventionen, also Steuergelder wurden zu 90 Prozent außerhalb von Santa Coloma ausgegeben. Indem wir Subventionen jetzt als Grama auszahlen, konnten wir diese Quote auf 29 Prozent senken. Das ist ein Riesenerfolg", sagt er.
Möglich wurde der, weil die Grama nicht nur zwischen Rathaus und Subventionierten hin und her fließen, sondern tatsächlich zirkulieren: Dadurch mehren sie ihren Wert. Denn die gleiche Subvention kommt indirekt mehreren Personen und Institutionen zugute.
Eine Grama wird im Ort bis zu elf Mal ausgegeben
Serrano öffnet die App auf seinem Handy, zoomt sich in den Stadtplan. Über 400 gelbe, grüne und rote Punkte blinken auf: Vereine, Geschäfte, Dienstleister, die die Grama als Währung akzeptieren.
"Wenn wir zum Beispiel einem Sportverein eine Subvention in Grama geben, dann muss er sich in Santa Coloma ein Geschäft suchen, das Trikots herstellt. Das ist der erste Multiplikator. Das Sportgeschäft will die Grama ja auch wieder loswerden und kauft damit vielleicht die Farbe für die Renovierung im Malerladen um die Ecke. Zweite Wertsteigerung. Die Leute aus dem Malerladen gehen mittags vielleicht essen und zahlen in Grama. Dritte Wertsteigerung. Und das Restaurant, das als Firma ja auch Grama nutzen kann, kauft dann mit den Grama auf dem Markt Obst und Gemüse: Vierte Wertsteigerung", erklärt der Bürgermeister.
Serrano holt einen Moment Luft, tippt dann auf die Statistik, die ausgedruckt vor ihm liegt. Im besten Fall wird eine Grama bis zu elf Mal ausgegeben, der Durchschnitt liegt bei 4,1.
Um das Lokalgeld attraktiv zu machen, schafft die Verwaltung Anreize: Wer öffentliche Mittel als Grama beantragt, wird bei bestimmten Subventionen bevorzugt. Wer dagegen die Grama nicht wieder ausgibt und so zu früh aus dem Kreislauf nimmt, muss künftig mit Benachteiligungen rechnen. Dabei waren solche Strafen zumindest in den letzten Monaten gar nicht nötig: Während des coronabedingten Lockdowns wurde die Grama um 13,4 Prozent häufiger genutzt. "Woran das liegt? Wahrscheinlich an der digitalen Komponente: An der Tatsache, dass die Leute ganz bequem, von zu Hause aus ihre Geschäfte abwickeln konnten."
Santa Coloma gilt in Spanien als Vorreiter
Das Interesse an digitalen Währungen ist durch die Pandemie sprunghaft gestiegen. Auch in Andalusien und Kantabrien experimentieren Verwaltungen mit virtuellem Geld. Esteve Serrano klickt einen Bericht an, den das spanische Fernsehen kürzlich über Santa Coloma de Gramenet und die ortseigene Währung gemacht hat.
"In Spanien sind wir auf jeden Fall die Vorreiter. Wir bekommen Anrufe von anderen Gemeinden, von Regionalverwaltungen, von allen möglichen Stellen. Jetzt wollen wir ein Netzwerk aus katalanischen und spanischen Kommunen mit lokalen Währungen aufbauen, um so vielleicht als Kollektiv an EU-Fördergelder für digitale Innovation zu kommen", erklärt er.
Im Herbst 2021 will das Rathaus erstmals auch Sozialhilfen in Grama auszahlen. Ein gewaltiger Qualitätssprung. Denn dadurch könnten zum ersten Mal in großem Umfang auch ganz normale Endverbraucher in Grama bezahlen. Bisher fließt das Geld vor allem zwischen Geschäften, Ladenbesitzern, Kleinunternehmern. Wie genau, will ich mir in der Calla Mayor, der Haupteinkaufsstraße angucken.
Llum Montera betreibt dort einen Copyshop. Um 13 Uhr ist Hochbetrieb: Ein Paar nutzt die Mittagszeit, um die Einladungen für ihre Hochzeit zu entwerfen. Dann möchte eine ältere Dame ein Foto ihres Enkelkindes auf Leinwand ziehen lassen. Ein Yogastudio braucht noch ganz schnell und ganz dringend neue Flyer. Llum eilt zwischen Tresen, Drucker und Kopierer hin und her. Fast alle zahlen ganz traditionell in Euro.
Nach Ladenschluss hat Llum Zeit, sich um einen ihrer Grama-Kunden zu kümmern. Die Speisekarte des Restaurants "La Senda" muss noch Korrektur gelesen werden, eine Schriftgröße ist zu klein. "Wir machen für das Restaurant jede Woche die Speisekarte mit den Empfehlungen des Hauses: einmal im DIN-A4-Format, und dann größer zum Aufhängen. Wir drucken auch die Papieruntersetzer aus Kraftpapier, das große macht 20 Cent pro Kopie."
Geld als vertrauensbildende Maßnahme
Das Geld überweist ihr die Restaurantbesitzerin per App in Grama. Die Ein-und Ausgänge hat Llum auf ihrem Handy gespeichert. Neben dem Restaurant sind noch ein gutes Dutzend andere Grama-Kunden gelistet, fast alle mit regelmäßigen Aufträgen. Llum arbeitet seit drei Jahren mit der digitalen Währung. Dabei war sie zunächst sehr skeptisch.
"Zunächst habe ich gedacht: Buff, ist das umständlich. Wir haben ja hier keine Zeit, ständig am Computer Ein- und Ausgänge zu kontrollieren. Aber wir haben unter unseren Kunden viele Vereine – und die haben das irgendwann eben verlangt. Die bekommen ja Grama und wollten mir Aufträge geben, aber konnten das nur, wenn ich auch in das System einsteige. Eigentlich war es ihretwegen", erzählt sie.
Die Handhabung war weniger kompliziert als befürchtet – und inzwischen ist Llum von der digitalen Währung überzeugt. "Je mehr Leute Grama haben, desto besser für uns. Ich kann die Grama ja auch ganz bequem in meinem Alltag nutzen. Wenn ich Brot kaufe, essen gehe – oder wenn ich im Tot Cargo Essen und Gemüse kaufe. Am Platz drüben habe ich eine ganze Reihe von "Zulieferern". Wenn ich da Lebensmittel abhole, sage ich manchmal – ich zahl später. Umgekehrt mache ich das bei meinen Grama-Kunden auch." Die Grama als vertrauensbildende Maßnahme.
Der Bäcker begrüßt sie mit Namen. Fast jeden Tag kommt Llum hierher um ein paar ihrer Gramas auszugeben. "Ich bin süchtig nach eurem Brot", sagt Llum und bestellt noch ein paar Schokoladen-Madeleines. Xavier Montés lächelt geschmeichelt. Das Zahlen dauert ein paar Klicks länger als geplant, die Internet-Verbindung hakt. Endlich klappt es, Llum zeigt ihr Handy vor.
Der Bäcker wirft eher aus Höflichkeit einen Blick auf das Display. Er hätte Llum das Brot auch so mitgegeben: Weil sie Stammkundin ist und weil die Grama-Nutzerinnen und -Nutzer sich als Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft verstehen. Ganz besonders Xavier Montes, der Bäcker.
Am Anfang war der Tauschring
"Hier in Santa Coloma haben wir mit ein paar Initiativen schon vor 15 Jahren mit einer lokalen Währung gearbeitet. Die hieß auch Grama. Das Rathaus hat die Grama also nicht erfunden, sondern eine unserer Ideen aufgegriffen. Allerdings hatte unsere Währung eine stärkere soziale Komponente. Die Rathaus-Grama stärkt die lokale Wirtschaft. Das ist gut. Aber das Soziale fehlt", sagt Xavier Montes.
Eine "Waffe gegen Spekulation und Turbo-Kapitalismus" sei die Ursprungs-Grama gewesen: Ein kleiner Kreis Gleichgesinnter hatte sich damals zu einer Art Tauschring zusammengeschlossen, "ziemlich hippiemäßig", sagt Xavier. Ein Teil des Umsatzes floss als Rücklage an linksalternative Projekte. "Wir hatten zwar den Willen, aber nicht die Mittel". Er klingt belustigt und melancholisch zugleich.
In der kleinen Backstube hinter dem Verkaufsraum knetet sein Kollege Jordi den Teig für die Kastenbrote des nächsten Tags durch. Spezialität des Hauses ist Xusco de Xeixa, ein Sauerteigbrot aus einer alten, fast vergessenen Weichweizenart. Das Mehl ist Bio-Qualität, beim Einkauf achtet die Bäckerei auf kurze Lieferwege. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Kriterium bei der Vergabe von Grama-Subventionen.
In der Bäckerei "L’Obrador" gehört sie ebenso zum Selbstverständnis wie die Organisationsform als Kooperative. "In einem Standardbetrieb musst du tun, was dein Chef dir sagt. Punkt. Hier ist jeder selbstverantwortlich für seine Arbeit. Jeder kann seine Meinung sagen, Lösungen werden gemeinschaftlich ausgearbeitet und am Ende wird alles geteilt. Wer einmal in so einem System gearbeitet hat, kehrt nur schwer wieder zum alten System zurück."
Kein Instrument für einen Strukturwandel
Xavier Montes ist erst seit drei Monaten offizielles Mitglied der Kooperative. Wie hoch sein Gehalt sein wird, muss er noch mit seinen anderen drei Kollegen aushandeln. Aber einen Teil will er sich auf jeden Fall in Grama auszahlen lassen.
"Ich habe vorher in einer anderen Kooperative gearbeitet, da ging das leider nicht, weil viele von außerhalb stammten. Aber hier, beim L’Obrador kommen alle aus Santa Coloma. Deswegen macht es Sinn. Das Geld kann ja nur vor Ort bewegt werden", erklärt er. Lokal denken, lokal handeln, sozusagen.
In der Zwischenzeit hat Jordi alle Kastenformen gefüllt. Gemeinsam schieben die beiden das Blech ins Regal, damit der Teig noch etwas gehen kann. "Wenn wir auch das Mehl direkt in Santa Coloma kaufen könnten, dann könnten wir die Grama noch mehr bewegen", sagt Jordi. Doch vor Ort gibt es kaum verarbeitendes Gewerbe und als Instrument für einen Strukturwandel eignen sich lokale Währungen nicht: Sie stärken und festigen lediglich das, was es schon gibt. "Fer xarxa", "Das Netzwerk stärken": Xavier nimmt das ziemlich ernst.
Es ist früher Nachmittag geworden, er schließt den "L’Obrador", spaziert ein paar Hundert Meter die Straße entlang, zum Restaurant "La Senda". "Das sind Kunden von uns, deswegen sind auch wir Kunden von ihnen". Die Kellnerin führt den Bäcker zu seinem Stammplatz.
Auf den Tischen liegen als Platzhalter die großen beigen Speisekarten, die Llum aus dem Copyshop gestaltet und ausgedruckt hat. Xavier fährt mit dem Finger die Spalten entlang, bleibt bei den Vorspeisen hängen. "Hier: Röstbrot mit Ziegenkäse und karamellisierter Zwiebel. Das ist eines unserer Brote, das sie für ihre Menüs verwenden." Der Bäcker entscheidet sich für Schweinshaxe.
Vom Rathaus subventionierte Corona-Hilfen
Das Restaurant ist gut gefüllt. Die wöchentlich wechselnden Menüs sind erschwinglich, die Gerichte liebevoll zubereitet, mit Pfiff, aber ohne aufwendiges Chichi: Eine Kombination, die die Ladenbesitzer und Geschäftsleute ringsum schätzen. Sie waren es, die das Besitzerpaar Maica und Juan Manuel Rubio dazu gebracht haben, bei der Lokalwährung mitzumachen.
Maica sitzt mit den beiden Söhnen am Gartentisch im Hinterhof, ihr Mann hantiert in der Küche mit den Töpfen. Nur eine große Glasscheibe trennt die Restaurantküche vom improvisierten Esszimmer: Beruf und Privates sind eines. Das soll so sein – und war letztlich auch der Grund, warum sie sich für die Grama entschieden haben.
"In unserem Alltag haben wir schon vorher lokale Produkte gekauft und auf Nachhaltigkeit geachtet. Die Grama war für uns eine Möglichkeit, daraus auch ein Geschäftsmodell zu machen. Euros sind überall Euros, damit kann man alles machen. Die Gramas aber stehen für eine ganz bestimmte Art zu wirtschaften. Das ist ihr Mehrwert."
Die Auberginen, die Juan Manuel Rubio schneidet, die Hähnchenschenkel, die er sautiert: Einen Großteil ihrer Zulieferer bezahlen die Gastronomen inzwischen in Grama. Über die lokale Währung konnte das Restaurant auch von den Corona-Hilfen der Kommune profitieren.
"Wegen der Coronakrise mussten wir uns ja alles Mögliche anschaffen: Ein Ozon-Desinfektionsgerät fürs Wasser, mit dem wir Oberflächen reinigen können zum Beispiel. Oder unsere Speisekarten, die wir jetzt auf Papieruntersetzer drucken. Die Subventionen dafür gab es vom Rathaus in Grama. Das war eine Hilfe, die uns wirklich einiges an Luft verschafft an."
Demnächst Sozialhilfen in Grama
Vom Copyshop zum Bäcker, vom Bäcker zum Restaurant, und von dort wieder zurück zum Copyshop: Die Grama ist einmal ringsum gegangen. Das Kreislaufsystem funktioniert. Zumindest im Modellversuch. Doch damit die lokale, digitale Währung tatsächlich zu einem alternativen Zahlungssystem wird, müssten sehr viel mehr Endverbraucher die Grama nutzen, sagt der Wirt.
Bisher zahlen lediglich zwischen fünf und zehn Prozent der Restaurantkunden in Grama. "Wir sind so viele Menschen in Santa Coloma. Wenn nur ein Zehntel davon die Währung nutzen, dann wäre das schon supertoll", sagt er.
Seine Frau nickt. Vielleicht klappt das ja, wenn die Kommune ab Herbst auch einen Teil der Sozialhilfen in Grama auszahlt. Der Zeitpunkt jedenfalls sei günstig. "In der Coronakrise haben viele den Wert der Nähe, den Wert der Nachbarschaft wieder neu schätzen gelernt. Man geht jetzt nicht mehr in irgendein Restaurant, irgendein Geschäft, sondern sucht sich das bewusst aus: Weil da ein ganz bestimmter Mensch arbeitet, weil sie sehen, wie sehr er sich anstrengt. Aber wie lange das anhält, das weiß ich nicht. Hoffentlich sehr lange."
Die Reportage ist eine Wiederholung vom 06.06.2021.