London

Britische Hommage an Anselm Kiefer

Von Matthias Thibaut |
Die Royal Academy of Art und den deutschen Maler Anselm Kiefer verbindet eine lange Geschichte. Von den Briten wird Kiefer sehr geschätzt - mehr als von den Deutschen, wie er in einem Interview sagte. Academy-Direktor Tim Marlow enthüllt, wie Kiefer denkt und fühlt.
Schöner installiert waren die Schutt- und Aschenbilder von Anselm Kiefer wohl noch nie. An der Kopfwand der langen klassizistischen Raumflucht der Royal Academy hängt "Orden der Nacht", eine Riesenleinwand mit verdorrenden Sonnenblumen, die um den toten Künstler Wache halten, es ist ein Selbstporträt. Oder das siebeneinhalb Meter breite Werk "Aschenblume" an der Stirnwand des großen Saals, mit dem in Lehm und Asche versunkenen Mosaikzimmer von Hitlers Reichskanzlei und wieder der Sonnenblume, das Symbol der Wiedergeburt, auch hier schon verdorrt.
Kiefer und die Royal Academy - eine Beziehung, die weit zurückgeht. Mit der Ausstellung "A New Spirit in Painting" begann hier 1981, kurz nach Kiefers Biennale Premiere, seine internationale Karriere und sein Erfolg in der angelsächsischen Welt. Als Ehrenmitglied der Academy stellt Kiefer regelmäßig in den Sommerausstellungen aus. 2007 wurde im Ehrenhof seine Installation "Jericho" gezeigt, zwei wacklige Türme aus Betonteilen, die aussahen wie Überbleibsel einer frühgeschichtlichen Periode. Was ist das für eine Beziehung, fragte ich den künstlerischer Direktor der Academy, Tim Marlow, im Achteckraum, dem Allerheiligsten, wo die Büsten der großen Maler in Blattgold nun auf Kiefers Installation "Erdzeitalter" herunterschauen.
"Er liebt die Grandeur dieser Räume. Wir stehen hier im Achteckraum, vor einem Haufen seiner alten Leinwände, mit Bleiplatten und Sonnenblumen und etwas, das wie Meteoriten aussieht. Damit wird dieser Raumuntergraben. Einen anderen Aspekt der Beziehung zur Academy sieht man im Hof. Dort steht die Statue von Joshua Reynolds, dem Gründer der Academy mit Pinsel und Palette, hier hat Kiefer nun Vitrinen mit rostenden U-Booten gebaut. Reynolds wollte mit der Academy die Historienmalerei als höchste Form der Kunst etablieren. Kiefer ist kein akademischer Maler im Sinne des 18. und 19. Jahrhunderts, aber er ist ein Historienmaler im postmodernen Sinne. Geschichte ist sein Thema, sein Werk ist eine ungewöhnliche Verbindung von Geschichtsmalerei und zeitgenössischer Kunst."
Direktor Marlow: "Kiefer fühlt sich intensiv als Deutscher"
Eine den Briten wichtige Tradition also und ein Thema, dass sie besonders fasziniert. Geht es hier nicht nur um das Lebenswerk von Anselm Kiefer sondern auch um Deutschland?
"Ja, so ist es . Es ist ja komisch, wenn ich deutschen Hörern erkläre, warum Anselm Kiefer so deutsch ist, aber es ist ganz klar, dass er sich intensiv als Deutscher fühlt, viele seiner historischen Themen sind deutsch. Aber sie sind auch jüdisch, es geht auch um Mesopotamien, um universelle Themen wie in diesem Raum, wo es um geologische und kosmologische Zeit geht und nicht nur um winzige Momente der Geschichte. Dies alles zusammenzubinden ist Kiefers Vision, das Thema seiner Kunst. Deutsches steht im Zentrum, aber es keinesfalls das einzige Thema."
"German Art is always rubble", sagt ein Mann zu seiner Begleiterin, Deutsche Kunst besteht aus Trümmern. Ist Kiefer deshalb so erfolgreich, weil er Klischees über Deutschland bestätigt? Was fasziniert ausgerechnet die rationalen Angelsachsen am diesem Künstler, der doch eigentlich alle ihre Vorurteile gegenüber dem deutschen Wesen und Denken bestätigt – die Mystik, die Waldverehrung, die Darstellungen des Dunklen und Unergründlichen, die Faszination von Ruinenschönheit, der Untergangskult?
"Er selbst scherzt oft und sagt, da filmt dich die BBC und dann blenden sie Stukas in die Filme ein. Es gibt diese britische Besessenheit von dem Zweiten Weltkrieg und sicher hat Kiefers Ausgrabung der Nazi-Zeit in den Sechziger und Siebziger Jahren ein starkes Echo bei den Briten gefunden. "
Sogar Humor bei Kiefer
Aber, sagt Marlow, es gebe auch eine romantische Tradition bei den Briten, gemeinsame nordische Mythen, jüdischer Mystizismus, Wagnerianische Themen, und er spricht von einem gemeinsamen Kulturerbe der Nordeuropäer. Es gebe sogar, noch nicht genügend entdeckt, Humor bei Kiefer.
"Kiefer hat viel Humor, sehr stark, als Mensch. In seiner Kunst ist das zunächst nicht offensichtlich, man hält sie für unglaublich ernst, monumental, vielschichtig, aber es ist dieses augenzwinkernde Subversive, das die Briten mögen."
Ob Kiefer nun Vorurteile bestätigt oder Teil der gemeinsamen nordischen Romantik ist – klar ist, das die Menschen von seiner unermüdlichen Sinnsuche fasziniert sind, die ihn zu einem solchen Querläufer im Kunstbetrieb macht. Der ewige Kreislauf der Zeiten und Moleküle, das Werden und Vergehen ist Kiefers Thema, nur dass die letzten Geheimnisse in seinen Werken, noch bevor sie erscheinen, unter Asche, Trümmern und Destruktion wieder verschwinden.
Kiefer entfernte ein Bild aus der Ausstellung – "zu schön"
Die in die Seitenräume und auf den Hof überquellende Ausstellung fängt mit Aquarellen aus der Karlsruher Akademiezeit an, es gibt Künstlerbücher, erotische Zeichnungen, große Holzschnitte und im letzten großen Raum neue Bilder, die Morgenthau Serie, benannt nach dem Plan der Amerikaner, das besiegte Deutschland in ein Agrarland zu verwandeln – es sind große Landschafts- und Ackerbilder, die mit ihren eingeklebtem Ähren an van Goghs späte Bilder erinnern.
Das schönste davon, "Tandaradei" genannt, mit ersterbenden und erblühenden Blumen und einer Andeutung von Farbigkeit und Versöhnung, die man von Kiefer gar nicht kennt, beschließt den Katalog. Aus der Ausstellung hat er es wieder herausgenommen. Es sei, sagte er, zu schön.
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