Shakespeares Dramen im Public Viewing
Londons Globe Theatre feiert Shakespeares 400. Todestag mit einem Public-Viewing-Marathon. Auf einem Wanderweg entlang der Themse laufen auf 37 Großleinwänden Filme mit Szenen aus allen Dramen des Dichters. "The Complete Walk" nennt sich das Projekt, das Englands erste Riege der Shakespeare-Darsteller mobilisierte.
London, Themse-Ufer, vormittags kurz vor elf. Auf dem Großbildschirm vor der Tate Modern wartet seit zehn Uhr alles auf Hamlet.
Wenige Schritte flussabwärts das gleiche Bild. Auch hier brummt das Stromaggregat, auf der Leinwand aber wieder nur ein weißes Nichts… und keine Spur von Heinrich dem Fünften.
Hilfskräfte verteilen Flyer und Wegweiser und bitten um Geduld. Der Grund für die Verzögerung? Keine technische Panne, nein. Vielmehr höchste Sicherheitsstufe wegen des Besuchs im Haus nebenan.
Am zweiten Tag seiner London-Visite nutzte US-Präsident Obama das Shakespeare-Jubiläum am Vormittag zu einem Abstecher ins Globe-Theater. Und für das freundliche Adieuwinken aus der Limousine nahm das Fußvolk das Herumstehen vor den Testbildern gern in Kauf, klar. No problem, Mr President.
Dann aber hieß es tatsächlich: Bühne frei für den großen Dichter. 400 Jahre ist er jetzt schon tot. Und noch nie, so scheint es, war er so lebendig wie heute. Und so allgegenwärtig.
Gestern abend kehrte das Globe-Ensemble von seiner Welttournee zurück. Zwei Jahre war man mit "Hamlet" unterwegs: rund um den Erdball, in insgesamt 190 Ländern nach dem Motto "Globe to Globe".
Ähnlich weltumspannend ist das, was an diesem Wochenende Daheimgebliebenen und London-Touristen in Sachen Shakespeare geboten wird: Kurzfilmchen mit Einzelszenen aus den Dramen des Meisters als "Globetrotter"-Wanderweg entlang des Südufers der Themse.
20 Dichterjahre in 37 Filmchen
37 Zehn-Minuten-Filme mit Mono- und Dialogen aus allen 37 Shakespeare-Stücken, sortiert in chronologischer Folge, gestreut über vier Kilometer Spazierstrecke − von "Die beiden Veroneser" neben der Westminster-Brücke bis zum "Sturm" an der Tower Bridge. Macht zusammen rund 20 Dichterjahre verkürzt auf gut sechs Stunden Public Viewing.
Gedreht wurde jeweils an Originalschauplätzen. "Hamlet" auf Schloss Kronborg, "Julius Cäsar" und "Coriolan" in Rom, "Romeo und Julia" in Verona, "Macbeth" in Schottland, "Der Sturm" auf Bermuda, in Troja, auf der Akropolis, vor den Pyramiden in Gizeh − und für "König Lear" auf der Heide über den Kreidefelsen von Dover.
"The Complete Walk" nennt sich die Filmrevue durch das dramatische Gesamtwerk des Barden. Sie entstand in nur vier Monaten Drehzeit und versammelt einige der prominentesten Shakespeare-Interpreten auf der Insel: Simon Russell Beale, James Norton, Jonathan Pryce, Lindsay Duncan und Dominic West.
Nur genießen, nicht studieren
Die Projektregie lag beim scheidenden Künstlerischen Direktor des Globe, Dominic Dromgoole. Er, so sagte er auf der Pressekonferenz, verstehe die Sache als ein Geschenk ans Publikum. Die Filmchen seien gedacht für Flaneure. Hier gebe es nichts zu studieren oder zu interpretieren, es gehe nur um zehn Minuten Aufmerksamkeit und die genießerische Lust auf Shakespeares Sprache:
"London und Shakespeare sind untrennbar miteinander verbunden. Shakespeare unternahm keine großen Reisen, und doch brachte er mit seiner Fantasie hier die Welt auf die Bühne. Sein Dialog mit der Stadt ist ein Dialog mit dem Globus. Hier prallt alles aufeinander: das Toben der Metropole und der Trubel der Welt."
Doch, übers Wochenende werde sie sich alle Filmchen erwandern, beteuert die ältere Dame. Sei doch herrlich: die Idee, die Schauplätze und die bekannten Darsteller… alles sehr gut.
Ja, sie sind es wohl: diese Schauplätze und Plätze zum Schauen. Hier die Akropolis, das Alte Rom und die Ruinen von Troja und dort drüben, am anderen Ufer, Saint Paul, der Tower und die Bürotürme der Londoner City. Der Kontrast der Locations: so gesehen ersetzt "The Complete Walk" jeden Weltreiseführer.