Was ist Long-Covid?

"Bis zu 200 unterschiedliche Symptome"

07:05 Minuten
Ein Mann ist umgeben von Covid-Virus-Organismen und geht auf einem Unendlichkeitssymbol.
Von Müdigkeit bis zu Herzbeschwerden: Die Symptome von Long-Covid sind zahlreich. Deshalb müsse nach dem Ausschlussprinzip diagnostiziert werden, sagt Jördis Frommhold. © imago / Ikon Images / Gary Waters
Jördis Frommhold im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 21.12.2021
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Ob jung, ob alt, ob schwerer oder milder Krankheitsverlauf: Laut einer neuen Studie können bis zu 40 Prozent der Corona-Infizierten von Long-Covid betroffen sein. Die Medizinerin Jördis Frommhold klärt über den aktuellen Wissensstand auf.
Viele Menschen, die an Covid-19 erkranken, haben eher leichter Verläufe. Dennoch können die Langzeitfolgen erheblich sein. Long-Covid kann selbst jene betreffen, die gar nicht wussten, dass sie sich infiziert hatten, weil sie keine Symptome entwickelten. Eine Studie der Universitätsmedizin Mainz zeigt das. Danach haben rund vierzig Prozent der mit dem Coronavirus Infizierten auch mehr als ein halbes Jahr lang Long-Covid-Symptome. Frauen seien häufiger als Männer betroffen.
Jördis Frommhold im Porträt
Kümmert sich in der Median-Klinik in Heiligendamm um Menschen, die an Long-Covid leiden: die Ärztin Jördis Frommhold. © picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck
Das Schwierige an dem Phänomen: Es ist in seinen Erscheinungsformen so vielfältig wie schwer zu diagnostizieren. Darauf macht auch die Medizinerin Jördis Frommhold aufmerksam. Als Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien an der Median-Klinik in Heiligendamm hat sie aber auch ermutigende Worte: "Wir wissen aus dem Bereich der Reha, dass wir die Patienten mit Long-Covid zwar nicht heilen, aber doch die Symptome essenziell verbessern können", sagt sie.
Welche Symptome von Long Covid gibt es?

Die meisten Erkrankten waren Frommhold zufolge nicht im Krankenhaus und manchmal sogar asymptomatisch. Nach etwa einem bis drei Monaten stellten sich bei ihnen unterschiedliche Symptome ein: eine auffällige Ermüdung, also "Fatigue-Symptomatik", aber auch Gelenk- und Muskelschmerzen, kognitive Einschränkungen, Vergesslichkeit, Störungen im Kurzzeitgedächtnis, massiver Haarausfall, Neigung zu schnellem Herzschlag und Blutdruckentgleisung. Außerdem psychosomatische Beschwerden.
Kein Long-Covid-Patient gleiche dem anderen, betont Frommhold. Insgesamt gebe es "bis zu 200 unterschiedliche Symptome".
Wie diagnostiziert man Long Covid?

Man müsse nach dem Ausschlussprinzip vorgehen, erklärt Frommhold. Mitunter seien viele verschiedene Untersuchungen und Besuche bei Fachärzten notwendig, um herauszufinden, ob nicht etwas anderes vorliege. Wenn sich nichts finden lasse und in der Anamnese eine Covid-19-Erkrankung bekannt sei, "dann stellen wir als Ausschlussdiagnose den Tatbestand von Long-Covid fest".
Welche Rolle spielt die Schwere der Erkrankung?

"Wir haben Patienten behandelt zwischen 20 und 50, also tatsächlich eher die jungen Patienten", sagt Frommhold. Sie hatten demnach keine Vorerkrankungen oder erkennbare Risikofaktoren. "Das macht das ganze Problem um Long-Covid so prekär: Es kann letztendlich jeden treffen."
Die Infektion irgendwie wegzustecken, weil man jung ist - das trifft nach den bisherigen Erfahrungen nicht zu: "Selbst wenn die Infektion milde ist, man aber danach möglicherweise sein komplettes Leben umstellen muss, weil man von Long-Covid betroffen ist, ist das ein verdammt harter Brocken. Das ist ein Grund dafür, einfach Infektionen zu vermeiden", betont die Ärztin.
Wie viele Menschen sind in Deutschland betroffen?

Bisherige Studien gingen von etwa zehn Prozent der ehemaligen Covid-Patienten aus, die Langzeitfolgen entwickelten. Schon das wären Frommhold zufolge bei den aktuellen Zahlen "weit über eine halbe Million Deutsche". Die nun vorgestellte Studie der Universität Mainz spricht von bis zu vierzig Prozent. Das wären rund 2,8 Millionen von 6,8 Millionen Infizierten.
"Das wäre eine verdammt große Zahl", sagt Frommhold. Man wisse nicht, wie viele Menschen trotz Langzeitschäden ein durchaus erfülltes Leben führen könnten - oder in der Folge arbeits- bzw. erwerbsunfähig werden.
Welchen Unterschied gibt es zwischen Post-Covid und Long-Covid?

Post-Covid-Symptome seien häufig mit einem sehr schweren Akutverlauf verbunden, erklärt Frommhold. Sie seien also "Nachwehen" zu einem Aufenthalt auf der Intensivstation. Long-Covid-Symptome dagegen hätten andere Ursachen, zum Beispiel autoimmunologische. Denkbar sei auch eine Viruspersistenz. Sicher lasse sich das noch nicht sagen. Beide Formen müssten unterschiedlich behandelt werden, zum Beispiel in der Rehabilitation.
Wie wird zu Long-Covid geforscht?

In Mainz forschen zwölf Einrichtungen der Universitätsmedizin interdisziplinär über Long-Covid: von Herz-Kreislauf über die Psyche bis zu den Zähnen. Ziele sind klinische und noch nicht klinische Veränderungen der Organe, die zu Beschwerden führen können, sowie die richtige Versorgung und Behandlung der Betroffenen. Dafür sollen 600 Menschen mit nachgewiesener Infektion und allen Schweregraden der Erkrankung untersucht werden.
Die Long-Covid-Untersuchung hängt mit der Gutenberg Covid-19 Studie zusammen. Sie basiert auf den Daten von 10.250 Menschen aus Mainz und dem Kreis Mainz-Bingen. Insgesamt waren das bis Juli 2021 rund 500 mit dem Coronavirus infizierte Menschen. Viele der 10.250 Menschen geben bereits seit 2007 regelmäßig Daten für eine umfassende Gesundheitsstudie ab.
Zudem hat sich an diesem Montag ein interdisziplinärer Fachverband zu Long-Covid unter der Leitung von Jördis Frommhold gegründet. So solle die Versorgung der Erkrankten verbessert, aber auch die Forschung vorangebracht werden, sagt die Ärztin.

(bth, mit dpa)
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