Nach der Corona-Erkrankung

Der lange Weg zurück ins Leben

09:20 Minuten
Der Seelsorger Carsten Unbehaun mit seiner Frau Christa Burkhardt am Meer.
Wochenlang kämpfte der an Corona erkrankte Carsten Unbehaun gegen den Tod. Über seinen Weg zurück ins Leben berichten er und seine Frau. © privat
Von Stefanie Oswalt · 06.03.2022
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Sogar das Laufen musste er wieder lernen: Jahrelang begleitete der Seelsorger Carsten Unbehaun Menschen im Hospiz, dann erkrankte er selbst an Corona und rang mit dem Tod. Das hat sein Gottvertrauen verstärkt und seinen Blick aufs Leben verändert.
Montagvormittag in Berlin-Marienfelde. In der kleinen Küche ihres Reihenhauses stehen Carsten Unbehaun und Christa Burkhardt und kochen Kaffee. Trotz des miesen Wetters draußen ist die Stimmung fröhlich – lange sah es nicht so aus, als ob sie jemals wieder eine solche Normalität würden erleben können.
„Aus den Kliniken – drei hintereinander – kam ich im letzten Sommer mit dem Rollator. Aber den hab ich seitdem nicht mehr benutzt. Der steht da hinten in Reserve. Aber da war mein Radius immer noch sehr klein“, sagt er. Seine Frau fügt hinzu: „Für mich das war das ein Riesenfortschritt, ihn überhaupt zu Hause zu haben und zu sehen, dass er ohne Rollator gehen kann.“

Das Laufen musste er wieder lernen

Als Carsten Unbehaun im Sommer 2021 wieder nach Hause zurückkehrt, hat er 40 Kilo abgenommen und gerade das Laufen wieder erlernt. Schwere Monate liegen hinter ihm, die Ende Februar, Anfang März ihren Anfang genommen hatten. Mit Corona angesteckt habe er sich wahrscheinlich bei der Begegnung mit jemandem, der an diesem Tag bereits unwissentlich mit Covid infiziert war:
„Drei, vier Tage nach dieser Begegnung kriegte ich dann meine ersten Symptome und die waren gleich sehr heftig. Ich kam Gott sei Dank noch von der Arbeit nach Hause und dann bin ich umgefallen, mit Fieber und ganz starken Erkältungssymptomen.“

Er spricht kaum noch, schläft immer mehr

Gefasst berichten Christa Burkhardt und Carsten Unbehaun von ihrer Quarantäne: Ganz allein zu Hause, nur die erwachsenen Kinder schauen ab und zu vorbei, stellen Lebensmittel vor die Haustür. Während sich Christa Burkhardts Zustand nach Tagen mit starker Übelkeit, Erbrechen und hohem Fieber allmählich bessert, wird ihr Mann immer kränker. Er spricht kaum noch, schläft immer mehr.

„Man ist in so einer Schockstarre, man kriegt überhaupt nichts mehr mit.“

„Es gibt so ein Phänomen, dass man richtig in so ein High kommt: Sauerstoff-Mangel-High. Die Lunge war ja schon immer mehr zu und das Herz kämpfte gegen die vom Corona-Infekt verklebte Lunge, aber das habe ich eigentlich gar nicht gemerkt, ich war in so einer Fiebertrance.“

 Lange Wochen zwischen Leben und Tod

Ein befreundeter Arzt drängt Carsten Unbehaun schließlich, den Notruf anzurufen und ins Krankenhaus zu fahren. Eine lebensrettende Entscheidung, denn sein Körper steht unmittelbar vor dem Kollaps. Schon wenige Tage später hat das Virus die Lunge so befallen, dass Unbehaun ins künstliche Koma versetzt und an die künstliche Lungenfunktionsmaschine angeschlossen werden muss. Damit beginnen die langen Wochen zwischen Leben und Tod, zwischen Wachen und Bewusstlosigkeit, zwischen Träumen voller Angst und Verzweiflung und Träumen voller Hoffnung und Geborgenheit.
Carsten Unbehaun ist Theologe und Hospiz-Seelsorger. Er selbst begleitet Menschen beim Sterben, spricht ihnen Mut zu, leistet ihnen Beistand. Über ihr Ringen um Luft, über die letzten Atemzüge hat er sich viele Gedanken gemacht.

Er spricht über sein Ringen mit Gott

So ist es wenig überraschend, dass er auch über seine eigenen Erfahrungen, seine Träume und Ängste und sein Ringen mit Gott sprechen möchte. In einem Gottesdienst im Oktober 2021 predigt er in der Stadtmissionsgemeinde Friedrichshagen über seine Erfahrungen:
 „Liebe Schwestern und Brüder, es ist ja eine besondere Situation für mich, hier wieder zu stehen. Vielleicht auch für euch, mich hier wieder stehen zu sehen. Ist ja nicht selbstverständlich. Ein Geschenk, jedenfalls für mich. Am 12. März bin ich ins Virchow-Klinikum gekommen, gleich auf die Intensivstation mit Covid-19 in der Lunge und drohendem Herzversagen. Acht Wochen Beatmung.“

Wie die Heilungsgeschichte aus dem 1. Buch der Könige

In seiner Predigt stellt sich Carsten Unbehaun selbst die Frage nach den Bedingungen seiner Heilung. Dabei bezieht er sich auf die alttestamentarische Geschichte des Propheten Elia und der Witwe Sarepta aus dem 1. Buch der Könige, Kapitel 17. Darin geht es um eine verzweifelte Mutter: Ihr Sohn atmet nicht mehr. Sie fordert Hilfe vom Propheten und der legt sich in seiner Hilflosigkeit schließlich auf den toten Sohn und ruft Gott an, das Kind wieder zum Leben zu erwecken – und siehe da: Der Sohn kehrt ins Leben zurück.
 „In dieser Heilungsgeschichte habe ich mich wiedererkannt. Keine Luft mehr kriegen. Halbtot. Nicht: ganz tot wie dieses Kind. Und so viele, die neben mir gelegen haben. Rettung und Heilung durch Kontakt“, sagt Carsten Unbehaun.
Die Familie war die Nabelschnur zum Leben
Seine Familienmitglieder seien so etwas wie die Nabelschnur zum Leben gewesen und hätten ihn im Leben gehalten: Durch Fotos und Erinnerungen an das gemeinsam gelebte Leben. Vor allem aber durch Berührung.
Dabei misst er aber auch dem Kontakt und der Berührung eigentlich „fremder“ Menschen große Bedeutung zu: Voller Rührung erinnert er sich an einen intensiven Moment auf der Station, als ein Pfleger ihn nach der Kontrolle der Apparate gefragt habe, was er noch für ihn tun könne:
„Dann habe ich mich getraut zu sagen: Einfach mich anfassen. Und dann kam er ganz nah ans Bett und ich hab ihm gezeigt, wie ich angefasst werden möchte, nämlich nicht nur so die Hände ineinander, sondern die ganzen Unterarme aneinander, sodass man sozusagen den Puls voneinander spürt und so haben wir ein paar Minuten gestanden. Und dann sagte er: Och, dafür haben wir ja auch mal Zeit.“

Begegnung mit Gott im Kontakt mit anderen

In diesem ganz elementaren körperlichen Kontakt mit anderen Menschen, sagt der Theologe Carsten Unbehaun, sei ihm Gott in dieser schweren Zeit begegnet – viel mehr noch als in Gebeten:

„Mein Gottesbild hat sich dadurch, ich würde nicht sagen, großartig verändert, aber ich würde doch sagen, vertieft. Unsicherheiten, die ich vielleicht vorher hatte, sind weg, weil ich noch mal was ganz anderes erlebt habe.“

Auch Christa Burkhardt sagt, sie habe in den langen Monaten der Krankheit einen tieferen Zugang zu ihrem Glauben bekommen. Deutlich habe sie gespürt, in einem Netz gehalten zu sein, das durch Begegnungen, Gebete und Gedanken für sie und ihre Familie aufgespannt worden sei und ihr Geborgenheit gebe, auch über die Krankheit hinaus.
 „Ich glaube, das hat auch viel zur Heilung beigetragen, zu sagen: Ich habe dieses Vertrauen, dass mir nicht sowas richtig Schlimmes mehr passieren kann. Wir sind gebrochene Menschen. Uns widerfahren schlimme Dinge. So ist das Leben einfach. Und wenn ich das akzeptieren kann, dass ich eben nicht perfekt bin, dass ich nicht immer leistungsstark bin, und dass ich eben nicht Gott bin, sondern bloß ein Mensch, dann können auch Dinge heilen und wieder weitergehen“, sagt Burkhardt.

„Jetzt ist noch mal was Neues dran“

Nicht nur ihr Glaube habe sich durch die Krankheits- und Genesungsphase verändert, sagen beide. Sondern auch der Blick auf das Berufsleben: „Durch diese Zäsur, die diese Krankheit gesetzt hat, habe ich mich ein bisschen von meinem inneren Druck befreit, ich müsste noch was Bestimmtes leisten“, erzählt Unbehaun. Es sei eine Erleichterung gewesen, den Leistungsdruck, den er sich selbst über Jahre und Jahrzehnte gemacht habe, loszulassen.
Und seine Frau wagt noch einmal einen Neuanfang: „Bei mir war das so, dass ich auch nochmal die Stelle gewechselt habe, nach dieser Krankheit, also ich bin in der Krankenhausseelsorge geblieben und hab nur das Krankenhaus gewechselt. Aber ich habe gemerkt: Jetzt ist auch nochmal was Neues dran.“

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