Je mehr man sich mit dieser Post Exertional Malaise beschäftigt, ist es fast wie ein gruseliger Albtraum, was da läuft. Und dennoch: Der Aufruf ist wunderbar für all die, die an ihrer Atemtechnik arbeiten müssen, die einfach eine andere Form der Folgeerscheinungen von Long Covid haben, aber nicht für die, die Post Exertional Malaise haben.
Nach einer Corona-Infektion
Mehrere Millionen Menschen sind allein in Deutschland von Long-Covid betroffen. © dpa / picture alliance / Ohde
Wie Rehasport Long-Covid-Patienten helfen kann
24:01 Minuten
Schätzungsweise rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an den Corona-Langzeitfolgen – dadurch gewinnen zielgerichtete Sportangebote an Bedeutung. Wie kann der Rehasport bei Betroffenen seine Wirkung bestmöglich entfalten?
Benedikt Ewald ist Direktor für Sportentwicklung beim Deutschen Behindertensportverband (DBS):
„Nach der Akutwelle Corona stehen wir vor der Long- und Post-Covid-Welle. Und wir haben eine besondere Verantwortung dadurch, dass wir den Rehabilitationssport verantworten, dass wir damit rechnen müssen, dass diese Personen früher oder später in der einen oder anderen Form bei uns im Verband landen.“
Es gehe vor allem darum, das vorhandene Wissen an Vereine weiterzugeben.
Es gehe vor allem darum, das vorhandene Wissen an Vereine weiterzugeben.
Long Covid als Sammelbegriff für viele Symptome
Long Covid ist ein Sammelbegriff für bis zu 200 Symptome, die ab vier Wochen nach einer Coronainfektion auftreten können. Von Post Covid spricht man, wenn die Beschwerden länger als ein Vierteljahr andauern. Zu diesen Beschwerden gehören chronische Müdigkeit und Erschöpfung, die sogenannte Fatigue, Schwierigkeiten mit der Atmung, eine Belastungsintoleranz, kognitive Einschränkungen wie „Brain Fog“, also ein nebliges Gefühl im Gehirn, Muskel- und Gelenkschmerzen – und noch viele weitere Symptome.
Die Zahl der Betroffenen wird auf zehn Prozent der Infizierten geschätzt: bei bisher über 31 Millionen Infizierten also rund drei Millionen Erkrankte mit Langzeitfolgen.
Die Vielzahl der Symptome und die hohe Zahl der Erkrankten werden vom DBS aufmerksam registriert.
„Einerseits rechnen wir damit, dass früher oder später die Long- und Post-Covid-Erkrankten bei uns in den Gruppen landen werden. Das heißt, dass der Bedarf da ist. Das heißt, unsere Gruppen müssen sich mit der Thematik auseinandersetzen und darauf vorbereiten einerseits. Und andererseits sind bei den bekannten Symptomen Luftnot, Fatigue, Erschöpfungssymptome, aber auch andere Symptome, die durchaus auch im Rehasport bekannt sind, die man analog praktisch dann übertragen kann“, sagt Benedikt Ewald.
Vereine bieten Long-Covid-Rehasportkurse an
Der DBS hat daher schon frühzeitig Vereinsverantwortliche, Übungsleitende und Mitarbeitende der DBS-Landesverbände geschult. Immer mehr Rehasportvereine bieten jetzt Long-Covid-Rehasportkurse an. Manche entwickeln extra neue Gruppen, andere nehmen Covid-Betroffene in die bestehenden Gruppen auf.
In Bad Oeynhausen hat der Verein „Manere Sanus“ auf Wunsch seiner Mitglieder eine Lungensportgruppe ins Leben gerufen.
Alexander Hische, der Vereinsvorsitzende, macht manche Übungen selbst mit. Er freut sich, dass die Angebote gut nachgefragt werden:
„Das gesamte Angebot für Patienten mit Atemwegserkrankungen hat sich so ausgeweitet, dass wir angefangen haben mit Dehnübungen, wo wir gemerkt haben: Die Intensität muss ein bisschen runtergeschraubt werden. Und dann haben wir gemerkt: Okay, ein Lungensport, da lernt man auch die richtigen Atemtechniken. Dann baut man auch die Muskulatur auf, man stärkt die Rumpfmuskulatur.
Tatjana Kaiser leitet die Gruppe für Lungensport: „Der Inhalt dieses Kurses ist einfach, den Menschen zu vermitteln, was ist mit meinem Körper los. Wo ist meine Baustelle? Und wie kann ich diese Übungen, die ich hier an die Hand bekomme, am besten auch zu Hause umsetzen?“
Die knapp 15 Teilnehmenden machen so gut mit, wie sie können. Einige sitzen bei den Übungen lieber auf Hockern. Stehen strengt sie zu sehr an. Zwischendurch liegen die Teilnehmenden zum Dehnen auf bunten Matten.
Große Angebotsvielfalt – welcher Kurs passt?
Es gibt maßgeschneiderte Trainingsprogramme, Therapien in Rehaeinrichtungen, Akupunktur und Angebote in Rehavereinen. Das Bewusstsein und die Bereitschaft, zu helfen, sind da. Aber: Welches Angebot ist das richtige? Was passt?
Bettina Grande ist psychologische Psychotherapeutin und kam durch eine Patientin zum ersten Mal in Kontakt mit der Post Exertional Malaise, kurz PEM, und der postinfektiösen Erkrankung ME/CFS, der Myalgischen Enzephalitis – auch Chronisches Fatigue Syndrom genannt.
Oft sind junge Menschen betroffen
ME/CFS wie auch Long Covid können beide nach einer Infektionskrankheit auftreten. Das Kardinalsymptom für ME/CFS ist PEM, die sogenannte Belastungsintoleranz: Bei körperlicher, geistiger oder emotionaler Anstrengung kommt es zu einer Verschlechterung aller möglichen Symptome.
Weswegen Grande appelliert: „All diese Einrichtungen, die müssen sehr, sehr, sehr sensibilisiert werden, diese Belastungsintoleranz zu prüfen. Was einerseits nicht schwer ist, aber andererseits muss man sich fragen, warum es nicht gemacht wird – auch von den Hausärzten, von allen.“
Oft sind junge Menschen zwischen 20 und 50 Jahren ohne Vorerkrankungen von Long Covid betroffen. In vielen Fällen ist körperliche Aktivität hilfreich, um die Symptome zu bekämpfen – nicht aber, wenn der Körper eine Belastungsintoleranz entwickelt. Dann führt Aktivierung zu einer manchmal sogar massiven Verschlechterung des körperlichen Zustands.
Das Tückische: Die Verschlechterung nach einer zu großen Anstrengung kann auch erst mit zeitlicher Verzögerung eintreten. Manchmal nach Stunden, manchmal sogar erst Tage später. Die Betroffenen müssen sich also bremsen und auch gebremst werden.
Bei Claudia Schreiner war dies nicht der Fall: „Post Exertional Malaise – das ist ja was Neues. Der Mensch will sich von Grund auf bewegen und denkt, es tut ihm gut. Aber kapieren, bitte beweg dich nicht, weil je mehr du dich bewegst, also im Prinzip so Treibsandprinzip, je mehr du dich bewegst, je mehr wirst du in den Sand reingehen.“
Patient*innen von Grande haben es so beschrieben: „Es ist eine schmerzhafte Entleerung. Patienten haben das so beschrieben, wie durch Watt laufen, mit dem ganzen Körper oder gefangen sein von schwerer Masse.“
Bei einem weiteren ME/CFS-Betroffenen hat die Erkrankung seinen Alltag komplett verändert:
„Ich verbringe jetzt eigentlich den Großteil aktuell im Bett. Und ich merke, dass mein Bewegungsradius und mein Aktionsradius auch nach wie vor kleiner sind, dass ich viel schneller, viel leichter erschöpft bin. Ja, mein Bett beziehen neulich, hat mich auch so viel Kraft gekostet, dass ich drei Stunden liegen musste.“
Zustandsverschlechterung bei Überanstrengung
Für ME/CFS-Betroffene und für Long-Covid-Betroffene mit PEM ist Aktivierung, die Aufforderung, sich zu bewegen, Sport zu machen, der falsche Weg. Werden die Belastungsgrenzen überschritten, kann es zum Crash kommen, den ME/CFS-Betroffene Claudia Schreiner so erlebt:
"Auf mich bezogen würde so ein Crash so aussehen, dass ich einen Tinnitus habe. Dass ich nicht aufstehen kann, dass mir übel ist, dass mir schwindlig ist, dass mir meine Haut wehtut, dass mir meine Muskeln wehtun. Dass ich migräneartige Kopfschmerzen habe, dass ich schwitze, dass ich kalte Hände, kalte Füße habe.
Grippeähnliche Symptome. Es ist wie ein Totalausfall bei mir: Ich habe wirklich oft auch gesagt, dass es sich anfühlt, als sei man vergiftet. Ich bin seit 2008 an ME/CFS erkrankt und arbeite ehrenamtlich für die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und bin auch eine der Mitinitiatoren der SIGNforMECFS-Petition."
Claudia Schreiner verbringt ihre Tage zu 95 Prozent liegend und im abgedunkelten Raum. Die Forschung hat bisher noch keine Therapielösungen für postinfektiöse Erkrankungen entwickelt.
Klar ist aber, bei einer Belastungsintoleranz führt ein Crash zu einer Verschlechterung des Gesamtzustands. Deshalb ist es für Ärzt*innen, Therapeut*innen und Übungsleiter*innen wichtig, sensibilisiert zu sein und bei Long-Covid-Betroffenen auf eine mögliche Belastungsintoleranz zu achten, so Schreiner:
„Man sieht schon, dass es einen ganz bestimmten Prozentsatz gibt, der so wie nach anderen Infektionen auch diese Erkrankung ME/CFS entwickeln wird. Die gilt es natürlich zu erkennen und nicht blind wild drauf los: Ja, die müssen jetzt alle zur Reha, und danach sind alle wieder topfit.“
Oft fehlt Wissen zur Belastungsintoleranz
Ein Betroffener berichtet, wie wenig seine Rehatherapie an seinen Zustand und seine Belastungsintoleranz angepasst wurde:
„Ich habe wirklich alles offengelegt und gesagt, wenn Sie mir das nicht glauben, dann führen wir das durch. Ich weiß, das wird mir schaden kurzfristig zumindest, weil es einfach furchtbar anstrengend für mich ist, aber damit mir dann eben nicht jeden Tag Sporttherapie verschrieben wird.
Und das war aber genau der Fall, dass ich jeden Tag zum medizinischen therapeutischen Training musste auf dem Ergometer. Und ich habe mich dann zum Schluss einfach auch dagegen gewehrt und habe mich auch eigenständig abgemeldet, weil ich nicht mehr konnte.“
Für Betroffene ist es nicht leicht, sich selbst zurückzunehmen. Alle möchten wieder an früher anknüpfen und zum alten Lebensstil zurück. Das Vertrauen darauf, dass Therapien helfen werden, ist groß:
„Ich habe dann auch gemerkt: Okay, das kann ich nicht gewährleisten. Ich habe es trotzdem versucht wider besseren Wissens, mich zumindest partiell darauf einzulassen, weil ich auch davon ausging, ich sollte es zumindest versuchen. Ich bin ja auch mitwirkungspflichtig und im schlimmsten Fall habe ich halt einen Crash und kann reduzieren und abbrechen. Aber ich möchte ja schon mal zumindest ausprobieren, ob es nicht vielleicht doch eine Besserung verschaffen könnte.“
Pacing hilft gegen eine Verschlimmerung
Was gegen eine Verschlimmerung hilft, ist Pacing. Die Methode wurde in den 1980er-Jahren von ME/CFS-Kranken und -Forschenden entwickelt und soll eine Verschlechterung des Zustands und Crashs verhindern. Pacing bedeutet, auf den eigenen Körper zu hören und schonend mit den noch vorhandenen Energieressourcen umzugehen.
Dabei ist jeder Tag eine neue Herausforderung und muss mit Ruhepausen geplant werden. Pacing ist aber nur ein Werkzeug, um den Zustand zu stabilisieren, es ist kein Heilmittel, erklärt Claudia Schreiner von der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS. Reha sei für viele Personen eine erfolgreiche Therapie, aber bei einer postinfektiösen Fatigue sollten Trainer*innen dennoch beobachten:
„Existiert die Post Exertional Malaise? Also gibt's diese Zustandsverschlechterung aller Symptome nach Anstrengung? Und da zählen aber auch so sensorische Stressoren dazu: Licht, Lärm. Reize jeglicher Art, kognitiver Anstrengung, also eben auch nur eine Unterhaltung. Nun ja, also alles, was dich so umgibt.“
Im Zusammenhang mit Long Covid werden auch Begriffe wie Müdigkeit, Kraftlosigkeit und Fatigue genannt oder synonym verwendet. Doch es muss unterschieden werden, ob die Fatigue ein begleitendes Symptom einer Krankheit ist oder ob es in Kombination mit einer Belastungsintoleranz auftritt.
Aufklärung und Screening notwendig
Es bleibt die Frage: Für wen ist eigentlich welcher Kurs geeignet? Die Angebotsvielfalt wächst, die Deutsche Rentenversicherung appelliert an Physiotherapeut*innen, sich mit Long Covid zu befassen. Immer mehr Broschüren und Artikel werden verfasst, die Informationen häufen sich.
Die psychologische Psychotherapeutin Bettina Grande wünscht sich eine große, flächendeckende Aufklärungskampagne:
„Also fast zu vergleichen mit damals bei HIV, der großen Regierungsaufklärungskampagne. Und dass jeder, jeder, jeder im Gesundheitssystem PEM kennt und um die Gefahr weiß – und weiß, wie man das einzuschätzen hat.“
Und darüber hinaus braucht es laut der von ME/CFS-Betroffenen Claudia Schreiner für die Gruppe der postinfektiös Erkrankten ein anderes Therapiemodell:
„Eigentlich müsste man ja ein komplett neues System erschaffen für diese Gruppe. Und das würde dann gar nicht mehr Reha heißen, weil eine Reha hat ja immer zum Ziel, dich wieder zu aktivieren und ins Arbeitsleben zu integrieren. Das ist bei dieser Gruppe nicht möglich. Das heißt, man müsste eigentlich von so etwas wie Diseasemanagement sprechen. Und das vielleicht auch online für die Betroffenen und Angehörige.“
Wichtige Rolle für Fitnessstudios und Vereine
Auch wenn viel in Rehaeinrichtungen und Kliniken passiert, Bettina Grande schreibt auch Fitnessstudios und Sportvereinen eine wichtige Rolle zu:
„Fitnessstudios, die die Unterscheidung, wen nehme ich und wem tue ich gut und wem sage ich mit gutem Verantwortungsbewusstsein, du bist hier nicht richtig. Und vielleicht gerade die Fitnessstudios, wo dann Menschen, die darum noch nicht wissen, was mit ihnen los ist, denken also ich mache das jetzt mal, ich gehe jetzt mal ins Fitnessstudio. Also dass das ein ganz großer Bereich sein könnte, wo sie eine große, große Screeningarbeit auch leisten könnten, wenn sie um diese Unterscheidung wüssten.“
Wie wichtig der individuelle Umgang mit jedem einzelnen Long-Covid-Betroffenen ist, betonte auch Vera Jaron, DBS-Vizepräsidentin, auf dem Forum „Corona und Sport“ Anfang September in Berlin. Außerdem forderte die Funktionärin, dass die Verknüpfung zwischen Krankenhausbehandlung und den anschließenden Rehamöglichkeiten verbessert werden müsse.
Dass nur wenige von den vielfältigen Rehaangeboten in Vereinen wissen, ist nicht nur bei Long Covid ein Problem, stellt Benedikt Ewald vom DBS fest:
„Man denke nur an Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Adipositas, Bluthochdruck, aber auch Parkinson, Demenz etc. – auch das muss man feststellen, dass wir sozusagen die Leute nicht ausreichend erreichen.“
Kampagne für den Rehasport
Deshalb hat der DBS im September die Kampagne „Reha ist für mich …“ gestartet. Sie soll zeigen, wie viel Potenzial im Rehasport steckt und selten angebotene Gruppen fördern. Vor allem im Bereich Orthopädie gebe es die meisten Verordnungen: 84 Prozent. Rehasport für andere Erkrankungen wird hingegen weit unter dem verordnet, was möglich wäre. Da braucht es einfach mehr Infos, sagt Kathrin Thiele, die an der Uniklinik in Aachen eine Adipositasgruppe leitet:
„Ich merke, dass viel Leute sagen: Ach, das weiß ich gar nicht, das wusste ich gar nicht. Und natürlich auch von ärztlicher Seite, denn das sind die Personen, die das verschreiben und die haben oft nicht viel Zeit. Und von ärztlicher Seite, finde ich, müsste einfach noch mehr klar sein, dass sie den Patienten einfach deutlich mehr Rehasport anbieten können.“
Und das nicht nur im Long oder Post-Covid-Bereich, sondern auch bei Herzerkrankungen, sensorischen, neurologischen und psychischen Erkrankungen. Durch die Pandemie sind rund 5500 Rehasportangebote weggebrochen. Umso wichtiger sei es, die Kampagne jetzt zu starten, sagt DBS-Vizepräsidentin Katrin Kunert:
„Die unterrepräsentierten Indikationen, die drohen jetzt natürlich noch mehr in den Hintergrund zu rücken, weil wir auch Long- und Post- Covid-Betroffene in Zukunft mit in den Vereinen betreuen wollen.“
Der Rehasport steht also vor der Herausforderung, nicht nur den neuen Long- und Post-Covid-Betroffenen, sondern auch Mediziner*innen, Vereinen und anderen Erkrankten den Rehasport als eine wichtige Option ins Bewusstsein zu rufen.
Eine Wiederholung vom 25. September 2022.