Ein guter Anlass, um über Literatur zu diskutieren
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Mehr Autorinnen als Autoren stehen auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis, die 20 Titel umfasst. Auffällig viele von ihnen stammen aus Österreich. Literaturredakteurin Wiebke Porombka über ihre Favoriten und einen Titel, der sie überrascht hat.
Im Feuilleton ist es eine Art Sport geworden, über Listen wie die Longlist zum Deutschen Buchpreis herzufallen. Aber man kann es gar nicht oft genug sagen: Es gibt nicht nur 20 auszeichnungswürdige Romane im deutschsprachigen Raum pro Jahr. Wenn man also sagen könnte: Die Liste ist perfekt, dann würde das nicht für die Jury des Deutschen Buchpreises sprechen, sondern gegen den aktuellen Zustand der Literatur.
Insofern kann man sich ärgern über eine solche Liste, man kann sie aber auch als Leseanregung begreifen - und als Anlass, über Literatur zu diskutieren. Das wird auch in diesem Jahr passieren, denn einige große Namen fehlen: Weder Norbert Gstrein mit "Als ich jung war" noch Terezia Mora "Auf dem Seil" finden sich auf der Liste. Ebenso wenig wurden Ulrike Draesner mit "Kanalschwimmer" oder David Wagners Demenzbuch "Der vergessliche Riese" berücksichtigt.
Die Favoriten
Zu den Favoriten von Wiebke Porombka, Literaturredakteurin im Deutschlandfunk Kultur, zählt Katerina Poladjans Roman "Hier sind Löwen": "Das ist nicht nur ein ganz feinsinnig erzähltes Buch, sondern auch ein politisch ganz wichtiges. Es erzählt nämlich vom Völkermord an den Armeniern, der in der Türkei lange nicht so genannt werden durfte. Es ist immer noch sehr umstritten." Vor allem Poladjans Erzählstil, der nicht didaktisch sondern stets zweifelnd sei, mache das Buch besonders.
"Der junge Doktorand" von Jan Peter Bremer ist ein Roman, über den Wiebke Porombka beim Lesen laut gelacht hat: "Dieses Buch ist wirklich ein Kabinettstück über die Tragik und das Scheitern des Lebens."
Toni Schachingers Debütroman "Nicht wie ihr" hat die Literaturredakteurin auf der Longlist überrascht. Darin geht es um einen Fußballprofi, dessen Leben ins Wanken gerät, als seine Jugendliebe ins Spiel kommt.
Die Longlist 2019 setzt vor allem auf Entdeckungen. Sechs Debüts sind nominiert. Dazu gibt es sechs Titel aus Österreich. Freuen kann sich der S. Fischer Verlag, der gleich viermal berücksichtigt worden ist.
"Identitätspolitik" im neuen Roman von Marlene Streeruwitz
Wenn man nach Tendenzen der Gegenwartsliteratur schaut, dann spiegelt sich in der Longlist vor allem ein Thema, das man unter dem Stichwort "Identitätspolitik" subsumieren könnte, ein großes und gewichtiges Thema, das aktuelle Debatten dominiert, also Fragen nach Geschlechterdefinitionen und -verhältnissen genauso wie nach der kulturellen, religiösen oder ethnischen Identität.
Ein Beispiel dafür ist etwa der Roman "Flammenwand." der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Eine fatale Liebesgeschichte wird da verschnitten mit der Chronik der unheilvollen Entwicklung unter der schwarz-türkisen Regierung in Österreich. Dieser Roman seziert patriarchale, repressive Strukturen und das Ganze – das kennt man von Marlene Streeruwitz, einer in jeder Hinsicht kompromisslosen Autorin – harsch und schneidend im Ton.
Interessant wird es, wenn man "Flammenwand." einen Roman wie "Miroloi" von Karen Köhler gegenüberstellt, der ein ähnliches Sujet aufnimmt. Köhler erzählt die Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau, versetzt diese Geschichte aber auf eine archaische Insel und lässt ihre Figur in einem märchenhaften Ton sprechen. Sie entkoppelt ihr feministisches Anliegen also vermeintlich von gesellschaftspolitischer Aktualität, die aber darin natürlich parabelhaft reflektiert werden soll.
In den Feuilletons und in den sozialen Medien wurde in den vergangenen Tagen bereits heftig darüber diskutiert, ob diese Darstellungsweise dem Thema angemessen ist. Und auch, ob dieser Roman zum Programm des renommierten Hanser Verlags passt. Jetzt, wo "Miroloi" auf der Longlist steht, wird sich der Ton noch einmal verschärfen.
Aber, so hart solche Diskussionen für einzelne Autoren und Autorinnen sind: Es ist wichtig, ästhetische Kriterien und Maßstäbe immer wieder zu hinterfragen. Die Longlist ist dafür ein Anlass.
Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2019:
- Nora Bossong: "Schutzzone" (Suhrkamp, September 2019)
- Jan Peter Bremer: "Der junge Doktorand" (Berlin Verlag, September 2019)
- Raphaela Edelbauer: "Das flüssige Land" (Klett-Cotta, August 2019)
- Andrea Grill: "Cherubino" (Paul Zsolnay, Juli 2019)
- Karen Köhler: "Miroloi" (Carl Hanser, August 2019)
- Miku Sophie Kühmel: "Kintsugi" (S. Fischer, August 2019)
- Angela Lehner: "Vater unser" (Hanser Berlin, Februar 2019)
- Emanuel Maeß: "Gelenke des Lichts" (Wallstein, Februar 2019)
- Alexander Osang: "Die Leben der Elena Silber" (S. Fischer, August 2019)
- Katerina Poladjan: "Hier sind Löwen" (S. Fischer, Juni 2019)
- Lola Randl: "Der Große Garten" (Matthes & Seitz Berlin, März 2019)
- Tonio Schachinger: "Nicht wie ihr" (Kremayr & Scheriau, August 2019)
- Norbert Scheuer: "Winterbienen" (C.H.Beck, Juli 2019)
- Eva Schmidt: "Die untalentierte Lügnerin" (Jung und Jung, März 2019)
- Saša Stanišić: "Herkunft" (Luchterhand, März 2019)
- Marlene Streeruwitz: "Flammenwand." (S. Fischer, Mai 2019)
- Jackie Thomae: "Brüder" (Hanser Berlin, August 2019)
- Ulrich Woelk: "Der Sommer meiner Mutter" (C.H.Beck, Januar 2019)
- Norbert Zähringer: "Wo wir waren" (Rowohlt, März 2019)
- Tom Zürcher: "Mobbing Dick" (Salis, März 2019)