Kosmetikkurse für Krebskranke
Chemotherapie oder Strahlenbehandlung: Der Kampf gegen den Krebs hat auch drastische Konsequenzen für das Aussehen der Patienten. Eine gemeinnützige Gesellschaft hilft den Betroffenen zum Beispiel mit Kosmetik-Mitmach-Kursen wie am Katholischen Klinikum in Mainz.
Sie kennen sich aus der Therapie. Nicole hat schon hinter sich, was Anne noch bevorsteht: Haarausfall im Zuge der Chemo. Nicole trägt eine blonde Perücke, die nicht als solche zu erkennen ist. Tische im Karree, zehn graue Taschen, eine an jedem Platz.
Fast wie Weihnachten
Bevor der Workshop im nüchternen Krankenhaus-Seminarraum startet, stecken Nicole und Anne die Köpfe zusammen: keine heiteren Themen, es geht um Therapieverlauf und Sorgen:
"Einfach mal alle Produkte vor sich hinstellen, ist fast wie Weihnachten."
Doch schon als Pia Huf, Kosmetikerin im Ehrenamtseinsatz, die zehn Teilnehmerinnen bittet, die graue Tasche mit den gesponserten Marken-Kosmetika an ihrem Platz zu öffnen, hebt sich die Stimmung.
"So viel hab ich noch nie besessen!"
Dolores macht ihre dritte Krebs-Erkrankung durch. Die erste Chemo steht ihr noch bevor. Die 70-Jährige mit dem Kurzhaarschnitt wirkt jünger – und optimistisch.
Sich wohlfühlen weckt Lebenslust
"Gut aussehen, hilft", ist ihre Devise. Und: "sich wohlfühlen, weckt Kräfte". Die Frauen nehmen Mütze, Tuch oder Perücke ab - ein erster Vertrauensbeweis in die Runde. Und für Pia Huf das Signal, vorm Schminken Tipps fürs Kaschieren von Haarverlust zu geben. Wenn es mal schnell gehen muss oder zu heiß ist für die Perücke. Ein weiches Schlauchtuch lässt sich mit zwei Handgriffen überkreuz zum schlichten Turban ziehen. Beim Probieren des bunten Tuchs kichern die Frauen, der Rest gedämpfter Stimmung verflüchtigt sich.
Pia Huf: "Soll ich's noch mal zeigen?"
"Ja, den Anfang."
"Ja, den Anfang."
Mit einem Haarkranz aus dem Friseurbedarf zaubert Pia Huf einen Pony unters Tuch. Bei der 15-jährigen Lotte. Ihr Vater hatte sie bis in den Seminarraum begleitet und gestützt. Der Tumor im Rücken wird derzeit mit heftiger Chemotherapie bekämpft. Anfangs trägt Lotte einen Mundschutz.
Blond dank Kunst-Pony
Ein bisschen verloren wirkt das Mädchen unter den Frauen, die mindestens 20 Jahre älter sind. Mit Hilfe des Kunst-Ponys lässt Pia Huf Lotte "erblonden".
Lotte: "Es ist Sommer..."
Pia Huf: "Genau!"
Pia Huf: "Genau!"
Das neue Sommerblond lässt Lotte in den Spiegel grinsen. Ihre schwarze Mütze hatte sie blass aussehen lassen. Mit zartfarbigem Tuch und Haarfransen, die darunter rausschauen, bekommt sie die ersten, aber nicht die letzten Komplimente an diesem Nachmittag. Jetzt geht's weiter mit Kosmetik: Die Haut mild reinigen, dann eincremen.
Pia Huf: "Ich zeig's Ihnen bei der Annette. Immer entgegen der Schwerkraft - von unten nach oben."
Annette legt den Kopf zurück. Genießt. Ihre kräftigen Brauen waren ein Erkennungsmerkmal. Pia Huf demonstriert, wie sich das Charakteristikum restaurieren lässt:
"Ganz dezent schraffieren, etwas dominanter schraffieren - je nachdem, wie der Brauenwuchs war."
Annette: "Der war sehr dicht bei mir und dunkel."
Annette: "Der war sehr dicht bei mir und dunkel."
Annette schraffiert kräftig.
Frisch aussehen und die Lebenslust behalten
Die Kosmetikerin bestärkt sie darin, die Persönlichkeit herauszuarbeiten, aktive Charakter-Frau. Dolores schaut bewundernd zu Lotte. Mit Wimperntusche in Zickzacktechnik, Puder-Rouge und etwas Concealer, rollend unters Auge getupft, hat sich das angegriffen wirkende Mädchen in eine junge Frau mit strahlendem Teint und ausdrucksvollen Augen verwandelt.
Eva, junge Mutter von zwei Kindern, will die neuen Techniken zu Hause anwenden, auch wenn's stressig zugeht:
"Ich will einfach frisch aussehen und lieber gesagt bekommen, 'ach, siehst du gut aus', als gesagt bekommen, 'hach, ist ganz schön anstrengend, die Chemotherapie'. Ich war auch sonst ein lebenslustiger Mensch, und warum soll ich's nicht weiterhin sein."
Mit Kappe auf dem Kopf den Müll rausbringen, ist für Eva o.k., aber nie würde sie ohne Perücke in die Kita gehen oder in die Stadt.
Auf das Urteil anderer pfeifen
Nicole legt den Eyeliner für einen Moment aus der Hand. Ein Schritt ohne Perücke, anfangs unvorstellbar für die Friseur-Meisterin.
"Irgendwann hab ich mir gedacht, pfeif drauf. Ich bin also sehr offensiv auch mit dem Ganzen umgegangen, nicht weil ich Mitleid haben möchte, sondern weil ich keine Fettnäpfe aushalten möchte. Ob das jetzt einer Nachbarin leidtut, davon habe ich nichts. Es ist mir wurscht inzwischen, ob ich mit Perücke oder Käppi gehe. Ich hab's mir nicht ausgesucht, ich hab's nicht extra gemacht. Es ist, wie es ist."
Die Frauen vergessen übers Reden das Schminken. Der Austausch – wertvoll, weiß Pia Huf. Dennoch drängelt sie. Einäugig Geschminkte gehen zu lassen, widerspräche ihrem Berufsethos. Deshalb: zügig die restlichen Lidschattentupfer setzen.
Streicheleinheiten für Haut und Seele
Die 15-jährige Lotte bevorzugte bislang Schwarz für die Augen - und fühlt sich ungewohnt bunt. Die Kosmetikerin ermutigt sie zum Experimentieren. Auch Lippenstift – ausnahmsweise wenigstens.
"Schaut so schön aus! Ganz, ganz frisch!" - "Klasse!"
Lotte: "Danke schön!"
Lotte: "Danke schön!"
Lotte strahlt. Das Aufstehen schmerzt im Rücken. Noch lächelnd, aber schon ein bisschen gequält, hängt sie sich beim Vater ein. Zwei Stunden Streicheleinheiten für Haut und Seele – so lange dauerte Lottes Pause vom Kranksein.