Polizeigewalt gegen Obdachlose
Seit den tödliche Schüssen von Ferguson ist die Stimmung in den USA angespannt - jeder Konflikt mit der Polizei kann eskalieren. So wie in Los Angeles: Ein schwarzer Obdachloser wurde von Polizisten erschossen. Die Wut kochte innerhalb weniger Stunden hoch - eine Kirche versucht zu deeskalieren.
Zwischen seinem Sofa, einem Berg aus Zeltplanen, Decken und Pappkartons kocht "Dice" an einem zum Imbisstand umfunktionierten Schreibtisch: eine Pfanne Reis mit Rindfleisch und Gemüse. "Zwei Dollar pro Schüssel" ruft der schlanke Koch mit weißem Hut einem Vorbeigehenden zu. Er ist 58 Jahre alt, obdachlos. Schüsseln hat er gerade keine, die Polizei hat alle beschlagnahmt. Denn vor wenigen Tagen gab es hier auf Skid Row eine Schießerei. Und Dice wurde Zeuge.
"Ich habe gesehen, wie sie den Kerl erschossen haben. Die Polizisten kamen aus dem Auto nach einem Notruf. Er war in seinem Zelt, hat niemanden belästigt. Er ist ihren Befehlen nicht gefolgt, also haben sie ihm Elektroschocks gegeben. Er ist aggressiv geworden. Sie sagen, er hat die Pistole von einem Polizisten gegriffen. Das hab ich nicht gesehen. Sie haben ihm Handschellen angelegt und dann auf ihn geschossen."
Weißer Polizist erschießt schwarzen Obdachlosen – schon wieder. Drei Afroamerikaner wurden in den letzten zehn Monaten auf Skid Row von Uniformierten getötet. "Dice" klagt, die Polizei benehme sich als habe sie eine Lizenz zum Töten.
"Genug ist genug! Irgendwann rebellieren die Unterdrückten. Schau nach Ferguson und zu all den anderen schwarzen Jungs, die sie erschossen haben. Irgendwann ist uns unser eigenes Leben egal. Wir werden uns wehren!"
Eine Gruppe Schüler mit Pappkartons voll Kleidung geht vorbei. Sie klopfen an einer Tür im Wohnhaus gegenüber. Im Erdgeschoss ist eine Kirche. Pastor Tony Stallworth öffnet. Der korpulente Mann, das lange Haar zu einem dünnen Zopf geflochten, hat zu einer Mahnwache für den Toten, den alle "Africa" nannten, eingeladen.
"Jeder Verlust eines Menschen trifft mich zutiefst. Ich kann sie nie mehr treffen, nicht umarmen, kann ihnen nicht sagen, was Gott für mich getan hat und dass sie ihr Leben ändern können, wenn sie wollen."
Stallworth hat selbst drei Jahre lang sein Hab und Gut im Einkaufswagen durch die Obdachlosenmeile geschoben. Zum Entzug gehörte Sozialdienst in der Kirche. Er ist geblieben. Als die tödlichen Schüsse fielen, predigte Stallworth. Demonstrationen gegen Polizeigewalt, die es seither regelmäßig an der Straßenecke gibt, versteht er. Doch der Pastor wirbt lieber für Verständnis und Versöhnung.
"Er war wie ein Baum"
Eine Stunde später ist jeder Klappstuhl im Kirchensaal gefüllt: Schüler, Geistliche, Obdachlose und Polizisten halten Teelichter, singen und beten gemeinsam. Pastor Stallworth bittet die, die "Africa" persönlich kannten, ans Mikrophon.
"Er war wie ein Baum, ruhig und stark wie ein Baum."
Am Ende der Mahnwache stehen in der ersten Reihe Polizisten und Obdachlose eng umarmt, mit dabei ist "Detroit". Sie ist Mitglied in einem Gesprächskreis von Polizei und Obdachlosen. Die zierliche Frau in Wolljacke versteht jetzt besser, unter welchem Druck die Beamten stehen.
"In ihrer Jobbeschreibung steht, sie sollen beschützen und dienen. Es steht nicht drin, dass sie auch Psychologen und Drogenexperten sein müssen. Das lernen sie, wenn sie mit uns zusammen arbeiten."
Polizist Dion Joseph lacht. Kerzenwachs ist auf seiner Uniform getrocknet. Er arbeitet seit 17 Jahren auf Skid Row, hätte schon lange zu einer anderen Abteilung wechseln können. Aber, sagt er, er liebe diese Gemeinde.
"Ich hoffe, es wird nie wieder jemand erschossen. Aber leider, wenn wir das psychische Problem hier nicht ernst nehmen, kann es wieder passieren. Nicht weil uns die Menschen egal sind, sondern weil die Situationen so unberechenbar sind. Es ist traurig."
"Dice", der Koch, hat der Mahnwache durch die offene Tür zugehört.
Jetzt steht er wieder neben seiner Reispfanne. Auch er sei sehr für Verständnis und Kommunikation auf Skid Row, erklärt er. Allein - er traut den Polizisten nicht.
"Sie belästigen die Obdachlosen. Wir leben hier. Wir können nirgendwo anders hin. Wir dürfen unsere Zelte von neun abends bis sechs morgens hier aufstellen. In der Zwischenzeit: lasst uns in Ruhe! Bringt uns nicht um und belästigt uns nicht!"
Dämmerung senkt sich über den Bürgersteig. Bald wird "Dice" sein Sofa auf die andere Straßenseite an die Kirchenwand schieben und eine Plane darüber ausbreiten. Dann schließt er seine Küche und eröffnet das Geschäft mit Bier, Wodka und Haschpfeifen.