Loslösung vom Holocaust
Man kann es sich einfach machen mit "Hitler besiegen". Man dreht das Buch um und liest auf der Rückseite, wer es lobt: Rupert Neudeck, Tony Judt und John Mearsheimer.
Alles klar! Nun ist also auch Avraham Burg unter jene Israelkritiker gegangen, die in Deutschland mit offenen Armen empfangen werden, weil sie von der Schuld der eigenen Großväter ablenken und mit dem Finger auf Israel zeigen: "Seht her, die Juden machen’s auch nicht besser. Wir haben’s ja vor knapp einem Jahr beim Krieg im Gazastreifen gesehen." Burg kennt diese Argumentation und er lehnt sie ab.
"Der Holocaust war furchtbar und Gaza ist abscheulich, aber man kann beides nicht vergleichen: Man kann nicht sagen, weil wir den Holocaust hatten, können wir in den besetzten Gebieten machen, was wir wollen, genauso wenig wie man sagen kann: Weil ihr das in den besetzten Gebieten macht, löscht ihr die Erinnerung an den Holocaust aus. Das ist oberflächlich und dumm. Es ist okay, Israel dafür zu kritisieren, was es im Gazastreifen macht, aber es ist nicht okay, das mit dem Holocaust auf eine Stufe zu stellen."
Burg selbst ist an dem Vergleich allerdings nicht unschuldig. Die Stimmung in Israel erinnert den ehemaligen Knessetsprecher an die Situation in der Weimarer Republik: Was im Deutschen Reich die "Novemberverbrecher" – also die Politiker, die 1918 die Waffenstillstandsverträge unterzeichnet hatten – seien heute in Israel die "Oslo-Verbrecher", aus "Juden raus" sei "Araber raus" geworden.
Durch diese und andere Parallelen – Burg deutet auch eine Ähnlichkeit in Sachen Blut und Boden-Ideologie an – wird die Assoziation Israel und "Nazideutschland" bewusst geweckt oder in Kauf genommen. Burg weiß, dass er damit reflexartige Empörung hervorruft, doch er scheint sich in der Rolle des Provokateurs zu gefallen. Zu diesen Provokationen zählen auch Sätze wie:
""Ständig wollen wir wegen der Shoah eine noch schlagkräftigere Armee, mehr Mittel von Steuerzahlern anderer Länder und eine automatische Vergebung aller unserer Exzesse."
Was die israelische Armee und die Rechtfertigung ihrer Taten angeht, mag Burg Recht haben. Das "finanzielle Erpressen" anderer Länder dagegen hinterlässt einen schalen Beigeschmack: Mit solchen Formulierungen werden antisemitische Klischees bedient. Vor allem aber werden sie nicht belegt: Es wäre spannend gewesen, wenn der ehemalige Chef der Jewish Agency anhand eines konkreten Beispiels gezeigt hätte, wie mit Hilfe moralischen Drucks ausländische Regierungen zu Zahlungen an Israel bewegt werden. So aber bleibt Burg auf der Ebene einer allgemeinen Verschwörungstheorie.
"Hitler besiegen" heißt im Untertitel "Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss". Burgs Diagnose fällt eindeutig aus: Der jüdische Staat hat ein krankhaftes Verhältnis zum Holocaust: Obwohl faktisch bis an die Zähne bewaffnet und international fest etabliert, seien die Israelis mental immer noch im Ghetto oder KZ. Das müsse sich ändern.
"Mir geht es nicht um die Frage, wie viel Holocaust ist genug und wie viel nicht. Für mich ist es keine Frage der Quantität, sondern der Qualität: Worum geht es! Wenn der Holocaust die einzige Epoche in der Geschichte ist – es gab keine Tausend Jahre vorher, in der Juden und Nichtjuden in Europa zusammengelebt haben und es gibt auch kein nach 1945 – dann bin ich total dagegen."
"Hitler besiegen" – und darin liegt die Stärke des Buches – ist ein fulminantes Plädoyer für eine universalistische Lesart der Shoah: Die Lehre des Holocaust könne nicht darin liegen, sich als Jude immer wieder in der Opferrolle zu sehen und zu bestätigen, sondern gegenüber Völkermord und Menschenrechtsverletzungen allgemein sensibel zu sein.
Dazu gehöre – auch daran lässt Burg keinen Zweifel – die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Solange Israel – selbst Zufluchtsort für Flüchtlinge - sich nicht zur Mitverantwortung für die Vertreibung der Palästinenser bekenne, könne es keine Aussöhnung mit ihnen geben. Bei Burg heißt das dann:
"Bitte verzeiht uns, gemeinsam werden wir der ungesunden Flüchtlingsmentalität ein Ende setzen, die uns alle quält. Lasst uns für unsere gemeinsame Zukunft zusammenstehen."
Tiefe Einsicht und triefender Pathos liegen bei Burg eng beieinander.
Das Eingeständnis einer jüdischen Mitschuld am palästinensischen Trauma der Vertreibung dürfte für manchen Leser allerdings nicht die größte Zumutung sein. "Israel sollte zum demokratischen Staat des jüdischen Volkes werden", schreibt Burg, "der allen Bürgern gehört und über dessen Charakter und Wesen die Mehrheit entscheidet." Heißt im Klartext: Sollte die arabische Minderheit in Israel, derzeit rund 20 Prozent der Bevölkerung, aufgrund der höheren Geburtenrate irgendwann die Mehrheit stellen, wird sie auch über den Charakter des Staates bestimmen.
Anders als für die meisten Juden inner- und außerhalb Israels ist dieser Gedanke für Burg keine Katastrophe. Das hängt mit seinem Verständnis des Judentums zusammen. "Seit der Shoah", postuliert er, "gibt es kein genetisches Judentum mehr, nur noch ethisch verbindliches Judentum."
Der "gute Araber" ist ihm deshalb eher ein Jude als der orthodoxe Jude, der den Buchstaben der Gesetze befolgt, aber keine Solidarität mit Nichtjuden hat. Denn ethisch bedeutet, so Burg, "Harmonie, vegetarische Lebensweise und Humanismus" Wie oft in "Hitler besiegen" weiß man nicht so recht, ob man ergriffen sein oder einfach nur den Kopf schütteln soll.
"Der Holocaust war furchtbar und Gaza ist abscheulich, aber man kann beides nicht vergleichen: Man kann nicht sagen, weil wir den Holocaust hatten, können wir in den besetzten Gebieten machen, was wir wollen, genauso wenig wie man sagen kann: Weil ihr das in den besetzten Gebieten macht, löscht ihr die Erinnerung an den Holocaust aus. Das ist oberflächlich und dumm. Es ist okay, Israel dafür zu kritisieren, was es im Gazastreifen macht, aber es ist nicht okay, das mit dem Holocaust auf eine Stufe zu stellen."
Burg selbst ist an dem Vergleich allerdings nicht unschuldig. Die Stimmung in Israel erinnert den ehemaligen Knessetsprecher an die Situation in der Weimarer Republik: Was im Deutschen Reich die "Novemberverbrecher" – also die Politiker, die 1918 die Waffenstillstandsverträge unterzeichnet hatten – seien heute in Israel die "Oslo-Verbrecher", aus "Juden raus" sei "Araber raus" geworden.
Durch diese und andere Parallelen – Burg deutet auch eine Ähnlichkeit in Sachen Blut und Boden-Ideologie an – wird die Assoziation Israel und "Nazideutschland" bewusst geweckt oder in Kauf genommen. Burg weiß, dass er damit reflexartige Empörung hervorruft, doch er scheint sich in der Rolle des Provokateurs zu gefallen. Zu diesen Provokationen zählen auch Sätze wie:
""Ständig wollen wir wegen der Shoah eine noch schlagkräftigere Armee, mehr Mittel von Steuerzahlern anderer Länder und eine automatische Vergebung aller unserer Exzesse."
Was die israelische Armee und die Rechtfertigung ihrer Taten angeht, mag Burg Recht haben. Das "finanzielle Erpressen" anderer Länder dagegen hinterlässt einen schalen Beigeschmack: Mit solchen Formulierungen werden antisemitische Klischees bedient. Vor allem aber werden sie nicht belegt: Es wäre spannend gewesen, wenn der ehemalige Chef der Jewish Agency anhand eines konkreten Beispiels gezeigt hätte, wie mit Hilfe moralischen Drucks ausländische Regierungen zu Zahlungen an Israel bewegt werden. So aber bleibt Burg auf der Ebene einer allgemeinen Verschwörungstheorie.
"Hitler besiegen" heißt im Untertitel "Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss". Burgs Diagnose fällt eindeutig aus: Der jüdische Staat hat ein krankhaftes Verhältnis zum Holocaust: Obwohl faktisch bis an die Zähne bewaffnet und international fest etabliert, seien die Israelis mental immer noch im Ghetto oder KZ. Das müsse sich ändern.
"Mir geht es nicht um die Frage, wie viel Holocaust ist genug und wie viel nicht. Für mich ist es keine Frage der Quantität, sondern der Qualität: Worum geht es! Wenn der Holocaust die einzige Epoche in der Geschichte ist – es gab keine Tausend Jahre vorher, in der Juden und Nichtjuden in Europa zusammengelebt haben und es gibt auch kein nach 1945 – dann bin ich total dagegen."
"Hitler besiegen" – und darin liegt die Stärke des Buches – ist ein fulminantes Plädoyer für eine universalistische Lesart der Shoah: Die Lehre des Holocaust könne nicht darin liegen, sich als Jude immer wieder in der Opferrolle zu sehen und zu bestätigen, sondern gegenüber Völkermord und Menschenrechtsverletzungen allgemein sensibel zu sein.
Dazu gehöre – auch daran lässt Burg keinen Zweifel – die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Solange Israel – selbst Zufluchtsort für Flüchtlinge - sich nicht zur Mitverantwortung für die Vertreibung der Palästinenser bekenne, könne es keine Aussöhnung mit ihnen geben. Bei Burg heißt das dann:
"Bitte verzeiht uns, gemeinsam werden wir der ungesunden Flüchtlingsmentalität ein Ende setzen, die uns alle quält. Lasst uns für unsere gemeinsame Zukunft zusammenstehen."
Tiefe Einsicht und triefender Pathos liegen bei Burg eng beieinander.
Das Eingeständnis einer jüdischen Mitschuld am palästinensischen Trauma der Vertreibung dürfte für manchen Leser allerdings nicht die größte Zumutung sein. "Israel sollte zum demokratischen Staat des jüdischen Volkes werden", schreibt Burg, "der allen Bürgern gehört und über dessen Charakter und Wesen die Mehrheit entscheidet." Heißt im Klartext: Sollte die arabische Minderheit in Israel, derzeit rund 20 Prozent der Bevölkerung, aufgrund der höheren Geburtenrate irgendwann die Mehrheit stellen, wird sie auch über den Charakter des Staates bestimmen.
Anders als für die meisten Juden inner- und außerhalb Israels ist dieser Gedanke für Burg keine Katastrophe. Das hängt mit seinem Verständnis des Judentums zusammen. "Seit der Shoah", postuliert er, "gibt es kein genetisches Judentum mehr, nur noch ethisch verbindliches Judentum."
Der "gute Araber" ist ihm deshalb eher ein Jude als der orthodoxe Jude, der den Buchstaben der Gesetze befolgt, aber keine Solidarität mit Nichtjuden hat. Denn ethisch bedeutet, so Burg, "Harmonie, vegetarische Lebensweise und Humanismus" Wie oft in "Hitler besiegen" weiß man nicht so recht, ob man ergriffen sein oder einfach nur den Kopf schütteln soll.