Wo sich westliche Medizin und östliche Spiritualität treffen
Wilfried Reuter ist Frauenarzt, doch ein Treffen mit der buddhistischen Nonne Ayya Khema verändert sein Leben auf einen Schlag: Er gründete das "Lotos Vihara"-Zentrum in Berlin, wo seitdem westliches Gedankengut auf die buddhistische Lehre trifft.
Was fasziniert einen eher nüchtern wirkenden Berliner Frauen- und Notarzt an einer deutschen buddhistischen Nonne so sehr, dass er selbst als spiritueller Leiter das "Lotos Vihara" aufbaut, ein Zentrum, in dem man meditieren und die Lehre des Buddha lernen kann. Was verbindet den Frauenarzt und die Nonne? Dr. Wilfried Reuter:
"Der Frauenarzt und die Nonne, beides sind ja nun mal Menschen. Und der Frauenarzt hat viel mit Menschen zu tun und die buddhistische Lehrerin, Nonne, eben auch. Und wenn man sich die Vielfalt der Menschen anschaut, ist das, was die Menschen umtreibt, gar nicht mal so vielfältig. Sondern es sind Dinge, die zu tun haben mit Unerfülltheit, Einsamkeit, Angst, Sinnlosigkeit, einer quälenden Unruhe... Wie kann ich mit meiner Angst umgehen? Was bedeutet der Tod? Das sind Themen, die sind in der Arztpraxis genau die gleichen, wie jetzt in einem buddhistischen Szenario, zum Beispiel in einem meditativen Gespräch."
Bei solchen meditativen Gesprächen und auch in ihren Vorträgen ging es Ayya Khema stets darum, buddhistische Grundlagen und Zusammenhänge einfach und für jedermann verständlich darzustellen:
"Es sieht so aus, dass wir alle mit sechs Wurzeln geboren sind, drei heilsame und drei unheilsame. Alle, jeder der hier auf der menschlichen Ebene erscheint, hat alle sechs. Die unheilsamen heißen - als Überschriften - 'Hass', 'Gier' und 'Verblendung'. Und die Heilsamen sind das Gegenteil davon. 'Liebe', 'Freigiebigkeit' und 'Weisheit'. Aber wir können die Unheilsamen durch die Heilsamen ersetzen, so dass wir in der Lage sind, harmonischer mit uns selbst zu leben. Diese Harmonie muss innen empfunden sein, dann ist es möglich, sie nach außen auch fließen zu lassen."
"Jetzt hat sich mein Leben verändert"
Harmonie nach außen fließen zu lassen, Ayya Khema versuchte genau das. Ihre Vorträge bei YouTube sind zig tausende Male angeklickt, ihre Bücher in hohen Auflagen verkauft. Wilfried Reuter kannte dies alles nicht, beschäftigte sich mit Christentum, Sufismus, Zen, Mediation. Auf seiner spirituellen Suche fand er irgendwann bei Ayya Khema seine spirituelle Heimat. An die erste persönliche Begegnung mit ihr im Allgäu erinnert sich der heute 63-Jährige genau:
"Sie sagte: 'Das Herz kann einem aufgehen, wenn man diese wunderschöne Natur sieht. Das Herz kann einem aber noch weiter aufgehen, wenn man die Lehre des Buddha hört.' Diese Sätze habe ich nicht vergessen. Der zweite Teil des Satzes 'das Herz kann einem noch weiter aufgehen, wenn man die Lehre des Buddha hört', hat etwas in mir zum Klingen gebracht. Wir haben eine Stunde oder länger gesprochen, und danach wusste ich intuitiv - jetzt hat sich mein Leben verändert. Ich glaube, das ist der Mensch, den ich gesucht habe."
Als Kind jüdischer Eltern kam Ayya Khema 1923 in Berlin auf die Welt, musste vor den Nazis fliehen, lebte in den USA, lange in Australien. Reiste durch Asien, kam mit der Lehre des Buddha in Berührung und ließ sich schließlich mit 56 Jahren in Sri Lanka zur Nonne ordinieren. Heute gilt sie zumindest in buddhistischen Kreisen als eine der größten Mystikerinnen des letzten Jahrhunderts. Wilfried Reuter beschreibt die vor neun Jahren verstorbene Nonne so:
Als Kind jüdischer Eltern kam Ayya Khema 1923 in Berlin auf die Welt, musste vor den Nazis fliehen, lebte in den USA, lange in Australien. Reiste durch Asien, kam mit der Lehre des Buddha in Berührung und ließ sich schließlich mit 56 Jahren in Sri Lanka zur Nonne ordinieren. Heute gilt sie zumindest in buddhistischen Kreisen als eine der größten Mystikerinnen des letzten Jahrhunderts. Wilfried Reuter beschreibt die vor neun Jahren verstorbene Nonne so:
"Man hatte den Eindruck, sie kennt das Leben, was auch stimmte. Sie war immerhin zweimal verheiratet. Sie hat Kinder und Enkelkinder. Sie ist mit dem zweiten Mann kreuz und quer durch die Welt gereist, und dann hatte sie die ganzen Jahre Erfahrung als Nonne, als ordinierte. Also sie kannte das weltliche Leben, Familienleben, Eheleben, sie war Bankkauffrau, sie konnte mit Geld umgehen. Was mir gefallen hat war, dass sich jemand da reinversetzt und auch eine praktische Lösung hat und nicht mit irgendwelchen abgehobenen Weisheiten hier kommt. Das war es überhaupt nicht, sondern sie war immer sehr konkret. Und das hat mir gefallen."
Den menschlichen Geist gezielt trainieren
Die östliche Philosophie des Buddha anzuwenden auf die westlich-weltlichen Lebensbedingungen – das ist auch Wilfried Reuters Anliegen. Es spiegelt sich wieder in seinen Vorträgen, die er bundesweit hält. Darin geht es um "Lieben ohne zu leiden", "Sinn des Lebens", Krankheit. Und immer um Meditation. Wer tiefer einsteigen will, kann an mehrtägigen Retreats teilnehmen. Die 42-jährige Krankenschwester Doreen besucht das Zentrum schon seit Jahren, meditiert dort unter Anleitung:
"Es bringt mir auf jeden Fall Gemeinschaft zu Menschen und zwar auf eine ganz andere Art und Weise, nämlich in Stille und in Verbundenheit, ohne Worte. Es bringt mir, abschalten vom Alltag und den Fragen des Lebens nachgehen."
"Es bringt mir auf jeden Fall Gemeinschaft zu Menschen und zwar auf eine ganz andere Art und Weise, nämlich in Stille und in Verbundenheit, ohne Worte. Es bringt mir, abschalten vom Alltag und den Fragen des Lebens nachgehen."
Den Fragen des Alltags nachgehen und sie dabei immer wieder vor dem Hintergrund der buddhistischen Weisheitslehre hinterfragen – das soll man im "Lotos Vihara" lernen und üben. Wilfried Reuter:
"Für mich geht es darum – das ist meine Verantwortung – die buddhistische Lehre nicht zu verfälschen, und sie zu untermauern, zu ergänzen, wie auch immer, mit den Erkenntnissen und Errungenschaften der westlichen Kultur. Neurowissenschaften sind für mich da sehr hilfreich."
Die modernen Neurowissenschaften und die Quantenphysik erforschen unter anderem den menschlichen Geist. Sie untermauern zunehmend, dass wir den menschlichen Geist gezielt trainieren können. Diese Erkenntnisse soll der Buddha bereits vor 2500 Jahren gehabt haben. Ayya Khema, "Spiritus Rector" von Lotos Vihara, formulierte das in der ihr eigenen einfachen, klaren Sprache so:
"Ein stumpfer Geist ist lebensgefährlich, aber nicht nur für uns selbst, sondern für die Welt um uns herum. Jeder von uns trägt enorme Verantwortung für die Welt um uns herum. Aber wir können nur dieser Verantwortung nachkommen, wenn wir Geist und Herz läutern und den Geist schärfen. Diese persönliche Verantwortung ist meiner Ansicht nach eine der wichtigsten Unterstützungen für Praktizierende."