Louise Brown: "Was bleibt, wenn wir sterben"

Power durch Trauer

10:23 Minuten
Schwerer Verlust: Auf einem Friedhof zünden Angehörige eine Kerze an, links im Bild ein Grablicht.
Vor dem Trauern kommt die Hilflosigkeit: Rituale wie das Zwiegespräch mit Verstorbenen können helfen, sagt Louise Brown. © picture alliance / dpa-mag / Kai Remmers
Louise Brown im Gespräch mit Christian Rabhansl · 04.12.2021
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Sterben will gelernt sein – trauern auch, sagt die Journalistin und Trauerrednerin Louise Brown. Sie habe am eigenen Leib erfahren, wie wenig sie auf den Verlust vorbereitet gewesen sei. Heute empfinde sie Trauer sogar als "wertvollen Schmerz".
Innerhalb weniger Monate verlor Journalistin Louise Brown ihre Eltern. "Ich habe gedacht, dass ich schon einiges weiß über das Leben", sagt sie im Gespräch mit Christian Rabhansl. Doch durch die Trauer sei klar geworden: "Ich hab verstanden, dass ich eigentlich gar nichts weiß."
Ihre Eltern hätten das Thema Tod "ganz streng" von den Kindern ferngehalten, sie selbst war nicht einmal auf der Beerdigung der eigenen Großmutter. Sie sei selbst "null" auf den Verlust vorbereitet gewesen, "auch auf die körperliche Trauer, den Druck auf der Brust und schlechtes Schlafen."

"Ich muss mich damit auseinandersetzen"

Nach einem Jahr Trauer habe sie gemerkt: "Ich muss mich damit auseinandersetzen." Die gelernte Journalistin fing an, Fragen zu stellen und viel zu lesen. Nach einem Interview mit einem Bestatter fragte der: „Haben Sie eigentlich mal überlegt, Trauerrednerin zu werden?“
Tatsächlich arbeitet Brown mittlerweile auch als Trauerrednerin. Dabei habe sie die Erfahrung gemacht, dass es oft Alltäglichkeiten seien, die wir mit der Erinnerung an Verstorbene verbinden. Auch ihre Sicht habe sich geändert. Sie sei ihr ganzes Leben lang diszipliniert gewesen, "ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Leistung sehr wichtig war."
Wenn sie aber an ihre Mutter denke, erinnere sie sich an deren schmutzige Knie, "weil sie immer in kurzen Hosen im Garten war", oder dass sie am liebsten im Herbst im See gebadet habe, wenn andere Leute ihre Daunenjacken anhatten. „Das sind so die Bilder, die meine Mutter präsent werden lassen für mich.“ Das habe sie durch diese Arbeit erst verstanden.

Rituale geben Trauernden das Gefühl der Handlungsfähigkeit

Sie habe lange gedacht, man müsste Trauer überwinden. Heute, zehn Jahre nach dem Tod der Eltern, wisse sie:

Es gibt keinen Neubeginn. Es gibt ein Weitergehen: Man geht einfach irgendwann weiter mit seiner Trauer. Die Trauer ist immer bei einem.

Die Trauer sei wie eine "kleine seelische Narbe, eine innere Narbe", die immer da ist.
Um mit der Ohnmacht umgehen zu können, seien Rituale wertvoll. Sie gäben einem "das Gefühl von Handlungsfähigkeit" zurück. Sie bereite sich etwa am Wochenende aus einer der Teekannen des Vaters Tee zu, wie er es getan habe.

Trauer kann auch wertvoll sein

Und schließlich könne Trauer auch ein „wertvoller Schmerz“ sein: „Trauer öffnet auch etwas in uns.“
Wenn man sich selbst mit der eigenen Trauer öffne, spüre man die Verbindung zu anderen Menschen. Sie selbst lebe durch die Trauer bewusster: "Ich erlebe das Leben intensiver, weil ich weiß, dass unser Leben endlich ist – das ist für mich auch auf eine Art wertvoll."

Louise Brown: "Was bleibt, wenn wir sterben"
Erfahrungen einer Trauerrednerin
Diogenes Verlag, Zürich 2021
256 Seiten, 22 Euro

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