I threw some snow over my shoulder, / since I had no salt.
Louise Glück in "Winterrezepte aus dem Kollektiv"
Louise Glück: "Winterrezepte aus dem Kollektiv"
© Luchterhand
Lyrische Kraft aus Küche, Botanik, Erinnerungen
06:43 Minuten
Louise Glück
Übersetzt von Uta Grosman
Winterrezepte aus dem KollektivLuchterhand, München 202180 Seiten
16,00 Euro
Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück taucht in die Erinnerung ein und verwandelt dabei den Alltag in einen Ort voller Fantasie. In ihrem jüngsten Gedichtband entdeckt sie neue Wortfelder, zu denen sogar die Sprache von Kochrezepten gehört.
In einem der Gedichte in Louise Glücks neuem Buch "Winterrezepte aus dem Kollektiv" erinnert sich die Sprecherin an ihre Kindheit. An einen Familientag im Park, mit starkem Wind und großen Bäumen. Und wie die Schwestern herumtobten, in die Blätterhaufen sprangen und sie zerstörten. Nur hat die Mutter der beiden eine ganz andere Erinnerung. „Ihr habt nie getobt (...). / Ihr wart brave Mädchen; ihr bliebt, wo ich euch sagte.“ Doch die Schwester hält dagegen: „Nicht in unseren Köpfen.“
Als Louise Glück im letzten Jahr den Nobelpreis bekam, wurde sie als die große Imaginationskünstlerin der US-amerikanischen Literatur gefeiert. In ihren Gedichten führt sie die Sprache an jenen Punkt, an dem sie eine fast kontemplative Dichte bekommt und etwas mitschwingt, das sich den Wörtern eigentlich entzieht.
Das kann die Restepiphanie eines leuchtenden Hauses genauso sein wie eine Ahnung vom Ende, die beim Anblick der untergehenden Sonne spürbar wird. In jedem Fall gilt: „Es lehrt mich / in der Phantasie zu leben: / Ein kalter Wind / weht, als ich die Wüste durchquere.“
Sprache von Rezepturen
Allerdings entging einigen Kommentatoren nicht, dass Glück beim Durchqueren der Wüste bisweilen nur haarscharf an kitschnahen Bildern vorbeistreift. Zu diesem Eindruck mögen nicht zuletzt Bandtitel wie „The Wild Iris“ oder „Faithful and Virtuous Night“ beigetragen haben. Oder Cover, die (jedenfalls in den deutschsprachigen Ausgaben) türkisfarbene Blüten und rotglühende Lavamassen zeigen.
Glücks neuer Band kommt in einer angenehm schlichten Aufmachung daher. Und er trägt einen Titel, der schon verrät, dass die Dichterin ihre Sprache mit anderen Wortfeldern angereichert hat: „Winterrezepte aus dem Kollektiv“. Nun gibt es Fachbegriffe aus der Botanik oder dem Hotelfach zu entdecken. Und tatsächlich verwendet Glück auch immer wieder die Sprache von Rezepturen, listet Zutaten auf oder beschreibt Zubereitungsarten.
Rhythmisierter Erzählton
Oft sind die Gedichte in Form von kleinen Serien angelegt. Darin taucht Louise Glück in alltägliche Szenerien ein, die sie aus der Erinnerung holt und mit Reflexion versieht. Einer der schönsten Zyklen ist der titelgebende, der sich mit dem Bearbeiten von Moos beschäftigt: „Jedes Jahr, wenn der Winter kam, gingen die alten Männer / in den Wald, um Moos zu sammeln, welches / auf der Nordseite mancher Wacholdersträucher wuchs.“
Aus der Beschreibung dieses Rituals gewinnt Glück einen gut rhythmisierten Erzählton, der sie bis in die Gegenwart führt. Was bleibt, ist das Herstellen von Bonsai-Figuren. Eine Kunst, die Glück mit Gedanken über das Schreiben verknüpft, aber auch mit Meditationen über den Tod und über die Ausbeutung der Natur.
Übersetzung nicht gelungen
Leider sind die Übersetzungen alles andere als gelungen. Uta Gosmann klebt nicht nur an der englischen Grammatik und greift in den Sprachregistern immer wieder daneben (ein „Inn“ wird hier zum „Gasthaus“, das simple „each body“ zu „ein jeder Körper“), es gibt überhaupt keine Idee, wie eine deutschsprachige Variante zu Glücks Spiel mit Klang- und Rhythmusmomenten aussehen könnte.
Man muss sich darüber freuen, dass die Ausgabe zweisprachig ist. Denn so kann man zumindest auf Englisch verfolgen, wie Glück aus schneeballgleichen o-Lauten eine ganze Winteratmosphäre entstehen lässt: „I threw some snow over my shoulder, / since I had no salt."