Louise Welsh: "V5N6"

London wie im Zombie-Film

Die Skyline von Canary Wharf in London
Das Büroviertel Canary Wharf: London wird von einem tückischen Virus befallen in "V5N6" von Louise Welsh. © dpa / picture alliance / Daniel Karmann
Von Marten Hahn |
Eine Epidemie überzieht England in dem Thriller "V5N6" von Louise Welsh. Die erfolgreiche Autorin schafft wieder die Balance zwischen packendem Plot und smartem Stil – sie beschreibt die Schönheit des Untergangs in literarischer Sprache.
Diese Träume, in denen man allein ist. In der Stadt. Irgendwo im weiten Land. Die Straßen sind angenehm leer. Keine Staus. Ein Kribbeln im Bauch, weil alles möglich zu sein scheint. Ein Paradies – oder ein Albtraum?
Diese Ambivalenz gibt es in "V5N6" von Louise Welsh nicht. Ein Virus setzt London zu, treibt die Menschen erst in den Wahnsinn und dann in den Tod – bis die Megalopolis still steht. Die letzten Überlebenden nisten sich im Pub ein und betrinken sich auf's Haus. Nur Stevie, eine schöne Ex-Journalistin, die ihr Geld mittlerweile als Moderatorin bei einem Shopping-Sender verdient, fährt durch die verwaisten Straßen der britischen Hauptstadt, um mehr über den Tod ihres Freundes aufzuklären: Ein Mord?
Wer "V5N6" tagesaktuell verorten will, kann den Spuren der Verwüstung folgen, die Ebola in Afrika und Zika in Südamerika hinterlassen haben. Wer sich Mühe gibt, könnte in der Epidemie, die in Louise Welshs Thriller England überzieht, auch eine Chiffre für den "homegrown terrorism" sehen, den hausgemachten Terrorismus, der Europa seit einigen Jahren heimsucht. Afghanistan sei schlimm gewesen, sagt einer von Stevies Informanten. Nur habe man da gewusst, gegen wen man kämpfe. "Aber das hier? Nichts, vollkommen unsichtbar."
Die britische Roman-Autorin Louise Welsh
Die britische Roman-Autorin Louise Welsh in einer Aufnahme von 2004© dpa / picture alliance / Volker Dornberger
Bereits auf den ersten Seiten von "V5N6" fällt auf: Irgendetwas stimmt in diesem Buch nicht. Es sind allerdings nicht die Ampeln, die seltsamerweise noch funktionieren, es ist auch, dass manche Kranke Amok laufen und andere einfach sterben. Es ist die für Genre-Literatur ungewöhnlich literarische Sprache: keine kraftlosen Metaphern, keine Redundanz, kaum stereotype Figuren. Welshs Thriller erinnert an einen Zombie-Film, und dennoch spürt man gelegentlich dieses Kribbeln im Bauch. Da ist eine Schönheit im Untergang, eine sanfte, melancholische Abschiedsstimmung – und das liegt auch an der Kameraführung dieser Autorin, ihrem Blick für Szenen, Licht und Bilder.
Wer Welshs bisherige Romane gelesen hat, den überrascht das nicht. 1965 in London geboren, studierte sie zunächst Geschichte und arbeitete dann acht Jahre in einem Antiquariat und verkaufte gebrauchte Bücher. Die Balance zwischen packendem Plot und smartem Stil ist so etwas wie ihr Markenzeichen. Der deutsche Technokratentitel "V5N6" führt darum in die Irre. Im Original heißt Welshs Roman "A Lovely Way to Burn", eine Zeile aus dem Evergreen "Fever" von Peggy Lee.

Louise Welsh: "V5N6"
Aus dem Englisch von Wolfgang Müller
Verlag Antje Kunstmann, München 2016
352 Seiten, 19,95 Euro

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