Louvre in Lens

Das reiche Museum im armen Norden

Von Kathrin Hondl |
Das Kunstmuseum im nordfranzösischen Lens ist ein großer Erfolg. Im ersten Jahr kamen mehr Besucher als erwartet in den Louvre-Ableger. Doch so richtig gelingt es der Stadt nicht, auch davon zu profitieren.
Schulklassen drängeln sich in der Eingangshalle des Louvre-Lens vor dem Picknick-Bereich: Ein runder heller Raum mit hohen Glasfenstern - Museumsbesucher dürfen hier mitgebrachte Sandwichs essen, wenn sie sich das Museumscafé nicht leisten können oder wollen.
Und nicht nur vor dem Picknick-Raum herrscht Gedränge - auch in der "Galerie du Temps", der großen Dauerausstellung mit Meisterwerken aus dem Louvre Paris, haben sich vor vielen Bildern und Skulpturen Menschentrauben gebildet - an einem ganz normalen Freitag Ende November.
Museumsdirektor Xavier Dectot: "Erwartet wurden im ersten Jahr höchstens 700 000 Besucher, und wir hatten 900 000. Mehr als 100 000 kamen aus dem Kohlerevier hier. Das bedeutet: die Leute haben das Museum angenommen - sie kommen! Und: – das ist wichtig für so ein neues, junges Museum: Jeder fünfte Besucher kommt aus dem Ausland. Für unsere Nachbarn sind wir ein beliebtes Reiseziel geworden."
Die Besucher kommen auch aus dem Ausland
Vor allem Belgier haben das 35 000-Einwohner-Städtchen Lens und seinen Louvre als Ausflugsziel entdeckt – wie diese ältere Dame, die mit zwei Freundinnen aus Tournai angereist ist.
"Ich wäre früher nie auf die Idee gekommen, nach Lens zu fahren. Aber ich bin begeistert. Das Museum ist wunderbar, wir hatten eine fantastische Führung und sind rundum glücklich."
Während die Museumsbesucher strahlen, machen allerdings manche Einwohner von Lens eher muffelige Gesichter. Vor allem die Restaurantbetreiber der Stadt hatten große Hoffnungen in den Louvre und seine Besucher gesetzt. Obwohl eine offizielle Bilanz des örtlichen Tourismusbüros von Umsatzsteigerungen um bis zu 30 Prozent berichtet, sind viele unzufrieden - wie die Wirtin der "Abbaye de Lens", einer Kneipe direkt gegenüber dem Bahnhof.
Museum und Stadt wie durch eine "unsichtbare Mauer" getrennt
"Am Anfang kamen ein paar Leute mehr vorbei, viele ausländische Touristen. Aber inzwischen ist es sehr ruhig geworden."
Und ihre Tochter meint bitter:
"Die ernähren den Louvre, aber nicht das Stadtzentrum. Der Shuttlebus transportiert die Leute vom Bahnhof zum Louvre und zurück. Ins Stadtzentrum kommt keiner."
Es stimmt: Auch wer am Bahnhof nicht in den Gratis-Shuttlebus steigt, den führt der Weg zum Louvre nicht über das Stadtzentrum, sondern ziemlich rasch in die neu angelegten Parkanlagen, die das Museum weiträumig umgeben.
Museum und Stadt seien wie durch eine „unsichtbare Mauer“ getrennt, meint Farid, ein Mann um die 40, der jeden Morgen in der Bar gegenüber dem Louvre seinen Café trinkt.
"Es ist, als wäre ein Graben zwischen dem Museum auf der einen und der Stadt auf der anderen Seite. Da gibt es keine Verbindung. Wenn ein Japaner nach Lens kommt, schaut er sich die Bilder im Louvre an und dann ist er wieder weg. Übernachtet wird in Lille oder Arras. Das ist doch nicht normal."
Bald sollen die ersten Hotels entstehen
Doch so effektlos wie manche meinen ist der neue Louvre keinesfalls für das von Arbeitslosigkeit und Krisen gezeichnete ehemalige Kohlerevier. In drei Jahren sollen in Lens die ersten Hotels eröffnen. Und schon jetzt sind durch die Museumseröffnung mehr als 400 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Vor allem aber hat der Louvre-Lens sein kulturpolitisches Ziel erreicht, die Kunstschätze des Pariser Museums auch weniger gebildeten und begüterten Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen. Michel Denis war früher Arbeiter in der Autoindustrie, jetzt ist er Rentner und Louvre-Fan:
"Ich komme praktisch jeden Nachmittag. In der Galerie du Temps gibt es rund 200 Werke. Und ich studiere eins nach dem anderen. Ich lerne die Maler und Bildhauer kennen, und gleichzeitig lerne ich viel über Geschichte und über fremde Länder."
Seinen 1. Geburtstag feiert der Louvre-Lens jetzt mit einer großen Sonderausstellung über das antike Cerveteri – eine der größten und bedeutendsten Städte Etruriens. Mit zahlreichen Leihgaben reich bestückt zeigt die Schau etruskische Kunst und Kultur vom 12. bis ins 4. Jahrhundert vor Christus, als Cerveteri von den Römern erobert wurde.
Neu bestückte Dauerausstellung
Und auch die Dauerausstellung in der Galerie du Temps wurde jetzt frisch bestückt, unter anderem mit zwei bedeutenden Ingres-Gemälden aus der Pariser Sammlung. Andere Werke wie „Die Freiheit führt das Volk“ – das berühmte Delacroix-Bild, mit dem der Louvre-Lens zur Eröffnung Furore machte, sind dafür wieder nach Paris zurückgekehrt.
Fehlen werden sie ihm aber nicht, sagt Michel Denis, er habe sie so intensiv kennengelernt und studiert. Jetzt freue er sich auf die Neuen.
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