Jimi Hendrix im Regen an der Ostsee
05:41 Minuten
Der letzte große öffentliche Auftritt von Jimi Hendrix, mieses Wetter und aggressive Rockerbanden. Vor 50 Jahren versank das Love-and-Peace-Festival auf der Insel Fehmarn im Chaos.
An diesem Sonntag jährt sich zum 50. Mal ein denkwürdiges Konzert. Am 6. September 1970 war es, als der US-Musiker Jimi Hendrix auf eine vier Meter hohe Bühne kletterte und vor 30.000 Menschen zur Gitarre griff. Nicht in Woodstock, nicht in New York und auch nicht in West-Berlin, sondern auf der Ostseeinsel Fehmarn.
Dieser Gig ist nicht nur deswegen in Erinnerung geblieben, weil die Umstände des damaligen Love-and-Peace-Festival verdammt chaotisch waren, sondern auch, weil es der letzte große öffentliche Auftritt von Jimi Hendrix werden sollte, ehe der US-Gitarrist kurz darauf im Alter von 27 Jahren starb.
Erinnerung an das deutsche Woodstock
Hans-Christian Evers ist Jahrgang 1942, genau wie Jimi Hendrix. Ob ihn, den Rentner von der Insel Fehmarn, etwas verbindet mit dem viel zu früh verstorbenen berühmten Gitarristen aus Seattle?
"Nein, das kann ich nicht sagen", sagt Evers. "Das ist eigentlich nicht – wollen wir mal sagen … seine Musik… war nicht meine Welt." Evers sitzt an diesem Morgen in einer kleinen Halle mit sehr hohen Decken. Bis 2012 führte er im verträumten Petersdorf einen Getränkehandel. Nach Jahrzehnten der Schinderei ist das nun Geschichte. Und Evers räuchert nur noch Fische, die er für ein paar Euro verkauft. Gerade ist wieder eine Ladung in der rauchenden schwarzen Kammer verschwunden.
Mieses Wetter und Chaos
"Da ist jetzt Makrele, Forelle, Heilbutt, Stremellachs, Lachsforelle und Aal!" Hinter seinem Rücken hängt ein schmuckloser Kalender. Der 6. September fällt in diesem Jahr auf einen Sonntag. Genauso wie vor 50 Jahren, als sich die Wege von Evers und Jimi Hendrix hier in der tiefsten schleswig-holsteinischen Provinz kreuzten.
Es war der letzte Tag des Love-and-Peace-Festivals, als Hendrix auftrat. Das Festival sollte eigentlich eine Art deutsches Woodstock werden. Doch durch die katastrophale Organisation, aggressive Rockerbanden und vor allem das miese Wetter versank die Veranstaltung und mit ihr 30.000 Besucher und Besucherinnen im Chaos.
"Es regnete von Donnerstag in Strömen, der Wind nahm immer mehr zu. Ich habe so etwas noch nicht miterlebt! Und dann ging natürlich alles in die Hose", erinnert sich Evers. Erst zwei Jahre zuvor hatte er auf Fehmarn einen Getränkehandel übernommen. Kurzfristig wurde er wenige Tage vor dem Festival als Durstlöscher angeheuert.
Zunächst war er noch skeptisch gewesen, doch die Versprechen der Festivalorganisatoren und die Aussicht auf ein gutes Geschäft lockten ihn am Ende doch. Evers‘ Problem: Es war Ende August und mit so wenig Vorlauf konnten ihm die Getränkelieferanten nur noch ein paar Tausende Dosen anbieten. Doch er brauchte viel mehr.
Das Geld war weg
"Ich hatte ja eine Verpflichtung für 300.000 Einheiten! Mit Dosen, mit Cola, Fanta, Sprite. Oder Zitrone, Orange, Cola und Bier." Am Ende rettete ihn ein Getränkehersteller aus Ostwestfalen, der die Getränke in den hohen Norden schickte. Evers rutscht noch mal ein bisschen hin und her in seinem alten Bürostuhl und denkt an die Summen zurück, die er damals noch vor Festivalbeginn hinlegen musste: Knappe 60.000 Deutsche Mark an den Veranstalter, von denen er nach dem Konzert 30.000 zurückkriegen sollte. Weitere 20.000 Mark gab er aus für die 60 Leute, die er für die drei Tage zum Verkauf in den achten Buden auf dem Festivalgelände anstellte.
Gesehen hat er von dem Geld danach nichts mehr, denn die Organisatoren des Festivals hatten sich maßlos überschätzt. Und die rund 200 Rocker, die auf Fehmarn für die Sicherheit sorgen sollten, verbreiteten nicht nur Gewalt. Sondern brannten am Ende mit der Festivalkasse durch und steckten die Bühne in Brand.
Hat er jemals gedacht, dass ihn das Festival oder Jimi Hendrix ruiniert haben? Energisch schüttelt Evers jetzt den Kopf und sagt: "Überhaupt gar nicht dran gedacht, dafür hatte ich überhaupt keine Zeit zu denken! Ich habe gesagt, das Leben geht weiter! An der Küste überleben nur die Härtesten! Ich bin Löwe. So und dann gibt es gar nichts, dass wir irgendwo sagen: Weichei oder sonst irgendwie was. Da müssen wir durch!"
Aber wie war das jetzt genau mit Jimi Hendrix? Hat er den Auftritt des Meisters überhaupt gesehen? Evers ist sich da heute nicht mehr ganz sicher, er sei an jenem Sonntag, als plötzlich die Sonne rauskam und Hendrix auf der Bühne stand, so viel unterwegs gewesen auf dem Festivalgelände. Vielleicht vermischen sich seine echten Erinnerungen mit den verwackelten Filmen und Fotos, die bis heute vom "Love and Peace Festival" überliefert sind.
Spätes Revival-Festival
"Na, mit seiner Gitarre da wie ein Verrückter!", sagt Evers. "Aber wenn du das heute siehst, sind die alle verrückt! Aber er war ja auch wahrscheinlich nur unter Drogen! Sonst hätte er heute wahrscheinlich noch gelebt." Der Gig auf Fehmarn sollte Jimi Hendrix‘ letzter großer öffentlicher Auftritt werden. Zwölf Tage später, am 18. September 1970, starb er in London im Alter von 27 Jahren.
Von Petersdorf sind es nur ein paar Kilometer an den Flügger Strand, ganz im Südwesten der Insel Fehmarn. Hier fand das denkwürdige Musikfestival Anfang September 1970 statt. In den 1990er-Jahren gründete sich ein kleines Hendrix-Revival-Festival. Der Eintritt war frei und Getränkehändler Evers war wieder mit dabei. Diesmal war das wirtschaftliche Risiko überschaubarer.
2010 war dann Schluss. Naturschützer machten den Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung. Was bleibt, ist ein 2,50 Meter hoher Gedenkstein mit eingemeißelter Gitarre zu Ehren von Hendrix, vor dem sich heute Gäste aus Berlin, Hamburg und Schwaben fotografieren lassen. Hans-Christian Evers braucht kein Foto vom Gedenkstein. Warum auch? Er war ja damals dabei.