Love-Story im Netz
"Alle sieben Wellen" von Daniel Glattauer ist eine Liebesgeschichte, die im Internet spielt. Und auch im realen Leben kommt es zu Begegnungen.
Romantische Liebe lebt von den Phantasie stimulierenden Verhinderungen. Deshalb war einst der Briefroman eine Form romantischer Leidenschaft: Menschen, die sich nicht nahe sein konnten, bekannten sich schriftlich ihre innere Nähe. Daniel Glattauer hat einen überraschenden Bestsellererfolg erzielt, indem er das Genre im Zeichen des Internets revitalisierte. Mit "Gut gegen Nordwind" hat er sicher nicht den ersten E-Mail-Roman geschrieben, aber niemand sonst hat die Elektropost so der romantischen Liebe dienlich gemacht.
Wir erinnern uns: Emmi Rothner und Leo Leike lernen sich im Internet kennen, rein zufällig, wegen einer falsch getippten Adresse. Bald schreiben Sie sich regelmäßig, umgarnen und umgurren sich, bekennen ihre Sehnsüchte. Eine Romanze nimmt ihren Lauf, die dank ihres virtuellen Charmes zahlreiche Leser und vor allem Leserinnen in den Bann zog.
So dass sie das abrupte Ende mit dem Abbruch des Schreibkontakts, ohne dass es je zu einer "realen" Begegnung der beiden Figuren gekommen wäre, als Schock und schwere Enttäuschung erlebten. In tausend Briefen (und E-Mails) wurde Daniel Glattauer um eine Fortsetzung gebeten.
Ein Roman als Leser-Wunscherfüllung, kann das gut gehen? Auch "Alle sieben Wellen" besteht ausschließlich aus den oft sagenhaft schnellen E-Mail-Wechseln von Emmi und Leo – nur einmal funkt Emmis Gatte Bernhard mit einem Sendschreiben von fünf Seiten dazwischen. Anders als im Vorgängerroman kommt es nun aber zu mehreren "wirklichen" Begegnungen, über die der Leser freilich nur andeutungsweise etwas aus den nachfolgenden E-Mails erfährt.
Überhaupt erfährt man nicht allzuviel. Am Ende weiß man über die Figuren kaum mehr als am Anfang – abgesehen davon, dass Emmi sehr eifersüchtig ist auf Pamela, die Freundin an Leos Seite, die sie als eklatante Fehlbesetzung empfindet. Hundert Mal stichelt sie über "Päm" (darin besteht wohl der vielgepriesene "Witz" des Buches), ansonsten bleibt auch die Amerikanerin ein Schemen.
Einmal schreibt Emmi, dass sie ins Kino gehen wolle. "Wie war es im Kino, was hast du dir angesehen?" – eigentlich eine logische Frage für den nächsten Morgen. Aber nein, Leo meint es bloß als Scherz und erwartet gar keine Antwort. Es geht hier schließlich um Gefühle und Befindlichkeiten und nicht um so etwas Äußerliches wie einen Film.
Fast nichts von den Wichtigkeiten und Unwichtigkeiten ihres Alltags, ihren persönlichkeitsbildenden Vorlieben und Abneigungen geben Leo und Emmi (oder gibt der Autor) preis. Die Erzählschwäche ist zugleich eine Strategie: Denn dank dieser Unkonkretheit gibt es keinerlei Ecken und Kanten, die die Identifikation erschweren könnten. Leo und Emmi sind "Ich" sagende Hohlformen, die jede Leserin mit ihrem eigenen Gefühl und ihrer eigenen Bedürftigkeit ausfüllen kann – um sie dann als besonders "lebensechte" Figuren zu empfinden. Nur so ist die heftige Betroffenheit zu erklären, von denen die Briefe an den Autor und die Kundenkritiken bei den Internet-Buchhändlern erstaunliche Auskunft geben.
Leo Leike ist ein Mann als Frauenphantasie. Er mag zwar behaupten, er habe sein Innenleben in einen "Gefühlsschrank" gesperrt und von daher zunächst typisch "männlich" daherkommen. In Wahrheit ist er ein Ausbund an Sensibilität und Einfühlsamkeit. Vor allem ist er ein Meister des E-Mail-Kompliments. Glattauer legt ihm Sätze in den Mund, wie sie viele Frauen gerne hören: "Du bist mir niemals lästig. Das weißt du. Ich müsste mir sonst selbst lästig sein, denn du bist ein Teil von mir. Ich trage dich immer mit mir herum, quer durch alle Kontinente und Gefühlslandschaften, als Wunschvorstellung, als Illusion des Vollkommenen, als höchsten Liebesbegriff." Leo ist ein veritabler Minnesänger: "Ich habe soviel von Dir in mir. Ich habe das immer als Bereicherung empfunden. Jeder Emmi-Sinneseindruck ist eine Gutschrift."
Dieses "leere", aber sanft-gefühlvolle Reden füllt die Seiten: "Gerade weil du mir so viel bedeutest, bedeutet es mir viel, dass auch ich dir möglichst viel bedeute", schreibt Leo und fährt fort: "Wüsstest du, wie viel du mir bedeutest, dann könntest du verstehen, warum ich meine Bedeutung für dich nicht verlieren will." Emmi bedankt sich ergriffen: "Das hat noch niemand zu mir gesagt." Niemand außer Leo wäre wohl in der Lage "so tief emotional zu denken". Nur wer sich an solchen Vagheiten und Floskeln (bisweilen vernimmt man auch Beziehungsratgeberdeutsch) nicht stört, wird dem Buch "wunderbaren" Stil bescheinigen. Nicht erst das Happy-End steht unter Kitschverdacht.
Die Handlung ist in einem Satz erzählt: Obwohl Emmi mit dem deutlich älteren Musiker Bernhard in einer Vernunftehe mit zwei Kindern lebt und Leo sich nach Kräften einredet, er habe mit Pamela die richtige Partnerin gefunden ("Pamela liebt mich"), scheitern beide Beziehungen, worauf nach allerhand Komplikationen und Missverständnissen (auch hieran hat die Vagheit der E-Mails wohl gerüttelten Anteil) Leo und Emmi doch noch zueinander finden dürfen. Vernunft allein genügt eben nicht. Wahre Gefühle mögen blind sein wie Maulwürfe, am Ende schaufeln sie sich den Weg frei.
Soll man Glattauer für seinen Instinkt oder sein Kalkül bewundern? Nicht nur aus Gründen des kommerziellen Erfolges böte es sich nun an, noch einen dritten Leo- und Emmi-Roman zu schreiben: Das Satyrspiel des gemeinsamen Beziehungsalltags nach all den virtuellen Gefühlshöhenflügen, Anfällen von Romantik und Ausfällen sprachlicher Betulichkeit. Das würde man gerne lesen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen
Roman. Deuticke Verlag, Wien 2009, 222 Seiten, 17,90 Euro
Wir erinnern uns: Emmi Rothner und Leo Leike lernen sich im Internet kennen, rein zufällig, wegen einer falsch getippten Adresse. Bald schreiben Sie sich regelmäßig, umgarnen und umgurren sich, bekennen ihre Sehnsüchte. Eine Romanze nimmt ihren Lauf, die dank ihres virtuellen Charmes zahlreiche Leser und vor allem Leserinnen in den Bann zog.
So dass sie das abrupte Ende mit dem Abbruch des Schreibkontakts, ohne dass es je zu einer "realen" Begegnung der beiden Figuren gekommen wäre, als Schock und schwere Enttäuschung erlebten. In tausend Briefen (und E-Mails) wurde Daniel Glattauer um eine Fortsetzung gebeten.
Ein Roman als Leser-Wunscherfüllung, kann das gut gehen? Auch "Alle sieben Wellen" besteht ausschließlich aus den oft sagenhaft schnellen E-Mail-Wechseln von Emmi und Leo – nur einmal funkt Emmis Gatte Bernhard mit einem Sendschreiben von fünf Seiten dazwischen. Anders als im Vorgängerroman kommt es nun aber zu mehreren "wirklichen" Begegnungen, über die der Leser freilich nur andeutungsweise etwas aus den nachfolgenden E-Mails erfährt.
Überhaupt erfährt man nicht allzuviel. Am Ende weiß man über die Figuren kaum mehr als am Anfang – abgesehen davon, dass Emmi sehr eifersüchtig ist auf Pamela, die Freundin an Leos Seite, die sie als eklatante Fehlbesetzung empfindet. Hundert Mal stichelt sie über "Päm" (darin besteht wohl der vielgepriesene "Witz" des Buches), ansonsten bleibt auch die Amerikanerin ein Schemen.
Einmal schreibt Emmi, dass sie ins Kino gehen wolle. "Wie war es im Kino, was hast du dir angesehen?" – eigentlich eine logische Frage für den nächsten Morgen. Aber nein, Leo meint es bloß als Scherz und erwartet gar keine Antwort. Es geht hier schließlich um Gefühle und Befindlichkeiten und nicht um so etwas Äußerliches wie einen Film.
Fast nichts von den Wichtigkeiten und Unwichtigkeiten ihres Alltags, ihren persönlichkeitsbildenden Vorlieben und Abneigungen geben Leo und Emmi (oder gibt der Autor) preis. Die Erzählschwäche ist zugleich eine Strategie: Denn dank dieser Unkonkretheit gibt es keinerlei Ecken und Kanten, die die Identifikation erschweren könnten. Leo und Emmi sind "Ich" sagende Hohlformen, die jede Leserin mit ihrem eigenen Gefühl und ihrer eigenen Bedürftigkeit ausfüllen kann – um sie dann als besonders "lebensechte" Figuren zu empfinden. Nur so ist die heftige Betroffenheit zu erklären, von denen die Briefe an den Autor und die Kundenkritiken bei den Internet-Buchhändlern erstaunliche Auskunft geben.
Leo Leike ist ein Mann als Frauenphantasie. Er mag zwar behaupten, er habe sein Innenleben in einen "Gefühlsschrank" gesperrt und von daher zunächst typisch "männlich" daherkommen. In Wahrheit ist er ein Ausbund an Sensibilität und Einfühlsamkeit. Vor allem ist er ein Meister des E-Mail-Kompliments. Glattauer legt ihm Sätze in den Mund, wie sie viele Frauen gerne hören: "Du bist mir niemals lästig. Das weißt du. Ich müsste mir sonst selbst lästig sein, denn du bist ein Teil von mir. Ich trage dich immer mit mir herum, quer durch alle Kontinente und Gefühlslandschaften, als Wunschvorstellung, als Illusion des Vollkommenen, als höchsten Liebesbegriff." Leo ist ein veritabler Minnesänger: "Ich habe soviel von Dir in mir. Ich habe das immer als Bereicherung empfunden. Jeder Emmi-Sinneseindruck ist eine Gutschrift."
Dieses "leere", aber sanft-gefühlvolle Reden füllt die Seiten: "Gerade weil du mir so viel bedeutest, bedeutet es mir viel, dass auch ich dir möglichst viel bedeute", schreibt Leo und fährt fort: "Wüsstest du, wie viel du mir bedeutest, dann könntest du verstehen, warum ich meine Bedeutung für dich nicht verlieren will." Emmi bedankt sich ergriffen: "Das hat noch niemand zu mir gesagt." Niemand außer Leo wäre wohl in der Lage "so tief emotional zu denken". Nur wer sich an solchen Vagheiten und Floskeln (bisweilen vernimmt man auch Beziehungsratgeberdeutsch) nicht stört, wird dem Buch "wunderbaren" Stil bescheinigen. Nicht erst das Happy-End steht unter Kitschverdacht.
Die Handlung ist in einem Satz erzählt: Obwohl Emmi mit dem deutlich älteren Musiker Bernhard in einer Vernunftehe mit zwei Kindern lebt und Leo sich nach Kräften einredet, er habe mit Pamela die richtige Partnerin gefunden ("Pamela liebt mich"), scheitern beide Beziehungen, worauf nach allerhand Komplikationen und Missverständnissen (auch hieran hat die Vagheit der E-Mails wohl gerüttelten Anteil) Leo und Emmi doch noch zueinander finden dürfen. Vernunft allein genügt eben nicht. Wahre Gefühle mögen blind sein wie Maulwürfe, am Ende schaufeln sie sich den Weg frei.
Soll man Glattauer für seinen Instinkt oder sein Kalkül bewundern? Nicht nur aus Gründen des kommerziellen Erfolges böte es sich nun an, noch einen dritten Leo- und Emmi-Roman zu schreiben: Das Satyrspiel des gemeinsamen Beziehungsalltags nach all den virtuellen Gefühlshöhenflügen, Anfällen von Romantik und Ausfällen sprachlicher Betulichkeit. Das würde man gerne lesen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen
Roman. Deuticke Verlag, Wien 2009, 222 Seiten, 17,90 Euro