Die Katastrophe von Duisburg sei "ohne das Verhalten der Polizei nicht erklärbar", sagt der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Müller. Mit ihm haben wir über die Entscheidung des Landgerichts Duisburg gesprochen.
Kein Strafprozess gegen Beschuldigte?
21 Menschen wurden bei der Duisburger Loveparade-Katastrophe 2010 getötet. Doch nun sieht es danach aus, als würde strafrechtlich niemand dafür zur Rechenschaft gezogen. Das Duisburger Landgericht hat die Eröffnung eines Strafprozesses abgelehnt. Nicht nur das sorgt nun für eine heftige Diskussion.
Selbst dem Präsidenten des Landgerichts Duisburg, Ulf-Thomas Bender, fällt es sichtlich nicht leicht, die Entscheidung seiner 5. Großen Strafkammer verständlich zu machen. Denn auch wenn es ihm zufolge juristisch gute Gründe dafür gibt, das Strafverfahren zur Loveparade-Katastrophe nicht zuzulassen, erklärt er:
"Diese Tragödie lässt niemanden kalt. Sie berührt uns alle, auch mich persönlich und auch die mit der Sache befassten Richterinnen und Richter. Und wir alle hegen die berechtigte und nachvollziehbare Erwartung, dass die Ursachen für diese Katastrophe aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden."
Kein hinreichender Tatverdacht gegen Beschuldigte
Diese Erwartung aber könne das Landgericht nicht erfüllen, sagt Bender. Denn: Die 5. Große Strafkammer hat nach gut zweijähriger Prüfung der Anklage festgestellt, dass gegen die zehn Beschuldigten kein hinreichender Tatverdacht besteht. Wenn es aber von Vornherein kaum Aussicht auf eine Verurteilung gibt, dann muss das Gericht die Eröffnung eines Hauptverfahrens ablehnen. Angeklagt waren sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Mitarbeiter des Veranstalters, die alle mit der Planung der Loveparade befasst waren.
"Die Kammer hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Sie hat das sehr umfangreiche Material sorgfältig geprüft. Sie hat versucht, durch ergänzende Fragen an den Sachverständigen den Sachverhalt weiter aufzuklären."
Der Sachverständige und sein Gutachten stehen im Zentrum der Kritik der Richter. Das Gutachten des britischen Panikforschers Professor Keith Still sei mangelhaft und nicht verwertbar, heißt es.
Streit über Zahlen im Gutachten
Es verwende Zahlen, zum Beispiel zu den Besuchern, die nicht plausibel belegt werden könnten und sich zum Teil sogar widersprechen. Außerdem habe der Gutachter lediglich die örtlichen Gegebenheiten geprüft, also untersucht, wie viele Menschen zum Beispiel der Tunnel fassen konnte und wie viele tatsächlich dort waren.
In diesem Tunnel und einer angrenzenden Rampe, die sowohl auf das Gelände führten als auch nach draußen, war es vor fünfeinhalb Jahren, am 24. Juli 2010, während der Loveparade zu einem dichten Gedränge und einer anschließenden Panik gekommen. 21 Menschen kamen dabei ums Leben, mehr als 650 wurden verletzt, einige von ihnen schwer.
Allerdings weist Gerichtspräsident Bender darauf hin, dass nicht nur der enge Tunnel für das tödliche Gedränge verantwortlich sein könnte, sondern auch von der Polizei aufgestellte Zäune oder das zu späte Schließen der Zugangswege zum Loveparade-Gelände.
"Auf Grund des Gutachtens lässt sich daher nicht beantworten, aus welchen Gründen es zu den tragischen Ereignissen anlässlich der Loveparade kommen konnte."
NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft äußerte sich überrascht über die Entscheidung des Gerichts.
Kraft: "Mir fällt es schwer, den Beschluss zu begreifen"
Zwar respektiere sie als Ministerpräsidentin die Entscheidung der Richter, aber:
"Als Mensch Hannelore Kraft, die seit Jahren Kontakt hält, Verbindung hat, zum Teil sehr enge Verbindungen zu den Familien der Opfer und zu den Betroffenen, muss ich sagen, fällt mir das außerordentlich schwer, diesen Beschluss zu begreifen."
Allerdings hat die Staatsanwaltschaft Duisburg bereits Beschwerde eingelegt – das Oberlandesgericht muss jetzt prüfen, ob das Strafverfahren möglicherweise doch fortgeführt werden kann. Da die erste Prüfung durch das Landgericht schon gut zwei Jahre in Anspruch genommen hat, darf auch hier nicht mit einer schnellen Entscheidung gerechnet werden.