Lucia Berlin: "Welcome Home"

Aus dem Leben einer ungewöhnlichen Frau

06:15 Minuten
Montage: Buchcover von "Welcome Home" und ein Hauseingang in New York.
Lucia Berlin ist in ihrem Leben oft umgezogen. © Kampa Verlag / imago / Westend61
Von Manuela Reichart |
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"Welcome Home" sammelt sehr persönliche Texte und Briefe der verstorbenen Autorin Lucia Berlin. In den Texten schildert sie ihr chaotisches Leben, schreibt über das Scheitern, ihre vielen Umzüge und Lieben.
Die 2004 verstorbene amerikanische Schriftstellerin Lucia Berlin ist eine der großen Wiederentdeckungen der vergangenen Jahre: Eine Meisterin der kurzen Form mit einem genauen Blick für den Alltag und die Träume der Menschen. Den Stoff, aus dem ihre Geschichten sind, fand sie im eigenen Leben, das ziemlich chaotisch war, geprägt von Aufbrüchen und Hoffnungen, die sich selten erfüllten.

Sie wollte immer unbedingt schreiben

Geboren wird Lucia Berlin 1936 in Alaska, ihre Jugend verbringt sie in Chile, weil ihr Vater dort Arbeit als Bergbau-Ingenieur findet, sie erkrankt früh an Skoliose. Sie heiratet dreimal, hat vier Söhne, die sie bald alleine aufzieht, wird alkoholabhängig.
Sie arbeitet als Putzfrau, Telefonistin, Aushilfslehrerin, Sekretärin und Krankenpflegerin. Ihre erste Geschichte veröffentlicht sie mit 24 Jahren.
Schreiben wollte sie immer und unbedingt. Ihr Sohn schreibt im Vorwort von "Welcome Home", er habe noch das permanente Geräusch der Olympia-Schreibmaschine im Ohr.

Die ständige Suche nach einem Zuhause

Von den Anfängen als Schriftstellerin und Mutter erzählt dieser autobiografische Band, in dem Lucia Berlin sich an ihre Kindheit und Jugend erinnert, an die Versuche, sich mit den wechselnden Männern irgendwo einzurichten und glücklich zu sein. In einem Interview hat sie 2003 gesagt, sie sei stets auf der Suche nach einem Zuhause gewesen.
Sie listet auf, in wie vielen Häusern sie gewohnt hat, welche Schwierigkeiten es dort jeweils gab: In dem einen funktioniert etwa nur eine Kochplatte, in dem anderen bricht der Boden ein, es gibt Erdbeben und Sandstürme. In New York wohnt sie im fünften Stock ohne Fahrstuhl – mit zwei kleinen Kindern, die noch nicht laufen können.
Sie übersteht Zwangsräumungen, wird noch vor der Geburt des zweiten Sohnes vom ersten Ehemann verlassen, dessen Unterhosen sie bügelte, "damit sie warm waren". Sie selbst verlässt den Zweiten, einen freundlichen Musiker, weil sie sich unsterblich in den Dritten verliebt, dessen Drogensucht sie lange nicht ernst genug nimmt.

Briefe aus zwei Jahrzehnten

"Welcome Home" versammelt Schilderungen und Erinnerungen aus dem Leben einer ungewöhnlich mutigen Frau, die sich in der amerikanischen Künstler-Bohème der 1950er-Jahre bewegt. Es geht um die Liebe und die Kinder, um Freundschaften und Häuser, lange Reisen und vor allem um die eigenen schriftstellerischen Versuche.
Neben den autobiographischen Texten, in denen Lucia Berlin vom Scheitern und Träumen in dem ihr eigenen unsentimentalen literarischen Ton erzählt, lesen wir hier Briefe aus zwei Jahrzehnten (1944-1965), die nicht zuletzt und sehr reflektiert vom alltäglichen Leben und vom Schreiben berichten, und auch diese Briefe sind – wie ihre Geschichten – oft ebenso herzzerreißend wie komisch.

Lucia Berlin: "Welcome Home, Erinnerungen und Briefe"
Mit einem Vorwort von Jeff Berlin
Aus dem amerikanischen Englisch von Antje Rávik Strubel
Kampa Verlag, Zürich 2019, 207 Seiten, 24 Euro.

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