"Lucia di Lammermoor" in München

Finesse ohne virtuosen Überschwang

Lucia di Lammermoor: Premiere am 26. Januar 2015 im Nationaltheater. Musikalische Leitung: Kirill Petrenko. Inszenierung: Barbara Wysocka.
Lucia di Lammermoor: Premiere am 26. Januar 2015 im Nationaltheater. © Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl
Von Holger Hettinger |
Über reine Dekoration kommt die Inszenierungsidee der Regisseurin Barbara Wysocka nicht hinaus. Immerhin kann Generalmusikdirektor Kirill Petrenko mit der musikalischen Umsetzung überzeugen.
Die coole, whiskeyschwangere Eleganz der TV-Serie "Mad Men" schwang in der Optik von Barbara Wysockas Inszenierung der "Lucia die Lammermoor" mit: Anklänge an die großen, einflussreichen US-Clans der 50er- und 60er-Jahre, ein Hauch von Kennedy-Eleganz, und hinter allem Sozialdruck und Verhaltensautomatismen. Eigentlich eine vorzügliche Idee, um die Kräfteverhältnisse hinter Donizettis "Lucia" einerseits in die Gegenwart zu holen, andererseits die Macht von überkommenen patriarchalischen Strukturen aufzuzeigen.
Aber ach: Über die schnöde Dekoration ihrer Inszenierungsidee kommt Regisseurin Barbara Wysocka nicht hinaus, zu sehr begnügt sich die Inszenierung mit der bloßen Ausstellung optischer und dekorativer Einzelmomente. Eine "Wahnsinnsarie", die mit Anklängen an Marilyn Monroes Präsidenten-Ständchen ausstaffiert ist, ein Edgardo, der im James-Dean-Look über die Bühne stolziert und sich – eindringliches Sinnbild dieser spießig-brav ausdekorierten, weitgehend misslungenen Inszenierungsleistung – in einem alten US-Cabrio rückwärts auf die Bühne schieben lässt: Das sind bestenfalls gefällig-naive Zitate, kunstgewerbliche Dekorationen, die aber in keinem Augenblick erklären, warum Lucia so handelt, sich so behandeln lässt.
Und eine Figur wie Lucias Bruder Enrico, der gefangen ist in einem – zum großen Teil selbst gewebten – Netz aus Standesdünkel, Herrschsucht, Familiendisziplin und Geschwisterliebe, gerät zur fuchtelnden Knallcharge.
Und sonst so? Viel Rampensingerei, energisch gen Himmel geballte Fäuste, Gesten des Barmens und der Verzweiflung: gähn. Einzig die Chor-Tableaus gerieten prächtig und eindrucksvoll.
Ständig neue musikdramatische Siedetemperaturen
Musikalisch hingegen war diese "Lucia"-Premiere an der Bayerischen Staatsoper wesentlich beglückender. Generalmusikdirektor Kirill Petrenko bewegte sich durch die vielen kammermusikalischen Details eher im Halbdunkel von Donizettis Partitur, statt in der Ausstellung gleißender Virtuosität ständig neue musikdramatische Siedetemperaturen anzustreben – diese zurückgenommene, detailfreudige und überaus klangsinnliche Lesart hat der "Lucia" eine ganz neue Intensität beschert.
Natürlich hat man die "Lucia" schon temperamentvoller erlebt – aber gerade Petrenkos Entscheidung für eine zurückgenommene, auf Motivdetails und Klangverschränkungen zielende Interpretation nimmt dem Werk viel von der Rummeligkeit, die im Streben nach immer größeren Virtuositätswerten das Klangbild dominiert. Stattdessen: ein Donizetti im Kammerton, von stellenweise sinistrer Bedrohlichkeit und stets gut abgetöntem Streicher-Schmelz.
Grandios besetzt war diese Münchner Produktion ohnehin: Diana Damrau in der Titelpartie setzte den emotionalen Extremen ihrer Figur ein schier vollständiges Ausleuchten der vokalen Möglichkeiten ihrer Partie entgegen: nicht virtuoser Wohlklang, sondern die Grenzbereiche des vokalen Ausdrucks charakterisieren eine Figur, die emotional und nervlich die Extreme erreicht. Pavol Breslik als Edgardo als glänzend disponierter, souverän über Licht und Schatten gestaltender Tenor.

Bayerische Staatsoper: Lucia di Lammermoor
Oper in drei Akten von Gaetano Donizetti
Inszenierung: Barbara Wysocka
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko

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