Lucia Lucia: "Texte, die auf Liebe enden: Reality in Poetry"
Illustriert von Serena Viola
Fischer FJB, Frankfurt am Main 2019
144 Seiten, 8 Euro
Ein unharmonisches Kunststück
06:04 Minuten
Seit ihrer millionenfach geklickten Performance "Mathilda", ist die Poetry-Slammerin Lucia Lucia auch außerhalb der Szene bekannt. Jetzt sind ihre Texte als Buch erschienen. Mit rotzigen Poemen, berührenden Gedichten und intensiver Prosa.
"Schamhaar um Schamhaar reißt Mathilda sie aus." Mit diesen Worten beginnt die Poetry-Slammerin Lucia Lucia ihren "Mathilda"- Text. Sie reimt über eine junge Frau, die sich selbst hässlich findet und alle anderen lässig und schön. Die versucht, sich anzupassen, Opfer sexueller Gewalt wird, sich schuldig fühlt und schließlich Selbstmord begeht. Ein eindringlicher Text, der Satz für Satz die versteckten Schichten eines tödlichen Dramas freilegt, der einen nicht loslässt und neugierig macht auf mehr.
Mehr gibt es nun in "Texte, die auf Liebe enden". Alle Stadien der Liebe kommen hier zu Wort: zarte Verliebtheit, große Liebe, Streit, Betrug, Trennung, Verzweiflung, Resignation, Hoffnung und neue Liebe. Ungeschminkte Emotionen brechen sich Bahn, Sehnsucht und Trauer, Erwartung und Enttäuschung, Euphorie und Depression, Glück und Wut. Und immer wieder, immer neu die Angst, nicht geliebt zu werden. Zu klein, zu hässlich oder der Liebe nicht wert zu sein.
Die Stimme der "Mathilda"-Rapperin
Lucia Lucia spricht ihre Leserinnen und Leser – wie auch schon bei Live-Auftritten – mit rotzigen Slam-Poemen, temporeichen Dialogen, berührenden Gedichten und intensiven Prosastücken direkt an – immer mit "du". Manchmal ist dieses "du" auch der Geliebte oder die Sprecherin selbst; ein naher Mensch jedenfalls, dem gegenüber sie kein Blatt vor den Mund nimmt und keine Schamgrenzen kennt. Der Ton wechselt von frech bis romantisch, von aggressiv bis poetisch, von amüsant bis melancholisch. Immer schwingt beim Lesen der Texte auch die Stimme der "Mathilda"-Rapperin mit, so wie man sie bei YouTube sehen kann: rhythmisiert, melodisch oder in hämmerndem Staccato. Und so kommt hier kein "harmonisches Gesamtwerk" zustande, wie es auf dem Umschlag angepriesen wird, sondern ein disparates, vielstimmiges, kratzig-beglückendes Kunststück.
Eine Zeile taucht dabei immer wieder auf: "Ich sehe was, was du nicht siehst." Sie signalisiert die Sensibilität, auch Egozentrik, auf jeden Fall die hohe Emotionalität der Sprecherin. Eine Emotionalität, die sich in vielen Metaphern spiegelt, in sinnlichen Bildern für Ängste, Bedürfnisse und Wünsche: "Meine Angst ist mir ein Koffer … eine Läuferin … eine Werferin … eine Kämpferin". Die Zeile "Ich sehe was, was du nicht siehst", Titel eines alten Kinderspiels, weist aber auch auf den spielerischen Charakter von Lucia Lucias Gedichten und Texten hin. Ihre Freude am Spiel mit Wörtern, Rhythmen und Redensarten, Klängen und Bildern ist durchweg spürbar und reißt mit.
Illustrationen untermalen den Text
Auf eigene Weise kreativ wirken auch die zarten Illustrationen von Serena Viola, die 2018 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte "Sachbuch" ausgezeichnet wurde. Sie sind ausgeführt in Tinte oder Aquarell und ähnlich spielerisch und impulsiv wie die Texte. Zwei interessante junge Künstlerinnen haben sich hier zum Duo zusammengetan. Herausgekommen ist ein tolles, ein durch und durch besonderes Buch.