Lucinda Hawksley: "Gefährlich schön"

Tapeten mit fatalen Nebenwirkungen

Buchcover Lucinda Hawksley: "Gefährlich schön". Im Hintergrund ein viktorianisches ausgestattetes Zimmer.
Die prächtigen Farben der Tapeten entstanden nicht zuletzt durch die Beimischung von Arsen. © Gerstenberg Verlag / picture alliance / Frank Baumgart
Von Eva Hepper |
Spektakuläre Motive, brillante Farben und giftige Substanzen: Englische Tapeten im 19. Jahrhundert waren nicht nur wunderschön, sondern auch gefährlich. Warum den Farben Arsen beigemischt wurde, erklärt Lucinda Hawksley in "Gefährlich schön".
Was für eine Pracht! Über die gesamte Doppelseite hinweg ziehen sich floral-ornamentale Motive in den herrlichsten Farben: üppige, zart gelbe und azurblaue Blütenkelche, seegrüne Stängel und Blätter, Früchte und Samenkapseln in Safran- und Apricot-Tönen. Ganz wundersam schlingen sich die Pflanzen ineinander. Und als wäre diese Szenerie nicht schon spektakulär genug, wird sie zusätzlich umrahmt von zinnoberroten Linien und gepunkteten Zierbändern.

Das Stillleben zeigt ein besonderes Stück englischer Tapetenkunst aus dem 19. Jahrhundert. Es ist zum Niederknien schön, doch, Achtung: auch "gefährlich schön", wie Lucinda Hawksley schreibt. Denn die leuchtenden Farben verdankten ihre Brillanz der Beimischung von Arsen. 275 Beispiele solch prächtiger und hochgiftiger Tapeten aus viktorianischer Zeit hat die britische Autorin in einem hinreißenden Bildband versammelt. Darin erzählt sie nicht nur von Kunst und Design, sondern auch von der (Kultur-)Geschichte des Giftes.

Arsen - ein fatales Gift

In sieben Kapiteln schildert Hawksley die Verwendungsmöglichkeiten von Arsen, dessen Giftigkeit schon seit der Antike bekannt war. Geradezu lustvoll kriminalistisch erzählt die Autorin, übrigens die Ur-ur-urenkelin Charles Dickens’, von berühmten Giftmorden, von den Herausforderungen für die Forensik (Arsen war kaum nachweisbar), von der Gewinnung des Elements, seinem Einsatz im Haushalt und als Heilmittel sowie von der Entwicklung arsenhaltiger Farben seit 1775 (Scheeles Grün) und der Produktion von Tapeten mit fatalen Nebenwirkungen. Kopf- und Magenschmerzen, Lähmungserscheinungen, Haarausfall; das Krankheitsbild war diffus und daher die Ursache der Leiden lange nicht gefunden.
So spannend sich das liest: Den größten Genuss bieten die wunderbar komponierten und hervorragend gedruckten Bilderstrecken der Tapetenmuster. Sie machen das Buch zur bibliophilen Kostbarkeit. Was sich hier über viele Seiten hinweg nicht alles finden lässt! Vogel-, Früchte- und Blumenmotive in schier unzähligen Kombinationen, Arabesken und indische Szenerien, geometrische Variationen und sogar ganze Landschaftspanoramen – in kräftigen Farben (im Buch ganz ohne Gift!).

Tapetenkunst pur

Auch ist die Publikation hervorragend gestaltet. Die Texte mit kleineren Abbildungen von etwa zeitgenössischen Stichen, Interieurs oder Arsenprodukten wie Fliegenpapier, Eisentabletten oder Schädlingsmittel sind auf dünnerem Papier und in anderem Format gedruckt. Sie sind kapitelweise arrangiert, und als solche in großen Abständen zwischen die farblich sortierten, reinen Bilderstrecken eingeheftet. So lässt sich die Tapetenkunst ganz pur erleben.
Kein Wunder, dass sich der englische Stardesigner William Morris (1834-1896) – sein Name stand gleichbedeutend für Tapeten – bis zuletzt weigerte, die Gefährlichkeit dieser Schönheiten anzuerkennen. Während die europäischen Nachbarn Arsenik in Tapeten und Farben längst verboten hatten, tobten auf der Insel noch Debatten. Wie und warum sie schließlich endeten, auch davon berichtet dieses Buch. Ein tolles Werk.

Lucinda Hawksley: Gefährlich schön. Giftige Tapeten im 19. Jahrhundert
Übersetzt von Anke Albrecht
Gerstenberg Verlag 2018
256 Seiten, 45 Euro