Lucy Fricke: "Die Diplomatin"

Einblick in eine sonst verschlossene Welt

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Auf dem Buchcover sind Buchtitel und Autorenname sowie ein gemaltes Meer zu sehen.
© Claassen

Lucy Fricke

Die DiplomatinClaassen Verlag, München 2022

256 Seiten

22,00 Euro

Von Dorothea Westphal · 23.03.2022
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Eine Diplomatin verliert den Glauben an ihren Beruf. Ein politischer Roman von ungeahnter Aktualität in einer Zeit, in der der Ukraine-Krieg brutal vor Augen geführt hat, wie alle Mittel der Diplomatie versagt haben.
Zu Beginn des Romans flattert die deutsche Fahne vor der Botschaft noch im Wind, am Schluss hängt sie schlaff herunter. Man kann dies als Sinnbild lesen für den geschilderten Prozess der Desillusionierung einer Diplomatin.  
Friederike Andermann, kurz Fred, bekommt mit Ende 40, nach 20 Jahren im Auswärtigen Amt, endlich einen Posten als Botschafterin. Doch in Uruguays Hauptstadt Montevideo scheint die Zeit stillzustehen. Während Botschafter einmal „die Macht besaßen, den Lauf der Welt zu verändern“, stehe sie bei Empfängen herum „und sei nur Deutschland“.
Als nach sechs Wochen im Amt der Tag der Deutschen Einheit ansteht, geht es vor allem darum, die beliebten „Einheitswürste“ bei einem deutschen Schlachter zu bestellen. Doch der ruhige Posten entpuppt sich bald als Minenfeld, als die Tochter der Herausgeberin eines der einflussreichsten Nachrichtenmagazine Deutschlands offenbar ausgerechnet in Uruguay entführt wurde. „Der kleinste Fehler konnte zum Verhängnis werden“ und die Ereignisse bringen Freds Karriere ins Wanken.

Diplomatisches Parkett in Istanbul besonders glatt

Zwei Jahre später wird Fred als Konsulin nach Istanbul versetzt und gerät damit auf ein diplomatisches  Parkett, das in einem autoritären Staat besonders glatt ist. Die Kunst der Diplomatie bestehe hier, wie es heißt, vor allem darin, „das zu zeigen, worüber man nicht reden konnte". So werden bei der Eröffnung eines Festivals beispielsweise die Namen von Künstler*innen und Journalist*innen verlesen, die keine Chance haben, teilzunehmen, weil sie im Gefängnis sitzen.

Gefühl der Ohnmacht wie ein roter Faden

Wie die Mutter eines in Berlin lebenden Mannes kurdischer Abstammung, der diese im Gefängnis besuchen möchte. Die von ihr kuratierten Ausstellungen waren den Behörden nicht genehm. Bereits am Flughafen wird er jedoch festgenommen. Der Grund: Er hatte vor Jahren an einer prokurdischen Protestaktion in Berlin teilgenommen.
Was tun in einem solchen Fall? Fred sagt, ihr Job bestehe vor allem aus Geduld, eine Eigenschaft, die ihr nicht liegt. Das Gefühl der Ohnmacht zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. „Immerzu sprach man vom Dialog, während in Wahrheit die türkischen Behörden nicht mal mehr ans Telefon gingen.“
Als dann noch ein deutscher Journalist, der über die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland recherchiert, ins Visier der Behörden gerät, sieht Fred sich gezwungen, ungewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen.

Rasante Dialoge

Die mutige Aktion bringt sie an den Rand der Legalität. Was wie ein Krimi klingt, sei in ähnlicher Weise durchaus geschehen, sagt die Autorin in einem Interview. Der Roman, der dadurch eine besondere Brisanz bekommt, gibt faszinierende Einblicke in eine eher verschlossene Welt.
Lucy Fricke hat bei uns auf dem Blauen Sofa im Rahmen der Leipziger Buchmesse über "Die Diplomatin" gesprochen.
Heiko Maas hat dem Buch als ehemaliger Außenminister Realitätsnähe bescheinigt, was den Diplomatenalltag angehe. Lucy Fricke hat sehr genau recherchiert, Botschafter*innen offenbar zum Reden bringen können und sich nicht gescheut, mit der Türkei einen heiklen Schauplatz zu wählen.    
Wie den Roman „Töchter“ zeichnen auch „Die Diplomatin“ die rasanten Dialoge aus, die selbstironische, lakonische Erzählweise und der trockene Humor, der perfekt zu einer Diplomatin passt, die den Glauben an ihren Beruf verliert.
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