Abgang des Dicken mit der Zigarre
Dem CDU-Politiker Ludwig Erhard gelangen 14 glückhafte Jahre als Wirtschaftsminister von 1949 bis 1963. Doch dann folgten drei glücklose Jahre als Bundeskanzler und schließlich ein abrupter Abschied aus dem Kanzleramt: Vor 50 Jahren trat Erhard zurück.
"Nein, nein – der Willy ist so gut nicht,/ und deshalb rufen wir Euch zu:/ Besser ist der Ludwig, besser ist der Ludwig/ und die CDU."
Es ist nicht bekannt, inwieweit der Wahlkampfspot der CDU zum glänzenden Sieg Ludwig Erhards bei der Bundestagswahl im September 1965 beigetragen hat. Jedenfalls verdankten die Christdemokraten dem Bundeskanzler das zweitbeste Wahlergebnis ihrer Geschichte. Der Dicke mit der Zigarre, der vielen als die Verkörperung des Wirtschaftswunders galt, hatte sich wieder einmal als Wahlkampflokomotive erwiesen, gegen die der sozialdemokratische Herausforderer Willy Brandt chancenlos geblieben war. Folglich war es nur konsequent, dass Erhard die bestehende Koalition zwischen CDU/CSU und FDP fortsetzte.
Doch das sollte nicht gutgehen. Ein gutes Jahr nach seinem triumphalen Wahlerfolg kam ihm der freidemokratische Koalitionspartner abhanden. Erich Mende, der Minister für gesamtdeutsche Fragen, begründete den Abgang am 27. Oktober 1966 so:
"Ich habe den Herrn Bundeskanzler informiert, dass die vier Minister der FDP ihren Rücktritt erklären, nachdem auch gestern Abend die Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Koalitionsfraktionen über die Finanz- und Haushaltspolitik nicht überbrückt werden konnten."
Dissens über Steuererhöhungen
Hinter den "Meinungsverschiedenheiten" verbarg sich ein tiefgreifender Dissens über die Sanierung des Bundeshaushalts. Erhard wollte die Etatlücken mit Steuererhöhungen stopfen. Die Liberalen lehnten gerade die aber ab. Sein Versuch, mit einem allein von CDU und CSU gestellten Minderheitenkabinett weiterzuregieren, misslang. Stattdessen forderte ihn die oppositionelle SPD am 8. November 1966 im Bundestag auf, die Vertrauensfrage zu stellen. Erhards Antwort:
"Ich werde dem mir empfohlenen Antrag, das Vertrauen des Hauses für mich zu erbitten, unter gar keinen Umständen nachkommen, und zwar, weil ich nicht gegen Geist und Sinn der Verfassung verstoßen möchte. An mir wird eine regierungsfähige Mehrheit nicht scheitern. Aber ich lehne es ab, hier an einem Schauprozess teilzunehmen."
Ein "Schauprozess" war es zwar nicht, aber verfassungsrechtlich problematisch schon, wie die SPD mit dem Werkzeug der Vertrauensfrage jonglierte. Schließlich ist das Stellen der Vertrauensfrage solange ins Ermessen des Kanzlers gestellt, wie der Bundestag nicht in der Lage ist, mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger zu wählen. Ein neuer Bundeskanzler war aber an jenem 8. November noch nicht gefunden.
Kiesinger und die Große Koalition
Während sich die Christdemokraten bereits zwei Tage später auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kurt-Georg Kiesinger als ihren neuen Kanzlerkandidaten einigten, taten sie sich ungleich schwerer, nach dem Koalitionsbruch der FDP einen neuen Bündnispartner zu finden. Erst Ende November vermochte sich die bisherige Daueroppositionspartei SPD nach harten inneren Auseinandersetzungen dazu durchzuringen, in eine erste, von CDU und CSU geführte Regierung der großen Koalition einzutreten. Ludwig Erhard blieben da nur noch Abschiedsworte an das deutsche Volk:
"Der Kanzlerwechsel ist für mich kein Abschied von der Politik. Sie werden mir auch in Zukunft aktiv im politischen Leben dieses Staates begegnen."
Erhards politische Aktivität spielte sich noch elf Jahre hauptsächlich auf den Hinterbänken des Bundestages ab. Seine Partei, die CDU, nahm ihm übel, dass er ein Kanzler ohne Fortüne geblieben war. Seine Glücklosigkeit hatte sich sowohl in der Außen- wie in der Wirtschaftspolitik gezeigt. Mit dieser fand der Wirtschaftsfachmann Erhard kein Rezept gegen die Rezession und den damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit. In jener ordnete er als entschiedener "Atlantiker" die Partnerschaft mit dem Frankreich de Gaulles den privilegierten Beziehungen zu den Vereinigten Staaten unter, ohne dass dieser "Treuebeweis" honoriert wurde.
Die US-Regierung verlangte 1966 drastisch erhöhte Zahlungen für ihre in der Bundesrepublik stationierten Truppen. Diese Mehrforderungen trugen mit zu jenem Haushaltsdefizit bei, an dessen Deckung Erhards Regierung mit der FDP scheiterte.