Ludwig Huber: "Das rationale Tier"
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Wie Tiere denken
06:33 Minuten
Ludwig Huber
Das rationale Tier. Eine kognitionsbiologische SpurensucheSuhrkamp, Berlin 2021671 Seiten
34,00 Euro
Sie tun es kleinteiliger, weniger abstrakt und eingebunden in Umweltprozesse. Wer Denkleistungen von Raben, Schimpansen und Putzfischen beurteilen will, muss auch den Begriff des Denkens an sich reflektieren.
Krähen stellen Werkzeuge her, Schweine tricksen dominante Artgenossen aus, Affen kennen Worte für „Schlange“ und „Raubvogel“. In vielen Büchern werden aktuell verblüffende Denkleistungen im Tierreich dargestellt. Ludwig Huber wählt in „Das rationale Tier“ einen anderen Ansatz. Mit klaren Begriffen und ebenso klaren Experimenten will der Wiener Verhaltensbiologe über die Anekdoten hinausgehen und belastbare Antworten auf die Frage finden: Können Tiere denken?
Denken ohne Sprache ist möglich
Gleich zu Beginn stellt er klar: Ein „Ja“ oder „Nein“ greift zu kurz. Das „würde nämlich nicht nur die Fülle der kognitiven Fähigkeiten von Tieren auf ein einziges Merkmal reduzieren, sondern auch die unselige Lust vieler Philosophen am Streit um bloße Definitionen befeuern.“ So heißt es oft, denken sei nur in Sprache möglich.
Dagegen führt Huber das Beispiel einer Löwin an, die ein Gnu unter ganz unterschiedlichen Umständen erkennt und je nach Situation ebenso unterschiedlich reagiert. „Nicht nur der Inhalt des Gnu-Begriffs der Löwin ist variabel, sondern auch seine Verwendung. Damit sind wesentliche Kriterien eines Begriffs jenseits von Sprache, wie sie zeitgenössische Philosophen postulieren, erfüllt.“
Von Aaskrähe bis Zwergdarwinfink
Im Buch geht es um den Werkzeuggebrauch, die Theorie des Geistes, komplexe Kommunikationsformen. Im Artenverzeichnis sind 146 Einträge von der Aaskrähe bis zum Zwergdarwinfink. Was clever wirkt, kann auf effektives Lernen zurückgeführt werden, auf Beharrlichkeit oder auch auf echte Einsicht. Entscheidend ist die Lebensweise.
Versteckt man Futter in einem Rohr, genügt einem Raben ein Blick, um zu entscheiden: voll oder leer? Keas dagegen überprüfen mehrmals das eigentlich Offensichtliche. Sind sie dümmer? Wohl nicht, sie kämpfen jeden Winter gegen das Verhungern. Da lohnt der zweite Blick.
Solche Einsichten lassen sich auch zurück auf den Menschen anwenden: „Vielleicht ist unser Denken viel kleinteiliger und partikulärer, viel weniger theoretisch, stärker in unsere Umwelt eingebunden und von ihr bedingt, als wir bisher vermutet haben.“
Trockene Lektüre, breite Einblicke
Das alles könnte sehr unterhaltsam sein, aber Huber hält sich nicht mit konkreten Beschreibungen auf, er will das große Ganze fassen, zitiert unendlich Details. Bei der trockenen Lektüre hilft es, zu wissen, was eine „Hebbsche Verstärkung“ ist oder die „Sapir-Whorf-Hypothese“. Der freundliche Kea auf dem Titelbild führt etwas in die Irre.
Aber wer durchhält, bekommt einen breiten Einblick über Denkleistungen nicht nur der bekannten Arten wie Krähen oder Schimpansen. Putzerfische lernen schneller als Letztere, wohl weil sie die Vorlieben ganz verschiedene Kunden bedienen müssen.
Das menschliche Denken ist sicherlich flexibler, aber es baut auf lange etablierte Anpassungen auf. Das, so Huber, habe ganz praktische Konsequenzen: „In ethischer Sicht hinterfragt die aktuelle Kognitionsforschung traditionelle Einstellungen im Umgang mit Tieren, ins besonders seiner Instrumentalisierung, ob als Nahrungsmittel oder Versuchstier. Hier bahnen sich gewaltige Umbrüche an."