Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland erwarb er ein Diplom als Orchestermusiker und spielte unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern.
Anschließend war er an der Israelischen Oper engagiert und absolvierte daneben ein Masterstudium in Deutschlandstudien an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Derzeit promoviert er an der Hebräischen Universität Jerusalem wie auch an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.
Auseinandersetzen statt Abschotten
Die deutsche, die europäische Gesellschaft drohe sich unversöhnlich zu spalten, so wie es die "Tea-Party-Bewegung" in den USA bereits vorführe. Der Vorwurf "Lügenpresse", so der Musiker und Politologe Ofer Waldman, sei dafür ein Warnsignal.
Der Begriff der "Lügenpresse" steht wieder hoch im Kurs: er spaltet und warnt vor einer Spaltung zugleich. Seine Verwendung sollte als ein rot-leuchtendes Warnsignal vor einem Zerspringen der Gesellschaft verstanden werden.
Wer "Lügenpresse" ruft, versucht eine gewollte Ignoranz zu kaschieren. Dieser Begriff bedeutet ja: Wir hören nicht mehr hin, wir lehnen alle Medien ab, die anderes berichten und kommentieren, als wir es für richtig halten. "Lügenpresse" bedeutet, dass selbst harte Fakten als Lüge abgetan werden. Man attackiert damit den Botschafter, um die Botschaft nicht hören zu müssen.
Risse, die sich durch die Gesellschaft ziehen
So entstehen Risse entlang bekannter Nahtstellen der deutschen Gesellschaft: zwischen Ost und West, Mietskasernen und Villenvierteln, post-modern und bildungsfern.
Man bleibt unter sich: in der Nachbarschaft, im Café oder in der Facebook-Gruppe. Doch was taugen jene hoch-gepriesenen sozialen Medien, wenn man sich auch digital abschottet? Wie "sozial" sind sie noch, was bleibt von ihrem Anspruch, eine neue Agora zu sein, wenn sie lediglich dazu dienen, innerhalb des eigenen Milieus Meinungen auszutauschen.
Neulich überraschte mich ein Freund, der sich vornahm, immer wieder in fremde Communities einzutreten, sich in fremde Cafés zu setzen, unbekannten Facebook-Gruppen beizutreten. Dort trifft er keine Gleichgesinnte: dort muss er diskutieren, sich auseinandersetzen und herausfordern. Nur so erfährt er, wie andere denken und was sie beschäftigt. Nur so entsteht ein wahrer Dialog.
Neugier und Bereitschaft zur Diskussion bedeuten ja nicht, Verständnis für Motive und Meinungen zu entwickeln, die man für indiskutabel hält. Fremdenfeindlichkeit ist ebenso indiskutabel wie das Bemühen, Grundrechte unter ethnischen Kriterien zu verweigern.
Realität, die an Weltanschauung angepasst wird
Man mag die Parolen jener, die sich als "besorgte Bürger" bezeichnen, abstoßend finden; ignoriert werden dürfen sie jedoch nicht. Ihre Art der Besorgnis muss besorgt machen.
Der Vorwurf "Lügenpresse" entstammt einer Denkart, in der die Realität an die eigene Weltanschauung angepasst wird statt umgekehrt. Kein Wunder also, dass die Nationalsozialisten ihren Gefallen am Begriff der Lügenpresse fanden.
Wohin der Irrweg führt, in dessen Richtung die Schilder auf den Pegida-Demonstrationen weisen, zeigt ein Blick auf die USA. Dort scheinen zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende politische Lager in Parallelwelten zu leben.
In der einen wird Obama gelegentlich gefeiert; in der anderen wird er der Reinkarnation Satans gleich diffamiert. In dieser durch politische Ignoranz entstandenen Realität der Tea-Party-Bewegung kann ein schriller Milliardär zum ernsthaften Bewerber für das Weiße Haus werden.
Feindseligkeit, die die Demokratie gefährdet
Auf der Strecke bleiben der Gedankenaustausch und die politische Kompromissbereitschaft. Und wer zu Kompromissen nicht bereit ist, sagte Helmut Schmidt einmal, sei kein Demokrat. Das politische Ringen um die Macht wird zur hasserfüllten, feindseligen Schlacht innerhalb einer zerrissenen Gesellschaft.
Gewollte politische Ignoranz drückt sich aus in einer nationalen Front der Blindheit gegenüber den Nöten Anderer, wie man sie auch bei den europäischen Nachbarstaaten Deutschlands feststellen kann, und stellt damit die europäische Demokratie auf eine harte Probe.
Man sollte sich indes nicht der Illusion hingeben, der demokratische Rahmen Deutschlands schütze dieses Land vor politischer Gewalt. Sie ist schon wieder hier, unter uns, in Form von brennenden Flüchtlingsunterkünften.
Man soll dagegenhalten und dieser Ignoranz keine Freiräume lassen. Man soll diskutieren, reden, sich auseinandersetzen - und zwar nicht am eigenen Stammtisch. Sich abzuschotten hieße, die gesellschaftliche Spaltung zu akzeptieren; es hieße, die Warnung vor der "Lügenpresse" zu ignorieren.