Luftangriffe auf IS-Stellungen

Obama wollte so eine Rede nie halten

US-Präsident Barack Obama hält am 10. September 2014 im Weißen Haus in Washington eine Rede an die Nation.
US-Präsident Obama hat Luftangriffe auf IS-Stellungen in Syrien angekündigt. © afp/LOEB
Moderation: Nana Brink |
Barack Obama hätte lieber auf die Ankündigung neuer Luftangriffe im Irak und Syrien verzichtet – doch ihm blieb keine andere Wahl, meint Michael Werz vom "Center for American Progress", einem Thinktank in Washington.
Nana Brink: Seit Anfang August fliegen die USA ja schon Luftangriffe auf Stellungen der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak. Gestern Abend nun, an einem sehr symbolkräftigen Datum – einen Tag vor dem 11. September –, da hat Präsident Obama nun seine neue Strategie verkündet, und zwar seine Strategie für den Kampf gegen den Islamischen Staat. Vieles wusste man schon im Vorfeld, aber es war der Ton, die Wortwahl, die entscheidend war:
Barack Obama: If you threaten America, you won't find no safe haven.
Brink: "Wenn Sie Amerika bedrohen, dann werden Sie nirgendwo einen sicheren Hafen finden." Michael Werz hat die Rede verfolgt von Präsident Obama, er ist Senior Fellow am Center for American Progress – das ist ein Think Tank in Washington. Schönen guten Morgen, Herr Werz!
Michael Werz: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Ist das ein neuer Tonfall, ist das die Rede, die Obama eigentlich nie halten wollte?
Obama hat nicht gleich zu den Waffen gegriffen
Werz: Das ist richtig, das ist eine Rede, die er so hat nie halten wollen. Er ist ja angetreten mit dem Wahlprogramm, Kriege zu beenden und keine neuen Kriege zu beginnen. Das war auch ein Grund dafür, dass er so lange gezögert hat, überhaupt aktiv zu werden. Für den Präsident ist das ein Schritt, den er nicht gehen wollte, aber gezwungen war zu gehen.
Brink: Ende August sagte er noch: "Wir haben keine Strategie." Gibt es jetzt eine?
Werz: Ja, es gibt eine Strategie, und er ist ja viel kritisiert worden für seine Äußerung Ende August, als er sagte, es gebe noch keine Strategie. Das war aber ungerechtfertigt, denn jeder weiß, dass die Situation in der Region ungeheuer kompliziert ist, und ein Präsident, der sich ein wenig Zeit nimmt, erst mal mit seinen Beratern zu klären, zu überlegen, was gute Schritte sein werden, ist mit Sicherheit ein Präsident, der verantwortungsvoller umgeht als jemand, der sofort zur Waffe greift. Eine Strategie gibt es, der Präsident hat vier Punkte genannt: gezielte Luftschläge, Kooperationen mit Partnern in Europa und der arabischen Welt, erneutes Training der irakischen Militärs und auch der syrischen Opposition sowie humanitäre Hilfe. Man wird sehen, wie sich das entwickelt in den kommenden Wochen.
Brink: Aber der Knackpunkt ist ja eigentlich auch, dass er Luftschläge in Syrien angekündigt hat. Ich meine, im Irak, das hat man ja schon im Vorfeld gesehen – das ist auch in Übereinstimmung mit der irakischen Regierung, die haben ihn um Hilfe gebeten. Aber in Syrien ist das doch weitaus komplizierter.
US-Bürger befürworten Gewalt gegen IS-Miliz
Werz: Das ist in der Tat richtig und es gab auch eine gewisse Überraschung, dass er sich dazu entschieden hat, denn in Syrien ist die Situation natürlich kompliziert, weil zum einen es keine Alliierten auf dem Boden gibt, die jetzt für den Fall, dass die terroristische ISIS-Organisation zurückgedrängt wird mit Luftschlägen, diese Territorien dann einnehmen und halten und organisieren könnte. Zum Zweiten hat man natürlich Sorge, dass es indirekt dazu führt, dass Präsident Assad in Syrien gestärkt wird. Das ist überhaupt nicht im amerikanischen längerfristigen Interesse. Und letztlich ist es auch militärisch nicht ganz ungefährlich, weil ja die syrische Armee nach wie vor noch über Boden-Luft-Raketen aus sowjetischer Produktion oder russischer Produktion verfügt und amerikanische Luftangriffe dort nicht ganz ungefährlich sind. Insofern ein Schritt, den der Präsident gegangen ist, der auch erhebliche Risiken birgt – und das hat er auch deutlich gemacht und die Amerikanerinnen und Amerikaner auf eine lange und vielleicht sogar vieljährige militärische Mission eingestimmt gestern.
Brink: Warum hat er das getan?
Werz: Weil ihm keine andere Möglichkeiten blieben. Die öffentliche Meinung in den USA, die ja sehr zurückhaltend war, was militärische Abenteuer anging, hat sich komplett geändert und ist geschwungen um fast 20 Prozent hin zu einer Position, wo Amerikanerinnen und Amerikaner auch militärisches Handeln akzeptieren. Das hat vor allem damit zu tun, dass sehr viele Ängste wiederbelebt worden sind, die wir noch aus der Al-Kaida- und Afghanistan-Kriegszeit kennen, dass Leute Sorge haben, dass das amerikanische Heimatland in Gefahr ist, und darüber hinaus hat natürlich diese öffentliche Enthauptung zweier amerikanischer Journalisten auch die öffentliche Meinung entsprechend aufgewühlt. Von daher war der Präsident sehr unter Druck, und die Situation im Irak ist natürlich auch eine, die zur Destabilisierung des gesamten Landes führen kann, und hier musste er handeln.
Brink: Hat er nicht umsonst auch dieses Datum gewählt, also diesen 11. September, genau an diesem Tag, also am Vorabend diese Rede zu halten, um auch sozusagen ja sein Volk mitzunehmen, zu sagen, das ist nicht nur mein Projekt, was wir jetzt unternehmen?
Präsident hat Überzeugungsarbeit zu leisten
Werz: Ja. Natürlich ist das ein geschichtsträchtiges Datum, am Vorabend des 13. Jahrestages der Anschläge vom 11. September. Was auch interessant ist politisch, ist, dass er auf den Tag genau die Rede gehalten hat ein Jahr, nachdem er die legendären roten Linien gezogen hat, was den Einsatz von Giftgas und anderen chemischen Waffen in Syrien anging. Also im Prinzip haben diese 365 Tage, die zwischen diesen beiden Reden liegen, auch die Veränderung der Position des Präsidenten deutlich gemacht. Er hat im Moment eine zurückhaltende Unterstützung bei der amerikanischen Bevölkerung. Die politischen Reaktionen waren gemischt, sowohl in der eigenen Partei als auch bei den republikanischen Parteigegnern. Insofern hat der Präsident hier auch noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber es ist deutlich, dass er sich auf keine weitere Destabilisierung im Irak einlassen will, weil das nicht nur im amerikanischen Interesse ist, sondern natürlich auch im europäischen, dass dort die Situation nicht vollkommen außer Kontrolle gerät.
Brink: Aber war das nicht auffällig, dass er auch so oft betont hat, es wird keine also legendären, keine "Boots on the Ground" geben, es wird keine Bodentruppen geben? Also haben die Amerikaner diese Lektion – also rein, siegen, raus, wie das im ersten Irakabenteuer war –, haben sie etwas daraus gelernt?
Werz: Absolut, und das ist auch ein Konsens nicht nur unter den Militärstrategen und den politischen Beobachtern, sondern auch in der Bevölkerung insgesamt. Der Präsident hat ja schon über 1.000 Militärberater im Irak, jetzt kommen noch einmal 500 hinzu. Da zu sagen, man setze keine Soldaten ein, ist natürlich auch ein wenig freihändig, aber es war für ihn sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die gegenseitige militärische Mission vollkommen von dem unterscheidet, was in der Bush-Ära die Invasionen mit massivem Truppen- und Personalaufwand im Irak und in Afghanistan bedeutet haben. Die sind letztlich nicht erfolgreich gewesen. Der Präsident hat auch noch etwas gesagt, was wichtig ist, nämlich, dass man sich nicht aus dem Problem herausbomben kann. Die politischen Strategien, die humanitäre Hilfe und auch das Training von irakischen und syrischen Verbänden und Kräften, die längerfristig Stabilitätsaufgaben wahrnehmen werden, sind mindestens genauso wichtig, wenn nicht noch wichtiger – aber alles in allem eine sehr komplizierte und anspruchsvolle Strategie. Man wird sehen, wie sich das umsetzen lässt in den kommenden Monaten.
Militärische Missionen ohne Unterstützung
Brink: Sucht er deshalb auch sozusagen eine Koalition, also eine Allianz der Willigen? Will er nicht alleine dastehen?
Werz: Ja, das ist absolut notwendig. Die europäischen Partner sind mit im Boot, zumindest in großen Teilen. Auch in der arabischen Welt gibt es Unterstützung. Der Präsident hat sich ja entschieden, diese militärischen Missionen anzugehen ohne Unterstützung und ohne den Kongress in den Vereinigten Staaten zu befragen und auch ohne UN-Mandat. Von daher ist es für ihn wichtig, politische Legitimität zu schaffen, und das geht über so eine große Koalition natürlich.
Brink: Michael Werz, Senior Fellow am Center for American Progress in Washington. Schönen Dank für die Zeit und Ihre Einschätzungen!
Werz: Vielen Dank, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema